In Erwägung unsrer Schwäche

Brief Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, sehr geehrter Herr Gabriel,

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Ihre Freitag-Redaktion

ich erlaube mir als Staatsbürger, Ihnen und der restlichen politischen Führung der Bundesrepublik Deutschland, mein Misstrauen auszusprechen.

Diese Entscheidung geht über ein übliches „ich bin nicht einverstanden“ hinaus und fällt mir schwer, da Parlamentarismus, Gewaltenteilung, Legalitätsprinzip und ein gewisses Maß an Loyalität Grundpfeiler eines gedeihlichen Staatswesens sind. Die Missachtung dieser Prinzipien bringt, wie man vielerorts beobachten muss, das Gemeinwesen in Gefahr.

Ich muss jedoch mit großer Trauer feststellen, dass die Erosion der Fundamente meines Staates und meiner Gesellschaft heute im Wesentlichen von Ihnen, meinen politischen Vertretern, verantwortet wird. Ich möchte nur wenige Beispiele nennen.

Sie planen, dass nicht-öffentliche „Schiedsgerichte“ die Entscheidungen meiner parlamentarischen Repräsentanten nach privaten Interessen bewerten und bestrafen können. Damit untergraben Sie die Prinzipien der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung mit der „im Namen des Volkes“ (also auch in meinem Namen) öffentlich urteilenden Justiz. Sie schränken meine politischen Rechte ein.

Sie haben in der Behandlung der Finanzkrise überdeutlich gezeigt, dass Sie die Interessen der Finanzinstitutionen über die der Bürger dieses Landes stellen. Sie haben alles in Bewegung gesetzt, uns Bürger für die Lasten der Krise in Haftung zu nehmen. Die Verursacher haben Sie nicht nur unbehelligt gelassen, Sie fahren fort, mit deren Hilfe und zu deren Profit öffentliche Güter zu verschleudern und die Zukunftssicherung der Menschen, beispielsweise die Renten, an die instabilen Finanzmärkte zu binden. Sie machen mich ärmer.

In der Griechenland-Krise haben Sie eine Regierung erpresst, wider besseres ökonomisches Wissen, wider die Vernunft und wider die elementare Humanität unhaltbare Verträge zu unterschreiben. Sie haben ultimativ darauf bestanden, dass zuerst die „Institutionen“ zu bedienen sind, bevor Medikamente für Schwerkranke und Lebensmittel für die Bevölkerung beschafft werden können. Sie haben in den letzten Wochen einen Teil der Probleme willentlich herbeigeführt und mit der Zerstörung eines Nachbarstaates begonnen. Sie haben die Idee eines einigen Europas in einen ideologisierten neoliberalen Alptraum verwandelt. Sie beschädigen meine Reputation.

Auch im Inland zeigen Sie täglich, dass Sie im Gesundheitswesen die Würde des Menschen, seine körperliche Unversehrtheit, ja das Leben selbst unter Finanzierungsvorbehalt stellen. Sie handeln für mich lebensbedrohlich.

Ich verweise schließlich nur summarisch auf die Militarisierung der Außenpolitik und die von Ihnen angerichteten oder zugelassenen Zerstörungen bei Bildung, öffentlicher Sicherheit, Kultur und vielen anderen Sektoren der Gesellschaft. Sie missachten meine sozialen Rechte.

Inzwischen funktioniert dieses Land in viel zu vielen Bereichen nicht mehr aufgrund Ihrer Regierung, sondern aufgrund des Engagements und der unbezahlten Selbstausbeutung vieler Freiwilliger trotz Ihrer Politik. Sie stellen den Menschen und Institutionen, die die Gesellschaft am Laufen halten, an Hohn grenzende Almosen zur Verfügung. Zur Legitimierung Ihrer Politik apellieren Sie hingegen an die niedrigsten Instinkte: Neid, Geiz, Vorurteile, Chauvinismus. Sie missachten den guten Geschmack.

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, sehr geehrter Herr Gabriel, ich kann nicht beurteilen, ob alle von Ihnen angestoßenen Entscheidungen und Handlungen legal sind, also dem Buchstaben des Gesetzes entsprechen. Ich maße mir als stolzer Bürger aber das Urteil an, dass Ihre Politik in zentralen Punkten dem Geist des Grundgesetzes, der Menschenrechte und den oben genannten Kriterien eines demokratisch verfassten Gemeinwesens widerspricht. Sie vollziehen den Übergang zur Postdemokratie, in eine Finanzdiktatur. Sie haben — unabhängig aller Wahl-Mehrheiten — unseren Gesellschaftsvertrag gebrochen. Sie handeln illegitim.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus.Fueller

… wird noch nachgereicht

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