Anja Maier beklagt berechtigt in einer Taz-Kolumne am 13.3.19 den Hochmut eines Journalisten angesichts Horst Seehofers fehlender Fremdsprachenkenntnisse. Ein anregender Text! Auch die Kommentare unter dem Artikel zeigen, dass das Problem noch größer ist als die Autorin angenommen hat und dass es weitere Facetten besitzt.
Erstens. Alltagspsychologisch schließen wir vom Sprachvermögen auf das Denkvermögen eines Menschen. Das ist schwer zu vermeiden. Wie wirkt ein mäßig Englisch sprechender führender Politiker auf eine_n Muttersprachler_in? Besteht nicht die Gefahr, dass er so ein bisschen dümmlich rüberkommt? Wäre es nicht eine verständliche Taktik für einen Politiker, Interviews in einer Fremdsprache, auch einer, in der er sich im Alltag sicher bewegt, abzulehnen und sich besser auf einen Dolmetscher zu verlassen? Kann es nicht sein, dass sich insbesondere Amerikaner dem Rest der Welt überlegen fühlen, weil sie so viele andere als „inguistically challenged“ erleben?
Zweitens. Wenn ich einen typischen Politiker in einer ihm fremden Sprache reden höre, fürchte ich oft, dass er so auch denkt. Ich weiß, wie schwer es ist, sich in einer Fremdsprache wirklich differenziert formal auszudrücken. Man liegt sehr oft daneben. Das gilt auch für Unmuts- oder Wutäußerungen. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ Wenn Wittgenstein recht hat, dann wundere ich mich nicht über die inhaltliche Qualität und den mangelnden Differenzierungsgrad der Diskussionen in EU-Gremien und der „Euro-Group“. Viele reden in dieser Art von Englisch wie im Nebel. Denken die auch so, mit Nebel im Hirn? Das wäre ein Faktor, der die Vorherrschaft der neoliberalen Ideologie begünstigt.
In den Muttersprachen zu diskutieren, wäre wegen der notwendigen professionellen Dolmetscherei teuer und ineffizient. „Teuer und ineffizient wie die Demokratie selbst“, meinen offensichtlich die technokratischen Eliten. Da spiegelt sich was!
Drittens. Da ist die Verwendung von „Bildung“ als Distinktionsmerkmal durch das wohlsituierte Bürgertum. Der Inhalt dieser Art von „Bildung“ ist fast egal, seien es nun Rechtschreibregeln, Lateinkenntnisse, Klavierspielen, abstruse Mathematikdetails oder eben Fremdsprachen. Wichtig ist nur, dass man etwas hat, mit dem man auf viele andere herabsehen kann. Das geht hervorragend mit „Bildungs“-Inhalten, die fern vom täglichen Leben oder auch sehr zeitaufwändig zu erwerben sind. Die Kompetenz alleine ist es nicht, denn der des Englischen einigermaßen mächtige BWLer betrachtet sich als gebildet und fühlt sich dem kurdisch-, türkisch-, deutschsprachigen Gemüseverkäufer mit seinem Schulenglisch meilenweit überlegen. Die altchinesische Gentry hatte ihre überlangen Fingernägel, um zu zeigen, dass sie nicht wirklich arbeiten mussten. Der deutsche Bildungsbürger kennt Balladen aus dem 19. Jahrhhundert auswending. Damit kann er zeigen, dass er wenigstens während seiner Schulzeit nicht im Gemüseladen helfen musste.
Nebenaspekt: So lange das „höhere“ Schulsystem hier vorrangig auf Distinktion durch „Bildung“ zielt und weniger auf Bildung als Voraussetzung für Partizipation, so lange bleibt es auch sozial überdurchschnittlich selektiv, so wie es sich das Bürgertum auch wünscht.
Kommentare 13
🎈Wenn mehr Deutsche wüssten, dass man im Ausland in der Regel tolerant und meist hilfsbereit gegenüber nonnatives ist, würden sie vielleicht weniger Sprachhemmungen haben.🎈
Leider hat der Englischunterricht in unseren Schulen, der sich der Einfachheit halber auf Grammatik und schriftliches Englisch konzentriert, Generationen von Schülern verdorben.
Man kann sich auch ohne Englischvorkenntnisse innerhalb von längstens 6 Monaten überall hervorragend verständigen, wenn man nur SPRICHT - egal wie richtig oder falsch. Das entwickelt sich schon, denn Sprache ist ja ein soziales Konstrukt.
Wer noch etwas mehr tun möchte, kann Vokabeln und Ausspracheregeln lernen.
"Großkopferte", die selbstgefällig dösig mit dummem Akzent dahinlabern, gehörten wegen grob fahrlässiger Sprachignoranz schonungslos geteert und gefedert.😠
🎈Not the yellow from the egg🎈
Korrekte deutsche Aussprache:
Nott seh jelloh fromm sieh eck 😱
Sätt is nott the tru Tschäikopp.
🎈Ffack tweiss, itt iss äh lonck weeh tuh Woschinnktonn!🎈
Eingeritzt in eine Toilettentür in Luzern, Schweiz.
Allerdings nicht in "Lautschrift" 😂
>>Der deutsche Bildungsbürger kennt Balladen aus dem 19. Jahrhhundert auswending. Damit kann er zeigen, dass er wenigstens während seiner Schulzeit nicht im Gemüseladen helfen musste.<<
Der Seehofer-Horst ist halt kein Bildungsbürger. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie und machte die Mittlere Reife. Danach absolvierte er eine Ausbildung zum Amtsboten. Sein damaliges soziales und berufliches Umfeld hatten nichts mit einer anderen Sprache zu tun. Man sprach und sang rund um die Uhr bayerisch respektive deutsch. Kurzum: Einen Anlass, eine Fremdsprache zu benutzen, gab es nicht. Man kann ihm schlecht seine Sozialisation in der Nachkriegszeit vorwerfen.
Die Dresdner Rede von Eugen Ruge"Versuch über eine aussterbende Sprache" fällt dazu gerade ein. Die dort dargestellte Gefahr ist aus meiner Sicht viel größer.
Eine eindrucksvolle Rede, die die Vergänglichkeit in etwas größerem als dem je individuellen Leben schmerzlich bewußt macht. Sprachen, Kulturen, alles stirbt irgendwie irgendwann. Und doch gibt es das Gegenteil, und selbstverständlich kann nichts Neues entstehen und wachsen, wenn nicht auch das eine oder andere verschwindet. Nun sind aber Gewinn und Verlust im Allgemeinen kein Nullsummenvorgang, die Entwicklung hat eine Charakteristik, man könnte von einer Signatur sprechen, und wenn man sich unser Universum anschaut, wird man ihm eine positive Signatur zuerkennen. Eine positive Signatur, die sich in der Menschheitsgeschichte, in der Sprachentwicklung, in der Geistesgeschichte fortsetzt.
Der Befund von Ruge (und noch mehr Ihr Kommentar) fällt so bitter aus, weil wir uns heillos verrannt haben und uns in einem nicht zu gewinnenden Kampf gegen den Verlust unserer Ordnung und Sicherheit befinden. Aber das ist ein temporäres Phänomen. Vielleicht kommt es zu einer amerikanisch-englischen Basic-Weltsprache und die meisten Kleinsprachen verschwinden. Aber diese lingua franca kann das komplexe Sprachbedürfnis von Großgesellschaften, schließlich der Weltgesellschaft, nicht befriedigen. Es werden sich neben dem basic-english die elaborierten gewordenen und hinreichend verbreiteten Hochsprachen erhalten, und selbst im englischen Sprachraum wird es neben der Basisalltagssprache eine englische Hochsprache geben. Die Tendenz zu einer primitiven Basissprache ist die Folge einer technischen Zivilisation, die an ihr Ende gekommen ist.
Wahrscheinlicher ist, daß es zu einer maschinellen Universalübersetzungssprache kommt, die Basisübersetzungen liefert, die in die komplexen Eigensprachen eingearbeitet werden müssen. Ob es dann überhaupt noch eine lingua franca geben muß, ist eine pragmatische und ästhetische Frage. Nein, ich glaube nicht, daß die Menschenwelt noch einmal einfacher wird, und daher auch nicht, daß das mit ihrem Repräsentationssystem Sprache passiert.
"Nun sind aber Gewinn und Verlust im Allgemeinen kein Nullsummenvorgang"
Das genau ist es, was mich zu meinen Schlussfolgerungen bringt. Die Verluste überwiegen bei weitem. Das ist nicht nur durch die zunehmende Benutzung der englischen Sprache so. Davon bin ich an einer Hochschule selbst betroffen, wenn ich merke, dass ich mich auf deutsch ganz anders ausdrücken könnte. Es wird ja inzwischen ein merkwürdiges Mischmasch betrieben. Ganz "Fortschrittliche" fordern die komplette Umstellung der Lehrveranstaltungen auf die englische Sprache. Süffisant setzt ein forscher Professor dazu: "Mit den Ü50 Lehrkräften ist das allerdings schlecht machbar." Aber es kommt ja Nachwuchs. Freunde berichten mir von Meetings, in denen sofort auf die englische Sprache umgeschaltet wird, wenn auch nur ein Engländer unter den 30 Deutschen ist.
Die Veränderungen betreffen aber nicht nur die deutsche Sprache. Der große englische Journalist Robert Fisk beschreibt das in seinem Artikel "Take my word for it, the English language is facing destruction" ganz genauso, wie ich es in den deutschen Veröffentlichungen, auch im dF erlebe.
Wie ich sagte, das ist ein temporäres Problem. Nur kann man Dynamiken nicht linear in die Zukunft verlängern. Ich denke, die gegenwärtige Vedünnung des Ausdrucksvermögens ist eine Folge der kapitalistischen Globalisierung und des spätkapitalistischen Technikwahns. Irgendwann schlägt das Pendel in die Gegenrichtung. Freilich werden bis dahin viele Sprachen auf der Strecke geblieben sein. Und daß Kleinstsprachen verschwinden, muß man nicht bedauern, so wenig wie den Pferdewagen und den Misthaufen neben dem Haus in der Großstadt. Für die meisten Menschen bleibt irgendwann im Leben die Zeit stehen und sie entwickeln nostalgische Gefühle für diese Zeit, der die Zeit davonläuft. Das ist O.K., aber es ist immer nur unsere Zeit, die stehenbleibt, schon nicht mehr die Zeit unserer Kinder. Wenn wir Zukunft haben wollen, dann müssen wir ertragen, daß es eine verblassende Vergangenheit gibt. Wichtig ist, daß es bilanziert ein Gewinn ist. Die Unterwerfung unter den Gleichmacher Englisch, ein Pendant zum Gleichmacher Geld, hatte durchaus einmal ein Fortschrittsmoment, heute entwickelt es sich zum Fluch. Aber die Menschen werden das nicht mitmachen.
Nein, das mein ich gerade nicht. Seehofer gehört wegen der Inhalte seiner Politik geteert und gefedert. Sich wegen seiner fehlenden Sprachkenntnisse über ihn lustig zu machen, ist mir zu billig.
@w.endemann @grenzpunkt o:
Sie machen interessante und lehrreiche Bemerkungen. Danke für den Hinweis auf den Text von Eugen Ruge (den ich noch nicht vollständig gelesen habe). Allerdings haben ihre Bemerkugnen — wenn ich sie richtig verstehe — nur am Rande etwas mit meiner Vorlage zu tun. Ich meine zu Ihren Bemerkungen und Ruges Text:
— Englisch als Weltverkehrssprache ist ein kaltes, armseliges Vehikel, es dient zum Austausch von Daten und Fakten, Verlautbarungen, Bürokratischen Verfahren. Es ist ein "restringierter" Code. Es ist keine "warme" Sprache, um ein Kind in den Schlaf zu wiegen oder eine Liebeserklärung zu machen. Ich bedauere die Englisch-Muttersprachler, dass ihre häusliche Alltagssprache so dicht an dieser eingeschränkten Hilfssprache liegt, dass sie nichts wirklich Privates haben. Ich genieße es, auf andere Sprachen umschalten zu können. Das beobachte ich auch in kleineren europäischen Ländern, wie Dänemark, Flandern, selbst bei Ladinisch-Sprechern. Private Sprachen werden immer erhalten bleiben. Jedenfalls solange es Herren und Knechte gibt.
— So albern viele Anglizismen im Deutschen sind, manche bereichern trotzdem die Sprache. "Agenda" ist eben doch etwas anderes als "Tagesordnung" uswusw. Neue Wörter — neue Differenzierungsmöglichkeiten. Ich verstehe manchen Ärger, aber nicht die Panik.
— Deutsch wird sich verändern und in x Jahren wird es eine andere Sprache sein. Das ist normal, nur tote Sprachen ändern sich nicht. Insbesondere die Hochkulturellen werden Änderungen zu ihrer Lebenszeit immer beklagen. Das Abendland geht immer unter, wahrscheinlich schon seit der Schlacht von Poitiers.
Hier berühren Sie das Thema aus meinem Text: Sprache ist (auch) Distinktionsmerkmal und die Distinguierten fühlen sich durch Änderungen enteignet. Es soll schön alles so bleiben, wie sie es in der Schule gelernt haben. Ich bin wegen dieser Inflexibilität sehr überrascht.
🎈Sich wegen seiner fehlenden Sprachkenntnisse über ihn lustig zu machen, ist mir zu billig.🎈
Ich finde es durchaus berechtigt. Für vernachlässigte Englischkenntnisse gibt es für einen Politiker auf seiner Ebene m.A.n. keine Entschuldigung. Das ist borniert und unhöflich im internationalen Kontext, hinterwäldlerisch. 🍺
Auch ich habe absolut keine Einwände gegen die Aufnahme von Fremdworten aus anderen Sprachen, wenn sie die eigenen Sprachmöglichkeiten bereichern oder präzisieren. Ohne diese Qualitäten allerdings handelt es sich um eine Vermüllung der Sprache.
Die Hochkulturellen, die Änderungen schlechthin verdammen, sind dumm. Vielfach wird allerdings tatsächlich ein Sprachverlust beklagt, und vielleicht gibt es ja immer auch die Tendenz der Simplifikation und Entleerung, also immer Grund zum Jammern. Diejenigen jedoch, die als Intellektuelle angesprochen werden dürfen, arbeiten immer gegen die falsche Simplizität und Formelhaftigkeit der Sprache. Um nicht mißverstanden zu werden, neben dem Falschen sollte durchaus auch das Überflüssige, das Sprache aufbauscht, ohne sie zu verfeinern, eingestampft werden, es ist ein wertvolles Prinzip, die Dinge einfach, so einfach wie möglich sagen zu können. Mögen die, die Sprache weniger als Kommunikationsmittel, mehr als Distinktionsmittel benutzen, sich selbst ins Abseits stellen und in ihrem Dünkel versauern. Aber wir dürfen nicht die Sprache der Poeten und Visionäre aufgeben, oder wollen wir irgendwann nur noch Bedienungsanleitungen – in nicht amerikanisch-englischem, sondern chinesischem deutsch - lesen können und wollen? Derzeit, beginnend mit der von Politikern, nicht von Intellektuellen betriebenen Sprachreform, wird munter vereinfacht und etwa die wunderbare Fähigkeit, mithilfe der Differenz von Getrennt- und Zusammenschreibung oder der Groß- und Kleinschreibung Ausdrucksmöglichkeiten bereit zu halten, abgebaut. Wie Ruge sagt: es ist nicht die Aufgabe der Sprache, uns die Welt zu vereinfachen, sondern sie zu verstehen. Und wenn wir tatsächlich dazulernen können, muß im gleichen Maße die Sprache reicher werden.