Jenseits der roten Linie

Medientagebuch Monica Lierhaus kehrte am Samstag nach langer Abwesenheit ins Fernsehen zurück und offenbarte Privates. Muss uns das interessieren?

Am Wochenende hat die ARD-Sportmoderatorin Monica Lierhaus einen Preis bekommen. Die „Goldene Kamera“ wurde verliehen von der Zeitschrift Hörzu, das ZDF übertrug, und die Kategorie, in der Lierhaus ausgezeichnet wurde, hieß „Ehrenpreis“.

Lierhaus war lange krank gewesen, 25 Monate war sie nicht im Fernsehen zu sehen, und sie hat in den vergangenen 25 Monaten beruflich auch sonst nichts geleistet. Daran gibt es nicht das Geringste zu beanstanden, sie hatte wahrlich Wichtigeres zu tun. Festzuhalten bleibt aber, dass sie den Preis demnach dafür bekommen hat, dass sie ihn nach 25-monatiger Abwesenheit persönlich entgegenzunehmen bereit war. Dafür, dass sie sich, noch als von der Krankheit deutlich gezeichnete Privatperson, zurück in ihre Rolle einer öffentlichen Person begab.

Nun weiß eh jeder alles

Als Lierhaus 2009 überraschend vom Bildschirm verschwand, war das öffentliche Interesse an Details ihrer Erkrankung groß gewesen. Manche Zeitung versuchte, ihre extrem persönlichen Angelegenheiten ins Rampenlicht zu rücken, so dass Lierhaus’ Anwalt die Presselandschaft mit der Nachricht versorgte, dass jegliche Berichterstattung über ihr Privatleben nicht ohne Folgen bleiben würde. Lierhaus sollte selbst bestimmen dürfen, was sie wann wem über ihre Krankheit erzählt. Prominente verlieren nicht ihr Recht auf Distanz, nur weil sie die Sportschau moderieren.

Im Rahmen der Verleihung der „Goldenen Kamera“ hat Lierhaus aber nun entschieden, die Welt teilhaben zu lassen an den Folgen ihrer Krankheit. Am Morgen nach der Verleihung erschien ihre Geschichte – beschränkt auf den Teil, den sie selbst zu erzählen bereit war – in Bild am Sonntag, die wie Hörzu im Axel-Springer-Verlag erscheint. Indem sie die größtmögliche Öffentlichkeit gebündelt mit Details und Bildern versorgte, nahm sie allen weiteren Journalisten, die sich für ihr Privatleben interessierten, die Arbeitsgrundlage: Nun weiß eh jeder alles. Alles, was noch kommt, ist ein müder Aufguss des bereits Bekannten. In Unkenntnis der Abmachungen, die sie mit Hörzu und Bild am Sonntag traf, kann man zumindest vermuten: Sie selbst hat entschieden, wann sie mit wem in welchem Rahmen das nicht weg­diskutierbare öffentliche Interesse an ihrem Gesundheitszustand befriedigt.

Sind wir Zyniker?

Allerdings ist dabei das Interesse, dass die so genannte Öffentlichkeit – das wären dann wir alle – zwangsläufig wirklich hat, maßlos überbefriedigt worden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach nach Lierhaus’ Auftritt von einem wahren Moment in einer an „kalkulierter Emotionalisierung“ nicht armen Showbranche; einem Moment, der „für Zyniker gleich wieder etwas Irritierendes und Schockierendes“ habe.

Und tatsächlich: Es war ein irritierender Moment. Aber ist das Bedürfnis, nicht unvermittelt einem voyeuris­tischen Druck ausgesetzt zu werden, wirklich zynisch? Als Monica Lierhaus jedenfalls, noch auf der Bühne, ihren Freund vor laufenden Kameras fragte, ob er sie heiraten wolle, hat sie eine rote Linie überschritten. In diesem Moment der nicht erzwungenen Offenlegung von privaten Neuigkeiten ist sie weit über das notwendige Maß der Selbstentblößung hinausgegangen, das ihr Beruf tatsächlich verlangt.

Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek – als einer der wenigen in einem Chor von Bewegten, Emotiona­lisierten und Erschrockenen – äußerte hinterher gegenüber Bild.de, dass ihm persönlich der Heiratsantrag dann doch zu privat gewesen sei. Er hat damit ein anderes Bedürfnis der so genannten Öffentlichkeit, die vor Heterogenität ja offensichtlich nur so strotzt, in die Kamera formuliert: Manchmal sollte auch ein öffentliches Desinteresse befriedigt werden.

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