Zum Beitrag "Antizionistisches Bedenkenswertes" von Gerhard Hanloser

Kommentar zur Rezension Als Übersetzer und Mitherausgeber dieser kleinsten Schrift von Pierre Stambul möchte ich mich zunächst für die überwiegend positive Rezension von Gerhard Hanloser bedanken, aber doch einige Bemerkungen anfügen.

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Als der Zionismus Ende des neunzehnten Jahrhunderts aufkam - als eine der Reaktionen auf den antisemitischen Terror -, befassten sich die meisten jüdischen Organisationen mit der Befreiung aus ihrer erzwungenen gesellschaftlichen Marginalisierung und mit sozialer Befreiung - der Zionismus dagegen setzte sich für eine eigene nationale Perspektive der Juden ein und bedeutete somit eine Abkehr von dieser Befreiungsaufgabe - eben deshalb hatte er die große Mehrheit der jüdischen Organisationen gegen sich. Hanlosers Charakterisierung des Zionismus als "nationale Befreiungsbewegung" ist deshalb ein Widerspruch in sich, zumal seine Vertreter mit den Herrschenden zusammenarbeiteten. Da es kein "Land ohne Volk" gab, wo die Zionisten ihren Traum eines rein jüdischen Staates hätten umsetzen können, trug dieser Nationalismus von Beginn an den Keim der Unterdrückung und Vertreibung von Ortsansässigen in sich - was man gemeinhin als Kolonialismus bezeichnet, auch wenn Hanloser sich müht, diesen Vorwurf mit Verweis auf die jüdische Arbeiterbewegung zu entkräften. Was kam nicht alles aus der Arbeiterbewegung! - unter anderem Noske und Mussolini.

Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts konzentrierte sich das Streben nach dem eigenen Staat auf Palästina. Die Ansiedlung von Juden wurde von den Briten gefördert, die ihrem Mandatsauftrag zur Bildung eines palästinensischen Staates nicht nachkamen, den Aufbau quasistaatlicher jüdischer Strukturen ebenso zuließen wie die Verdrängung und Vertreibung von Palästinensern, und gemeinsam mit jüdischen Kampforganisationen den palästinensischen Widerstand blutig niederschlugen. Stambul kann in dieser kurzen Schrift nicht den Kontext der gesamten Entwicklung von zunehmender Kolonisierung und Widerstand darstellen, und so trifft Hanloser Vorwurf, Massaker an Juden 1929 unterschlagen zu haben, ebenso daneben wie seine Kritik an Stambuls Versuch, die religiös-mystische Rechtfertigung der Rückkehr der Juden ins versprochene Land zu widerlegen.

Die israelische Staatsgründung nach dem Holocaust ging einher mit der generalstabsmäßig geplanten und durchgeführten Vertreibung und Ermordung von 700.000 Palästinensern, wie man beim israelischen Historiker Ilan Pappé nachlesen kann (Ilan Pappé, Die ethnische Säuberung Palästinas). Dies unter Führung der zionistischen "Linken", die im Kampf gegen palästinensische Arbeiter groß geworden war. Hanloser hält es dennoch für "grundsätzlich falsch", wenn Stambul "die Legitimität einer israelischen Gesellschaft im historischen Raum Palästina bestreitet". Das begründet er mit einer Täter-Opfer-Umkehrung: Wer die Legitimität Israels bestreitet, will angeblich die Vertreibung und Ermordung der Israelis. Ich kann ihn da beruhigen: Stambul meint, dass man eine ethnische Säuberung nicht mit einer zweiten aufheben kann. Bisher sind es nur die Israelis, die "from the river to the see" praktizieren - und wir kennen solche Täter-Opfer-Verdrehungen schon aus der deutschen Revolution: Die Ermordung tausender Revolutionäre 1918 - 1920 wurde mit der Angst vor ihren angeblich geplanten Gewalttaten gerechtfertigt. Zur Frage der Legitimität würde es auch nichts schaden, mal in die Plädoyers vor dem Internationalen Strafgerichtshof hineinzuschauen. Legitim ist der Widerstand gegen die Besatzung, auch wenn er entsetzliche Formen annehmen kann, die wir als inhuman kritisieren und mit denen er sich am Ende selbst schadet.

Hanloser setzt Islam mit Islamismus gleich, was darin gipfelt, dass er die Ermordung palästinenserfreundlicher Kibbuzbewohner am 7. Oktober als Beweis für das Scheitern der von Stambul geförderten Versöhnungsbemühungen anführt. Das ist schon deshalb absurd, weil in solcher Situation nicht nach Individuen unterschieden werden kann, und es würde die Unsinnigkeit sämtlicher jahrzehntelanger Versöhnungsinitiativen bedeuten, so auch des gemeinsamen Dokumentationsfilms des Palästinensers Basel Adra und des Israelis Yuval Abraham. Das Kulturzentrum Oyoun sollte übrigens nicht nur die Förderung verlieren, sie ist ihm entzogen worden. Und die Gleichschaltung geht weiter, für die die Meinungsgewaltigen in Berlin perfiderweise einen schwarzen Senator benutzen.

Hanloser bekommt es fertig - wie auch Moshe Zimmermann bei seinem Vortrag in Berlin-Dahlem am 29. Februar - nicht ein einziges Wort zu verlieren über den sich vor unseren Augen abspielenden Massenmord an der palästinensischen Bevölkerung. Ich halte das für einen Ausdruck von Blindheit, wenn nicht von Suprematismus. Der israelische Suprematismus verunmöglicht die realistische Umsetzung sowohl der Zweistaatenlösung, die Zimmermann propagiert, wie auch die Einstaatslösung (d.h. ein Staat mit gleichen Recht für alle, Rückkehr und Entschädigung), die Stambul und Ilan Pappé propagieren. Für beide Lösungen müssten die Israelis nachgeben, was bei der Geistesverfassung ihrer großen Mehrheit völlig unmöglich ist: Da spricht man sich offen für die Tötung von Palästinensern in der Westbank aus, da ist es schon jahrelang üblich, von Wachtürmen Kinder abzuschießen und von Aussichtsstellen Bombardierungen zu beklatschen, da werden Soldaten fürs Töten belobigt und Regierungsmitglieder sprechen von Tieren und, und, und. Israelischer Verzicht auf Gebiete oder auf die jüdische Vorherrschaft in ihrem Staat könnten somit nur von einer Million UN-Soldaten mit hartem Mandat durchgesetzt werden - und die Realität widersetzt sich Hanlosers Versuch, die antiimperialistischen Erklärungen in die 68er-Mottenkiste zu verschieben: bei aller Kritik werden die USA weiter finanzieren und Waffen liefern, assistiert von ihrem Deutschen Mitläufer. So wird der Konflikt leider mit Besatzungsterror und womöglich mit Vollendung der ethnischen Säuberung, wie schon von Ben-Gurion angestrebt, und dem Gegenterror der Unterdrückten - mit Hass und Gegenhass - weitergehen, wenn er nicht in einen größeren Konflikt eskaliert. Auch wenn es aussichtslos ist, ist der Platz von Linken "einseitig" an der Seite der Unterdrückten.
Bei Hanlosers Rezension bekommt man dagegen den Eindruck, dass er seine Kritik an Pierre Stambuls Schrift benutzt, um den Palästinensern das Recht auf Widerstand abzusprechen.

Klaus Dallmer, 4. März 2024

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