Eine Neuseeländerin zeigt, wie Politik geht

Jacinda Ardern Der Terrorakt von Christchurch hat vielen die Augen geöffnet, und er hat gezeigt, wie eine Gemeinschaft damit umgehen kann, wenn Politiker die richtigen Zeichen setzen.

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Die Betroffenheit nach dem Terroranschlag von Christchurch wich sehr schnell der Bewunderung für eine Frau, eine Politikerin. Die Neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern zeigte, wie eine souveräne Gesellschaft mit solchen Akten von Hass und Gewalt umgehen muss. Aus allen Teilen der Welt und aus allen Schichten kommt Hochachtung für ihr Auftreten und ihr Krisenmanagement. Nur von Seiten unserer Spitzenpolitiker vernimmt man diese offene Bewunderung nicht. Fühlen Sie die eigenen Defizite, wenn sie sehen, wie man es richtig macht?

Warum ist Arderns Botschaft so glaubwürdig? Als geradezu ikonisches Bild wird ihr Auftritt mit Kopftuch bei einem Treffen mit muslimischen Hinterbliebenen gewertet. Warum unterscheidet sich dieses Bild in seiner Ausstrahlung so grundsätzlich von den Bildern, auf denen unsere Politiker demonstrativ Kippa tragen? Warum wirkt keines von denen so glaubwürdig? Ich weiß es nicht.

Wie sich der Stil einer von Humanität dominierten Persönlichkeit vom Politprofi-Stil hierzulande unterscheidet, zeigt sich am besten in Arderns Rede vor dem Parlament [i] am 19. März. Die üblichen Floskeln von Trauer und Bestürzung, mit der man den Anschlag auf das Schärfste verurteilt, finden sich hier nicht. Und das aus gutem Grund: sie sind hohl, nichtssagend. Jacinda Ardern benennt stattdessen die Menschen, die vor Ort waren, die ums Leben kamen, die ihr eigenes Leben einsetzten, um den Verbrecher zu überwältigen. Mit keinem Wort aber benennt sie den Verbrecher selbst. Sie erhebt ihn nicht in den Rang einer Person, eines Mitmenschen. Sie verleiht dieser Kreatur kein Gesicht. Durch die Nichtnennung des Namens wird er zu dem klassifiziert, was er ist: ein UNmensch.

"Der Täter hat mit seinem Terrorakt mehrere Ziele verfolgt. Eines davon war, berühmt zu werden. Und das ist, warum Sie niemals seinen Namen aus meinem Mund hören werden. Er ist ein Terrorist. Er ist ein Verbrecher. Er ist ein Extremist. Aber er wird, wenn ich spreche, namenlos bleiben. Ich appelliere an Sie alle: Nennen Sie die Namen der Opfer. Nicht den Namen jenes Mannes, der ihnen das Leben geraubt hat. Er wollte zur Legende werden. Aber wir in Neuseeland werden ihm nichts geben. Nicht einmal seinen Namen."

Ardern kündigte auch eine Überprüfung der Waffengesetze an. Aber anders als in Amerika oder Deutschland, wo diesen Ankündigungen nie Taten folgen, werden in Neuseeland bereits 6 Tage später Sturmgewehre und halbautomatische Waffen verboten.

Das Bild, das Jacinda Ardern zeichnet, wenn sie von einer offenen Gesellschaft spricht, wird von allen Menschen verstanden, denn es ist von einem Menschen gezeichnet, nicht von einem Politiker.

"Wir sind eine Nation von 200 Ethnien und 160 Sprachen. Wir öffnen unsere Türen für andere und heißen sie willkommen. Und das einzige, was sich nach den Ereignissen vom Freitag ändern muss, ist, dass diese Tür allen, die Hass und Angst befürworten, verschlossen bleiben muss."

Sie sagt nicht: "Der Islam gehört zu Neuseeland." Sie sagt: "Wir sind eins, sie sind wir."

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[i] Wortlaut der Rede auf Englisch und auf Deutsch

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst

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