Gendersprache – Indiz der Entdemokratisierung

Gefährdete Einheit In einer Zeit, wo es mehr denn je auf Geschlossenheit ankommt, wird sie durch ideologische Grabenkämpfe zerstört. Die Aktivisten dieser Kämpfe ignorieren dabei auch die Grundpfeiler der Demokratie. Das zeigt sich am Beispiel Gendersprache.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Hier soll nicht über Sinn oder Unsinn gendergerechter Sprache debattiert werden.
»Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.« (Karl Valentin)
Und, in der Tat, die Argumente sind im Überfluss ausgetauscht worden. Vielmehr soll dieser Beitrag zeigen, dass die Instrumentalisierung der Gendersprache durch Ideolog*innen zu einer Gefahr für die Demokratie geworden ist, und dass dies nicht nur billigend in Kauf genommen wird, sondern so gewollt ist.

»Unsere Zeiten sind vielleicht nur darin neu, dass in ihnen immer etwas zu Ende geht, aber nichts Neues an seine Stelle tritt […] Nun also anscheinend auch die Demokratie
So beginnt Philip Manow sein Buch „(Ent-)Demokratisierung der Demokratie“.
Anfang aller Entdemokratisierung ist das Infragestellen des Grundprinzips der Demokratie: die Herrschaft der Mehrheit. Diese Polemik enthält meist den Begriff „Diktatur der Mehrheit“. Der mag in bestimmten Fällen angebracht sein, beispielsweise bei der Legitimierung zivilen Ungehorsams; generell aber nur dann, wenn berechtigte Interessen einer Minderheit verletzt werden, ohne dass vergleichbar wichtige Interessen der Mehrheit entgegenstehen. Diese Interessen können aber nicht automatisch als berechtigt gelten, wenn die Minderheit das einfach so empfindet, sondern nur, wenn die Berechtigung empirisch belegt ist. Und selbst in diesem Falle muss außerdem eine Interessenabwägung erfolgen.
Immer, wenn jemand das Mehrheitsprinzip anzweifelt, ohne dass diese Kernbedingung erfüllt ist, und wenn dann dieser Zweifel von der Gesellschaft respektiert wird, rückt das Ende der Demokratie näher.

Berechtigte Interessen oder was?

Wägen wir also ab. Zunächst das Interesse der Mehrheit:
Seit Jahrzehnten ist kaum etwas auf so breite Ablehnung in der Bevölkerung gestoßen wie die Gendersprache, und zugleich wird diese Ablehnung, obwohl sie sachlich und vehement über Jahre artikuliert wurde, von der Politik und deren Erfüllungsgehilfen derart konsequent ignoriert. Hierin zeigen sich die Schwächen der Meinungsfreiheit, denn versteht man darunter nur, sagen zu dürfen, was man will, ist sie nichts als ein Ventil. Meinungsfreiheit macht erst Sinn, wenn die vorgetragenen Meinungen bei politischen Entscheidungsträgern Beachtung finden. In diesem Fall tun sie das nicht.
Welche berechtigten Interessen der Mehrheit werden verletzt?
a) Sprache soll verbinden, aber Gendersprache spaltet, beeinträchtigt die Kommunikation und reduziert die Menschen auf ihr biologisches Geschlecht. Viele Menschen fühlen sich durch eine aktivistische Minderheit bevormundet und moralisch disqualifiziert.[1][2]
b) Sprache soll gefallen. Sprache gilt als höchstes Kulturgut, Veränderungen beinträchtigen das ästhetische Empfinden. Sprachwandel muss daher von der Sprachgemeinde selbst ausgehen. Die Einführung der Gendersprache ist aber kein natürlicher Sprachwandel.[3])[4]
c) Sprache soll verstehen helfen. Verständlichkeit für alle und effektive Kommunikation sind ihre wichtigsten Ziele. Gendersprache beeinträchtigt Verständlichkeit und Lesbarkeit sowie die Sprachökonomik gravierend.[5][6]

Dem gegenüber stehen die Interessen der Minderheit, die Gendersprache befürwortet. Diese Interessen reduzieren sich auf eine Forderung: Beseitigung von Diskriminierung. Eine Forderung, welche in der Tat so schwerwiegend sein könnte, dass die Interessen der Mehrheit dahinter zurückstehen müssten – wenn sie denn berechtigt wäre. Ist sie aber nicht, denn:
a) Nur ein kleiner Teil dieser Minderheit fühlt sich persönlich durch die nicht gendergerechte Umgangssprache diskriminiert. Die meisten von ihnen folgen ideologischen Motiven oder möchten sich mit den vermeintlich Diskriminierten solidarisch zeigen.
b) Das Gefühl der Diskriminierung allein reicht nicht aus, um die Interessen der Mehrheit zurückzustellen. Es bräuchte dafür empirische Belege, die bislang nicht erbracht worden sind bzw. keiner objektiven Bewertung durch Sprachwissenschaftler standhalten konnten. Dass es Menschen gibt, die sich diskriminiert fühlen, soll hier nicht geleugnet oder geringschätzt werden. Ihnen stehen aber in unserer Gesellschaft sehr viele Mittel und Wege zur Verfügung, sich gegen tatsächliche Diskriminierung zu wehren. Selbst in der taz, die nicht gerade als reaktionäres Medium alter, weißer Männer gilt, wird dies so gesehen:
»Der Widerstand gegen das Gendern richtet sich gegen die aufgezwungene Sprachpolitik und ist nicht gleichzusetzen mit der Ablehnung von Diversität, Gleichstellung und Diskriminierungsfreiheit. Diese Werte sind mittlerweile über ein breites politisches Spektrum konsensfähig in einer aufgeklärten, egalitären Gesellschaft. Die Gender-Befürworter vertreten sie nicht exklusiv[7]
c) Zudem stehen den Interessen dieser Minderheit andere Minderheiten gegenüber, die durch Gendersprache benachteiligt werden: Menschen mit Lernschwierigkeiten, körperlicher oder geistiger Behinderung, Migrationshintergrund. Deren Benachteiligung ist nicht nur empfunden, sondern empirisch belegt.[8]

Fazit: Es darf nicht geschehen, dass die Befindlichkeiten einer Minderheit zum Maßstab erhoben werden und, dem folgend, einem ganzen Volk auferlegt wird, seine Sprache und damit einen der wesentlichsten Bestandteile seiner Kultur zu verändern. Nur die nüchtern-sachliche, empirisch begründete Abwägung der Interessen und daraus folgende konsequente Entscheidungen können dieser Gefahr vorbeugen.

Die Pflichten des Staates und der Medien

Nun wird oft gesagt, in amtlichen Dokumenten kann ja Gendersprache verwendet werden, aber nicht im privaten Bereich. Dem kann ich nicht folgen. Gerade im privaten Bereich mag jeder sprechen, wie er möchte; da wird jeder die Sprache an sein jeweiliges Umfeld anpassen.
»Vielleicht setzt sich gendergerechte Sprache am Ende nicht durch. Vielleicht wird sie längst nicht so viel bewirken, wie sich manche erhoffen. Doch für mich gibt es keinen Grund, nicht zu gendern. Ich bin der Meinung: Wer gendert, kann nur gewinnen. Und wer das so nicht sieht, lässt es eben bleiben[9]
Dieser ausgewogenen Position von Susanne Schumann kann ich mich nur anschließen. Wie gesagt: für den privaten Bereich.
Der Staat aber hat das zu tun, was er in einem demokratisch verfassten System zu tun verpflichtet ist: den Gesetzen und dem Willen der Mehrheit zu folgen. (Einschränkung siehe oben) Dies gilt auch für die Amtssprache, und das bedeutet:

Weil
1. das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung Gendersprache ausdrücklich nicht vorsieht,
[10]
2. die Mehrheit der Menschen Gendersprache ablehnt,
[11]
muss es staatlichen Instanzen verboten sein, diese Sprachformen zu verwenden.

Gleiches hat für die öffentlich-rechtlichen Medien zu gelten. Den meisten davon ist das aber offenbar nicht bewusst.
Kaum Überlebenschancen für das generische Maskulinum“ ist ein Interview mit Sprachwissenschaftlerin Heidrun Kämper überschrieben. Die nimmt aber nicht etwa Partei, sie beschreibt lediglich, was sie beobachtet:
»Wenn die Entwicklung so weitergeht wie jetzt, dass es ohne Frage so sein soll, dass Frauen markiert werden sollen in Texten, dann wird das generische Maskulinum eine historische Form werden[12]
Nun wird im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gern kolportiert, dass es so sein soll, während stets auf die Information verzichtet wird, dass
a) alle maßgebenden Instanzen in Fragen der Deutschen Sprache gegen geschlechtergerechte Schreibweise sind [13]
b) laut Umfragen die übergroße Mehrheit der Menschen sagt, dass es nicht so sein soll.

Wie Petra Gerster erzählt, habe sie anfangs nicht geglaubt, geschlechtersensible Sprache in ihren Moderationen zu verwenden. „Es ist wirklich eine Gewöhnungsfrage“, sagte Gerster.[14] Offenbar wird diese „Gewöhnung“ auch den Zuschauern abverlangt. Alle Menschen dieses Landes zahlen Gebühren für Rundfunk und Fernsehen; sie sind zahlende Kunden der Journalisten. Weshalb muss sich die große Mehrheit dieser Kunden an etwas gewöhnen, das sie ablehnt?

Zu einem der wichtigsten Sprachrohre des Gender-Aktivismus ist Deutschlandfunk Kultur geworden. Welch skurrile Denkweisen sich dort inzwischen Geltung verschaffen, berichtet Judith Sevinç Basad:
»So erzählte eine Moderatorin neulich im Deutschlandfunk (DLF), dass es nur richtig sei, wenn man Wörter wie Terrorist und Verschwörungstheoretiker nicht gendere. Denn: Diese Gruppen beständen hauptsächlich aus Männern, und man wolle das Geschlecht „gerecht abbilden“. Das Sternchen übernimmt so eine willkommene Nebenwirkung: Es markiert die Dinge, die moralisch gut sind.«[15] - Unglaublich!

Die ganze Tragik besteht darin, dass die Gendersprache von Aktivisten forciert wird, deren Energie sich oftmals aus dem Hineinphantasieren in eine Opferrolle speist. Da fühlt sich beispielsweise eine Schülerin ausgegrenzt, weil ihre Lehrerin sagte, sie brauche mal ein paar starke Jungs, um Möbel in einen anderen Klassenraum zu tragen (Hörertelefonat MDR). Dass Jungs biologisch bedingt kräftiger sind als Mädchen, ist da gar kein Argument.

Wo bleibt der Aufschrei?

Die Gegenseite betrachtet das alles mehr oder weniger passiv bis belustigt, aber sie tritt dieser Entwicklung nicht energisch entgegen. Die Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Ellen Presser, fragt in einem sehr emotionalen Beitrag:
»Wo bleibt der Aufschrei der Männer, die im Gendersprech verschwinden? Wo der der SprachwissenschaftlerInnen (hier sieht man den Unsinn mal ausgeschrieben)? Wo der der schreibenden Zunft und aller frei denkenden Menschen in diesem Land?«[16]
Nun gibt es sehr wohl diesen Aufschrei, aber dass sich viele damit zurück halten, ist kein Wunder, denn wer sich kritisch äußert, wird ohne Ansehen der Person attackiert, mit Shitstorm belegt, in die Schublade Alte weiße Männer gesteckt. Dass sich unter den Kritikern auch jede Menge junge Leute, Frauen und Nicht-Weiße befinden,[17] wird geflissentlich übersehen. Als Beispiel sei hier Mirna Funk zitiert:
»Die Frage bleibt, ob sich dieser dichotomische Quatsch noch fünf oder möglicherweise sogar zehn Jahre halten wird – und ich es deshalb nicht schaffen werde, vor meinem 50.Geburtstag eine ungegenderte Masterarbeit abzugeben, ohne dafür meinen Studienabschluss zu riskieren. Bei der aktuellen politischen Situation sehe ich für mich, als Frau, die keinen Bock auf Konformität hat und sich trotz ihrer Mehrfachdiskriminierung im Leben immer frei fühlte, ein bisschen schwarz.«[18]
Auf die Situation an den Hochschulen, wo rechtswidrig (und demokratiefeindlich!) Studenten benachteiligt werden, die sich dem Genderdogma nicht beugen wollen, wurde zur Genüge in der Presse berichtet.

Warum wir uns das nicht gefallen lassen dürfen, begründet Peter Sloterdijk:
»Kein Mensch braucht Regeln, die eine grammatisch verkorkste Sprache als eine politisch korrekte oktroyieren wollen. […] Warum das Genderspiel befolgt werden sollte, ist mir ohnedies nicht klar – faktisch geht es bloß um die Mitmacherei der Einknicker und Einknickerinnen aus allen Lagern vor einem kurzatmigen Usus[19]

Teile und herrsche!

Eingangs sagte ich, dass die Gefahr für die Demokratie nicht nur billigend in Kauf genommen wird, sondern so gewollt ist. Warum?
Eine von globalen Problemen permanent überforderte Staatsführung ist ständig mit massivem Dissens und Protest aus allen Schichten der Bevölkerung konfrontiert. Die größte Angst hat sie dabei vor einer Sache: Einigkeit der Dissidenten. Alles, was die Einheit der Kritiker schwächt – identitäre Bewegungen, Separierung und ideologische Grabenkämpfe – sehen sie deshalb mit großer Freude. Teile und herrsche! Das Zerwürfnis von Anhängern und Gegnern der Gendersprache ist da sehr willkommen. Bei aller Meinungsverschiedenheit über Weg und Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung hatten die Menschen eine verbindende Komponente: die Sprache. Damit konnten sie ihre Meinungsverschiedenheiten austragen, sie ermöglichte die Grundvoraussetzung demokratischen Wandels: die konstruktive Debatte. Dieses entscheidende Element wird nun beseitigt. Sehr zur Freude der Teilenden und Herrschenden.

(zuerst veröffentlicht auf ZukunftsAspekte)

Quellennachweis:

[1] Josef Bayer „Warum Top-Linguisten gegen die gegenderte Satzung protestieren“ WELT 10.02.2022

[2] Martin Bewerunge „Debatte um Gendern spaltet auch die Jungen“ RP ONLINE 13.02.2022

[3] Heide Wegener „Die Gender-Lobby und ihr Märchen vom „Sprachwandel““ WELT 07.03.2022

[4] Susanne Lenz „Die Genderfraktion verachtet die deutsche Sprache“ Berliner Zeitung 12.05.2021

[5] Peter Eisenberg „Die Zerstörung des Deutschen“ WELT 10.08.2021

[6] Domingos de Oliveira „Gendern – Warum Unterstrich und Stern nicht barrierefrei sind“ netz-barrierefrei.de

[7] Dörte Stein „Symbolkämpfe in der Sackgasse“ taz 03.07.2021

[8] Nachweis auf ZukunftsAspekte

[9] Susanne Schumann: „Wie Gendern unsere Sprache und unser Denken bereichern kann“ Brigitte 16.05.2021

[10] Rat für deutsche Rechtschreibung Pressemitteilung vom 26.03.2021

[11] Nachweis auf ZukunftsAspekte

[12] „Kaum Überlebenschancen für das generische Maskulinum“ Deutschlandfunk Kultur 09.03.2021

[13] Nachweis auf ZukunftsAspekte

[14] Maischberger Die Woche 10.03.2021

[15] Judith Sevinç Basad: „Von Steuer*innenzahlern und Rassisten“ NZZ 25.05.2021

[16] Ellen Presser„Jüd*innen und anderer Gender-Stuss“ Jüdische Allgemeine 11.03.2021

[17] Nachweis auf ZukunftsAspekte

[18] Mirna Funk „Mir läuft es beim Anblick der Pronomen eiskalt den Rücken herunter“ WELT 09.03.2022

[19] Interview mit Peter Sloterdijk, BILD 19.10.2020

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus Fürst

Es ist die unüberwindliche Irrationalität, die dem Menschen den Ausgang aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit versperrt.

Klaus Fürst