Es gibt in diesem Jahr neue Filme, darunter einen von Regisseur Quentin Tarantino. Charles Manson, der Auftraggeber der Morde vor einem halben Jahrhundert, der „Anführer eines Kults“, wie es heißt, der nie erfolgreiche Musiker, ist Sinnbild und Karikatur des Bösen. Man sehe das doch auf dem Foto des Mannes mit dem Hakenkreuz auf der Stirn. Oder man höre es in den Interviews, die Manson in der Haft gegeben habe. In einem 1987 vom Fernsehkanal NBC ausgestrahlten Gespräch versichert Manson, Schuldgefühle habe er keine. Vielleicht hätte er „vierhundert oder fünfhundert Menschen“ töten sollen, dann hätte er etwas beigetragen zur Gesellschaft. Wollte er wirklich jemanden umbringen, sagte Manson zur NBC-Reporterin, würde „ich das Buch hier auf dem Tisch nehmen und dich totschlagen“. Und außerdem habe er gar nie jemanden umgebracht. Die Frage bleibt, ob er verrückt war oder verrückt spielte oder das Fernsehpublikum an der Nase herumführen wollte in seiner Rolle als Charles Manson.
Was passiert ist nachts, an diesem 9. August 1969: „Sharon Tate und weitere vier Menschen ermordet“, stand in der Los Angeles Times. „Hollywood – rituelle Morde“, hieß es im San Francisco Examiner. Oder: „Sexpot-Schauspielerin und vier andere ermordet“, stand in den New York Daily News. Es gab viel Blut am Tatort in der Villa im 10050 Cielo Drive, einer edlen Adresse im Großraum Los Angeles. Vier der fünf Opfer waren erstochen worden, eines wurde erschossen. Die hochschwangere Tate lag da mit sechzehn Wunden. Das weiße Kleid eines Opfers sei rot gefärbt gewesen vom Blut, schrieb Staatsanwalt Vincent Bugliosi. Und „Pig“ (Schwein) sei mit Blut auf eine Tür geschrieben gewesen.
Sharon Tate, 26 Jahre alt, war Schauspielerin und die Ehefrau von Regisseur Roman Polanski. Ebenfalls ermordet wurden Jay Sebring (35), Ex-Freund von Tate, die Kaffeekonzernerbin Abigail Folger (25) und deren Freund Voytek Frykowski (32) sowie der 18-jährige Steven Parent, der zufällig am Tatort war und die anderen gar nicht kannte. Die New York Daily News vermerkte: „Die grausige Szene mit Andeutungen eines bizarren religiösen Ritus erinnerte an Polanskis Filme.“ Der „Meister des Makabren“, Regisseur unter anderem des Horrorfilms Rosemaries Baby, produziert 1968, hielt sich zur Tatzeit für Dreharbeiten in Europa auf.
Das waren reale Morde in der Welt von Glamour und Fiktion und Fake. Und einen Tag danach noch einmal: Zwei ebenso blutige Opfer wurden ganz in der Nähe gefunden, die Leichen des Ehepaares Rosemary und Leno LaBianca, Letzterer Chef einer Kette von Lebensmittelläden. Auch hier Messerstiche, diesmal war „Death to Pigs“ (Tod den Schweinen) mit Blut an eine Wand geschmiert. Los Angeles bekam Angst, besonders die Unterhaltungsindustrie: Ein Monster war hier unterwegs. Hollywood-Stars sollen Schusswaffen gekauft haben. Manson sei der „gefährlichste Mann“ der Gegenwart, befand das Magazin Rolling Stone 1970.
Es sollte mehrere Monate dauern, bis es zu den Verfahren gegen die mutmaßlichen Täter kam, vier junge Frauen namens Leslie Van Houten, Patricia Krenwinkel, Susan Atkins und Linda Kasabian sowie zwei Männer, Charles Watson und der angebliche Anführer des Horrors: Charles Manson. Dieser hatte nach einer kaputten Kindheit die Hälfte seines Lebens in Erziehungsanstalten und Gefängnissen zugebracht. In den Medien wurden die Angeklagten alsbald bekannt als die „Manson-Familie“, die jungen Frauen gesondert als die „Manson Girls“. Manson habe Hippies um sich versammelt, um Orgien zu feiern und Drogen, vor allem LSD, zu konsumieren, hieß es. Die Kommune habe ihn verehrt wie Jesus Christus. Er soll von einer Apokalypse gesprochen haben und dem kommenden Krieg zwischen Schwarz und Weiß.
Ronald Reagan war zu jener Zeit Gouverneur von Kalifornien, der aus dem gleichen Bundesstaat stammende Richard Nixon saß im Weißen Haus. Beide Republikaner standen auf Kriegsfuß mit Hippies, illegalen Drogen und sexueller Freizügigkeit. Der frühere Hollywood-Schauspieler Reagan hatte im Wahlkampf seine Leute mit Warnungen vor moralischem Zusammenbruch bedacht. An der Universität Berkeley fänden Sexorgien statt und seien so „ekelhaft, dass ich sie Ihnen nicht beschreiben kann“, sagte Reagan seinen Wählern. In Indochina warfen US-Amerikaner, wesentlich jünger als Manson, Handgranaten, Napalm und Fliegerbomben und versprühten das Entlaubungsmittel „Agent Orange“. Ein halbes Jahr vor dem Massaker im Cielo Drive massakrierten US-Soldaten im südvietnamesischen Dorf My Lai Hunderte Frauen, Kinder und ältere Männer. In den USA kollidierten daraufhin Kriegsgegner mit dem Establishment und der Nationalgarde.
Schließlich kam es zu den Manson-Morden, nur kurz nach der ersten Mondlandung und ein paar Tage vor „Woodstock“ mit Janis Joplin, Jimi Hendrix, Santana und The Who. Das dreitägige Musikfestival gilt bis heute als eine Art Abgesang auf die zu Ende gehenden 1960er Jahre. Bei der eher vergeblichen Suche nach Sinn und Bedeutung von „Manson“ werden die Bluttaten häufig als brachiales Symbol für ein sich neigendes Zeitalter gedeutet, was vielleicht naheliegend erscheint, aber nicht zutrifft. So schrieb der Kulturhistoriker Jeffrey Melnick von der Universität Massachusetts in seinem Buch Creepy Crawling (2018) über das Phänomen Manson: Dieses habe vielen in der US-Gesellschaft eine Gelegenheit angeboten, den 1960er Jahren den Rücken zuzukehren. Das seien die Hippies gewesen, die Frauenbewegung, die Bürgerrechtler und Black-Power-Aktivisten, aber auch Junkies und andere. Sie alle seien aufgewühlt gewesen, viel Porzellan ging kaputt. Nach „Manson“ konnte man mit erhobenem Zeigefinger warnen: Dazu muss es kommen, wenn alle Regeln über Bord geworfen werden. Patriarch Manson und seine „Girls“ seien die Albtraum-Version dessen, was sich in amerikanischen Haushalten in den späten 1960er Jahren zugetragen habe, schreibt Jeffrey Melnick.
Lynette Fromme traf Charlie Manson 1967 im kalifornischen Venice. Sie war 18 Jahre alt und auf der Suche nach einer Bleibe. Ihr Vater hatte sie rausgeworfen. Manson kam aus dem Knast. Viele Jahre später hat Fromme die Begegnung beschrieben. Am meisten fasziniert hätten sie Mansons Augen. „Sie haben mich erkannt.“ Im leichten Südstaatenakzent – Manson verbrachte einen Teil seiner Kindheit in West Virginia und Kentucky – habe er ihr erklärt, wie sie sich befreien könne. „Der Weg nach draußen geht nicht durch die Tür.“ Erst wenn sie nicht rauswolle, sei sie frei. „Das Wollen hält dich fest.“ Fromme schloss sich der Gruppe an. An den Morden war sie nicht beteiligt, ging jedoch mit einer Pistole auf Präsident Gerald Ford los. Der Personenschutz packte Fromme. Wegen versuchten Mordes bekam sie eine lange Freiheitsstrafe und wurde erst 2009 entlassen.
Doch warum die Morde? Es darf spekuliert werden. Eine gängige These ist, die „Familie“ habe es auf einen früher in der Villa wohnenden Musikproduzenten abgesehen, der Mansons Karriere im Weg stand. Staatsanwalt Bugliosi erklärte im Prozess zum „Tate-LaBianca-Fall“, wie dieser inzwischen hieß: „Es waren Mansons Hass auf Menschen, seine Leidenschaft und Lust an deren gewaltsamem Tod.“ Es gebe keine Beweise, dass Manson selber getötet habe, räumte Bugliosi ein, doch als „der Anführer der Verschwörung“ sei er nach dem Gesetz „schuldig an den sieben Morden“.
Manson, Krenwinkel, Atkins und Van Houten wurden im März 1971 zum Tod in der Gaskammer verurteilt, Charles Watson ein paar Monate danach. Kasabian erhielt Immunität als Kronzeugin. Im Februar 1972 erklärte das Oberste Gericht von Kalifornien die Todesstrafe in diesem Bundesstaat für verfassungswidrig, sodass die „Manson-Familie“ fortan eine lebenslange Haftstrafe zu verbüßen hatte. Am 19. November 2017 teilte Kaliforniens Justizbehörde mit, „der Insasse Charles Manson (83)“ sei an diesem Tag „aus natürlicher Ursache um 20.13 Uhr verstorben“.
Kommentare 35
- tabuisierungen schützen nicht vor faszination.
und faszination ist zeichen einer besitz-ergreifung.
- das mörderische böse ist faszinierend und sollte ent-dämonisiert werden.
- das erschrecken über die destruktiven kräfte,
die stimmen des gewissens dimmen/zum schweigen bringen,
entspringt einem naiven bewußtsein.
- die entdeckung der banalität/der un-auffälligen potenz des bösen,
sollte ins allgemein-wissen eingehen.
- wir sollten heute wissen, wie kollektive
nicht nur produktive perspektiven,
sondern auch destruktive programme entwickeln
und für einzelne verpflichtend und wirksam machen können.
- statt auf erworbene gewissen zu bauen/sich zu verlassen,
sollte ein skeptischer blick sich richten auf
die (versteckten) bereitschaften, autoritativen loyalitäten,
die in kollektiven auf gelegentliche auslösung warten.
- wenn -im kampf-modus- feind-bilder scharf gemacht werden,
bekommt die kumpanei/die kameradschaft
schnell die ober-hand über die regungen des zweifels.
- hat eine gruppe die mitglieder im griff
(zuweilen reicht auch die anbindung an eine "gemeinde",
die echos amplifiziert), sind über-griffe schwer-auszumachen,
verflüchtigt sich verantwortung.
An Manson knabbern die USA in der Tat bis heute. Nicht nur, weil er letztlich der große spiritus mentor fast aller Amokläufe und ähnlich gelagerter Haßverbrechen ist, die seither stattgefunden haben. Ein nicht wegzuwaschender Fleck ist darüber hinaus die unbestreitbare Nähe von Manson und seiner »Family« zur damaligen Counterculture. Der rechte Teil der Gesellschaft – grosso modo also das, was sich mit der Republikanischen Partei identifiziert – behauptet seither, dass sowas von sowas kommt. Letztlich ist Manson so auch der Inspirator des Antidrogenkriegs, den die rechtsneoliberalen Hardliner unter Reagan aufgegleist haben und der – zusammen mit dem Krieg gegen den Terror – dafür gesorgt hat, dass die USA der wohl militarisierteste Polizeistaat auf dieser Erde sind.
Ist Manson für sonstwas noch gut? – Ich denke nicht. Außer wirren Gedankenfragmenten ist da wenig; Mansons Jünger Breivig bot intellektuell hundertmal mehr »Anknüpfungspunkte«. Letztlich kann man sagen, dass Manson für die US-Rechte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat: a) als unmittelbares Vorbild für den desparaten Teil ganz rechtsaußen, b) als zeitüberdauernde Bashing-Keule für den liberalen und linken Teil Amerikas.
Sollte es desperat oder disparat heißen? Oder beides, eine gelungene neue Wortschöpfung?
Der Unterschied zwischen dem Manson- und dem Rechtsterrorismus ist: Manson ist Selbstermächtigung gegen die Welt, während die Alten, Weißen Männer von rechts Soldaten eines großen Ganzen sind, das eine ist individueller, das andere systemischer Irrsinn. Der individuelle Terror kann besser an links anschließen, weil die Linke unangepaßt ist und sich behaupten muß, aber mehr Schnittmenge gibt es nicht. Und die den Linken anhängbare Kritik am individuellen Terror ist auch Weltbild-konsistent, denn sie ist die Kritik der AWM am Krebsgeschwür des gesunden Volkskörpers, während der weltweite Kampf und kriegerische Massenmord als notwendig und gerechtfertigt in der Auseinandersetzung des Neuen Jerusalems gegen das Reich des Bösen gesehen wird.
Ich teile die getroffene Unterscheidung in großen Teilen, so dass ich kaum etwas hinzuzufügen habe. Zu »disparat« vs. »desparat«: beides passt; was ich gemeint habe, kann ich so getrost der Auslegung von Monsieur Freud überlassen :-).
haben Sie vergessen, daß die "linke "auch schon mal systemisch
unterwegs war und die zu befreienden damit nicht gut gefahren sind?
der kommunismus roter-alter-männer
mit welt-verbesserungs-/welt-befreiungs-anspruch mit organisierter
ent-mündigung
war nicht nur "family"-irrsinnig/-abwegig sondern mobilisierte
milliarden, die zwar nicht zu ihrem recht kamen, aber in massen zu tode.
auf die "intellektuellen anknüpfungs-punkte" von mördern muß
man sich nicht beziehen, von denen sollte man sich nicht ablenken lassen:
gemessen an der tat sind es nur dürftige rationalisierungen,
die das zentrale movens verdecken: mord-lust.
s.a meinen kommentar zu "faschismus in grün"(5.8.19,22:02)
An der Computertastatur lassen sich leicht Moral-Noten vergeben. Alternativ frage ich zurück: Was hätten die texanischen Siedler(innen) tun sollen? Zurückgehen nach Kentucky, Tennessee und so weiter?
Und auch Mexiko steht in seiner Historie eher als Land mit vielen Grautönen da. Santa Anna war ein blutrünstiger Diktator. Wenn die Geschichte dortigen Akteuren Recht gegeben hat, dann waren es Juarez, Pancho Villa, Präsidenten wie Cárdenas oder – in neuerer Zeit – die Zapatisten sowie Basisbewegungen, die gegen die Macht der Narco-Kartelle angehen.
es geht m i r nicht um moral-noten, sondern um kontextualisierung,
historisierung und mythen-zersetzung.
wie tejas zum teil von "god's own country" wurde,
mit seiner option zum sklaven-halter-tum nicht wenig
zur entwicklung des sezessions-kriegs beigetragen hat und welche
49ners dort zusammenkamen: hat mein interesse geweckt.
von der geschichte mexicos, des landes einiger meiner cousins,
der geschichte der dortigen land-nahmen und land-verluste:
zu schweigen.
im übrigen haben wir uns im thread verlaufen/geirrt.
Oups …! Das kommt davon, wenn man die alte Regel nicht beherzigt: Immer nur ein Thread zur selben Zeit.
Der Verstand der Denkzone reicht aus, Äpfel mit Kieselsteinen zu vergleichen und festzustellen, daß beide annähernd rund und Mordwerkzeuge sind, wenn man sie jemanden an den Kopf schmeißt.
So vergleicht Denkzone den Kommunismus roter-alter-Männer mit dem Messianismus weißer-alter-Männer. Zwar war der Kommunismus lange vor den gräßlichen raM da, die Opfer waren überwiegend nicht die anderen, sondern vor allem die Kommunisten selbst, und die überschaubare Zahl der raM, die zu Tätern wurden, haben den Kommunismus benutzt und pervertiert, während der Messianismus die Erfindung der waM ist, er sich gegen die anderen richtet, und die waM in Übereinstimmung mit ihrer Lehre sich nur im Grad ihrer Bereitschaft zur Gewalt, aber nicht in ihrem Tatendrang unterscheiden.
Aber solche Unterschiede halten ja nur von klarem Denken ab, sagt sich wohl Denkzone.
---
Mal im ernst: Halten Sie es für redlich, die kommunistische Bewegung insgesamt mit den Perversionen zu identifizieren, die in ihrem Namen begangen wurden. Ich habe keine Sympathie für Religionen, aber ich würde doch nicht die Gemeinschaft der Religiösen mit den Untaten der Inquisition identifizieren. Und auch die Sympathisanten der AfD werden von mir nicht in den einen Sack faschistischer Hohlköpfe gesteckt. Natürlich sind auch die awM zu einem Großteil keine rassistischen Fanatiker, im Gegenteil, da gibt es erstaunlich viele Kommunisten. Soviel Differenzierung muß sein.
Sie hätten erkennen können,
daß ich zeigen wollte/will, wie die besondere qualität/ bedrohung
aus der organisierung/institutionalisierung von bewegungen entsteht,
die über die individuellen strebungen/verfehlungen im rahmen von
familien/clans/sekten hinaus
gesellschaftliche wirk-samkeit erlangen.
das, was aus hoffnungen, befreiungs-erwartungen, purifizierungs-versuchen wird,
wenn organisierte kirchen, parteien, vernetzte eliten mit ihren bannern wedeln,
und aus organen/werkzeugen, maschinerien/apparate werden,
die besonderer kontrolle bedürfen,
sich aber gerade der entziehen.
man kann auch sagen:
wenn sich über individuelle verführbarkeit in klein-gruppen hinaus,
sich ein gehäuse der hörigkeit entwickelt,
das mit monopolisierter propaganda, staats-sicherheits-diensten,
sonder-gesetzen/-gerichten
vom willen der betroffenen, den rücksichten auf deren befindlichkeit
emanzipiert/frei-macht, despotisch herrscht.
was immer auch propheten/organisationen/religiöse, politische
bewegungen versprechen:
ihre gesellschaftliche wirksamkeit erlangen sie durch organisation.
und auf die qualität dieser organisation ist zu achten,
bevor sich böse resultate zeigen können.
...jau, so isset!
...das ist richtig, dennoch wurde daraus auch ein Anti gegen die Hippies gemacht. Allerdings halte ich die Manson "Family" absolut nicht für Hippies! Hippies waren Sanft und träumten von Freiheit und Liebe...das ganze Gegenteil von diesen Irren.
Bei Euch ist wohl saure Gurkenzeit(Sommerloch). Wozu dieser Artikel?
...nee danke, der is mir zu Durchgeknallt, wer 9 Menschen aufm Gewissen hat ist nicht sanft...und ich bin informiert genug. Ich habe ne durchgeknallte Frau gekannt die das Arschloch auch noch besucht hat...die Alte gruselt mich heute noch!
ja, mörder sind vor allem: mörder
(wie hegel sagt, unterscheidet sich der übel-täter
von anderen: durch seine tat).
was mörder als motiv zu ihrer tat vorbringen/verwenden,
steht erstmal gegen die realisierte mord-lust.
das vorsätzliche und geplante leben-nehmen eines menschen
geht oft einher mit zahl-losen subjektiven begründungen.
kaum wird die "bloße gelegenheit" als grund angegeben
@ denkzone, @ Lethe
Nein. Jeder Mensch ist ein potentieller Mörder. Jeder kann, allerdings ganz unterschiedlich leicht, zum Morden gebracht werden. Der Tyrannenmörder kann hochgeachtet sein, das sollte aber voraussetzen, daß der Mord ihm nicht leicht gefallen ist. Dann kann nicht von Mordlust gesprochen werden. Die Gleichsetzung Mörder = Mörder ist primitives Denken. Allerdings die Unterscheidung von linkem und rechtem Mörder ebenfalls, wie in einem Nachbarblog von Grinzold. Wer links oder rechts zur Gewichtung der ethischen Bewertung heranzieht, besitzt keinen ethischen Maßstab. Gesinnungsmord ist nicht weniger übel als Mord aus niederen Motiven (Habsucht). Mit links ist Mord nur kompatibel im Falle äußerster Notwehr, und dann spricht man nicht von Mord. Ich bin kein Jurist, ich hoffe, daß terminologisch korrekt ist, was ich gesagt habe.
ich hab ja nicht von (putativer) not-wehr/tyrannen-mord geredet,
sondern von mord/selbstermächtigtem menschen-leben nehmen.
daß die schwelle zur tat oft nicht hoch ist/sozial gesenkt ist,
der täter ein mensch bleibt, den nur die un-tat von anderen
unterscheidet, ist gesagt worden.
was der täter glaubt, was ihn ermächtigt hat/das recht gegeben hat,
leben zu nehmen, macht ihn nicht frei davon, ein mörder zu sein.
..und sicher hat hitler keinen einzigen menschen direkt zu tode gebracht
und er war auch gut zu seinem hund und ein manischer kunst-sammler...
s.o.
Tyrannenmord ist ein selbstermächtigtes Menschen-Leben-Nehmen. Und die Mordlust eines Nichtmörders kann sehr viel größer sein als die eines Mörders. Und die Lust an einer Mordtat ist für die Beurteilung der Tat nur insofern relevant, als sie nicht wie der Mordzwang eventuell zu entlasten vermag. Da stellt sich die Frage, ob nicht gesteigerte Mordlust ein schwerer psychischer Defekt ist, also Zwang.
Ja, aber die Kunst, ich würde sagen, die zivilisatorische Qualität, liegt doch darin, weder moralistisch noch formalistisch (konventionalistisch) zu argumentieren.
Herrschaften, einigen Sie sich doch auf die neutrale Begrifflichkeit: Herstellung eines Leichnams. Utilitaristische Gründe werden es schon richten. ;-(
Das Recht kommt nicht ohne Positivierung aus. Ein rein positives Recht wäre aber inhuman, bedeutet das Verharren auf der Stufe konventioneller Moral, einem niederen Niveau der Zivilisation. Daher gilt nicht „Auge um Auge“, daher wird nicht nur das extensionale Ergebnis eines Tuns berücksichtigt, sondern der Gesamtzusammenhang, in dem die Tat steht. Das ist nicht ohne Interpretation von Verhalten (Motiven, Zielen, Verhaltensursachen, -dynamiken, usw) möglich, was natürlich zum Verlust von Eindeutigkeit führt, zu einer gewissen Relativität des juristischen Urteils.
Definitionen sind immer willkürlich, aber sie sind mehr oder weniger sinnvoll, manchmal sogar selbstwidersprüchlich (= sinnlos). Objektive Sachverhalte sind definitionsgemäß nicht interpretationsabhängig, sie lassen sich extensional relativ eindeutig definieren, zB eben Tötung als Beendigung des Lebens eines Organismus (über den genauen Eintritt des Todes ist man sich noch nicht ganz einig). Mord wird jedoch eine Untermenge von Tötungen genannt, die den rein objektiven Sachverhalt differenziert. Grundlage der Differenzierung sollte nicht Moral, sondern Einsicht in die vernünftige Selbstbestimmung des Sozialen sein.
In diesem Blog ging es um den Mörder als Individualsubjekt, welches selbstverständlich nur als ein teilautonomer Akteur zu begreifen ist. Eine Gesellschaft ist wesentlich durch das gesellschaftlich erzeugte Potential individueller Mordbereitschaft zu charakterisieren. Wichtiger allerdings ist die kollektive Mordbereitschaft der und in der Gesellschaft, da redet man von Krieg und Bürgerkrieg. Und das sollte nicht auf das Militärische beschränkt werden, die Verweigerung und Zerstörung von Ressourcen, der Krieg gegen die Armen ist auch kollektiver Mord. Der schlimmste, menschenfeindlichste. Freilich geschieht dieser Massenmord hauptsächlich ohne Bewußtsein, beruht auf Ignoranz und Empathielosigkeit, ist somit, weil man den Tod nicht explizit auf persönliches Handeln zurückführen kann, definitorisch kein Mord. Er muß erst durch Sensibilisierung und Aufklärung als Mord oder unterlassene Hilfeleistung erkannt werden, dann wird man auch weniger willige Helfer in einem mörderischen Geschehen finden.
Ist mir klar. Und ich habe es nicht so dolle mit der Relativierung, sie geht mir oft zu weit. Nichtsdestotrotz ist Relativierung nötig, und das „Höhere“ läuft ja oft nur auf das „Elaboriertere“, „Komplexere“ hinaus, was zwingt, sich die Frage zu stellen, ob das „Höhere“ auch das „Bessere“ ist. Insofern habe ich nichts gegen den kritischen Stachel, wehre mich nur gegen die Totalentwertung. Auch ich bestreite absolute Werte, finde es aber töricht, auf Relativwerte, die nach Bedarf geändert werden können, zu verzichten. Wir leben nicht nur in einer kalten, toten Welt, sondern wir animieren die Welt, erwärmen sie mit unserer Sinngebung. So betten wir uns vernünftig.
Daß das Wünschenswerte realisierbar sein muß (daß es dumm ist, sich Unmögliches zu wünschen), da sind wir uns doch einig. Freilich wissen wir von vielem nicht, ob es realisierbar ist. Da empfiehlt es sich, analog zur Wissenschaft das Wünschenswerte als eine virtuelle Setzung zu behandeln; vielleicht müssen wir sie verwerfen, aber es lohnt, es zu versuchen, hinterher sind wir allemal klüger. Der Gedanke müßte Dir eigentlich gefallen.
Vielleicht hilft es Ihnen, mich zu verstehen, wenn ich Sie daran erinnere, daß der Mensch als Individuum und als Kollektiv ein autopoietisches System ist, daß er sich in einer Subjekt-Objekt-Dialektik selbst bestimmt und bestimmt (zu einer Bestimmung geführt) wird.
Die Schuld spielt für mich keine große, keine vernünftige Rolle. Den Tyrannenmord habe ich ja gerade zitiert, um die Assoziation Schuld zu erschweren. Moralen behaupten ein obligatorisches Sollen. Das lehne ich ab. Aber die menschliche Freiheit realisiert sich in der ethischen und ästhetischen Ordnung, die er sich gibt. Es führt hier zu weit, das genauer zu explizieren, aber ich hätte nichts dagegen, das einmal ausführlich zu diskutieren.
Zur Empathie. Gefühle haben eine Naturbasis, aber sie werden auch kultiviert. Empathie kann man lernen, das muß man nicht wollen, aber Empathie ist die gefühlsmäßige Einnahme eines universelleren Standpunkts/Perspektive. Wie in einem universelleren Denken sehe ich darin den Komplexitätsfortschritt, und das ist für mich Fortschritt schlechthin – das kann man wiederum bestreiten. Nun gut, dann laßt uns streiten.
Das Bild gefällt mir. Nur ist es ein bißchen einseitig. Ich spreche ja von Dialektik, ich gehe nicht von einem leeren Zimmer aus. Ich bin sogar eher Realist als Konstruktivist, der in der Mengenlehre die Zahlen aus dem Nichts schöpft. Selbst in der Mathematik vertrete ich eher realistische Positionen. In dem Zimmer Welt oder besser Lebensraum, den der Mensch überblicken kann, ist er selber ein Baum, der aus den vorhandenen Ressourcen schöpft und sich in der Welt einrichtet. Ohne die Mittel, ohne die Gegebenheiten wäre er nichts. Aber er ist nicht bloß Erleber, sondern auch Selbstgestalter.
Selbstredend. Auch ich bin nicht dafür, sich zu übernehmen. Allerdings kann man mehr oder weniger wagen/riskieren, wenn der mögliche Gewinn groß genug ist, kann es vernünftig sein, nach den Trauben/Kirschen zu greifen. Der Kommunismus ist eine schwere Aufgabe, aber er war offensichtlich für viele sehr verlockend, für mich ist er es immer noch. Und das Weiter-so und die Alternativen werden immer unerfreulicher.
Den double bind sehe ich nicht. Wir bewegen uns immer in der Dialektik von Freiheit und Zwang. Freiheit heißt, unseren eigenen Weg finden. Der führt aber nicht aus dem Zwang heraus, sondern kann mit ihm nur besser oder schlechter umgehen. Alle menschliche Aktivitäten sind darauf ausgerichtet, dem Zwang standzuhalten oder ihn zu umgehen. Die heutige Form, das Problem zu individualisieren, zeigt sich immer mehr als Schnapsidee.
Mensch denk(z)o(h)ne8, dein perforativer Blick auf nicht weniger als alles beeindruckt echt.
Penetrant ist lediglich dein Mitteilungsbedürfnis.
Wie hat schon G.C. Lichtenberg gesagt: „Widerwärtigkeiten sind Pillen, die man schlucken muss und nicht kauen“
Und Dieter Nuhr: „Ab und zu muss es reichen, zu atmen. Sonst nichts“
grenzen hat mein "mitteilungs-bedürfnis",
wenn der adressat ein problem-bär ist,
der schon durch seinen umgang mit zitaten zeigt,
daß er mit gedanken aus anderen köpfen
so seine not hat.