1983: Reagans kleiner Sieg

Zeitgeschichte Ein Putsch gegen den Grenada-Premier Maurice Bishop wird zum Vorwand für eine US-Intervention auf der Karibikinsel, um ein progressives Regime abzuräumen
Ausgabe 44/2020
Gegen die US-Übermacht hatte Grenada keine Chance
Gegen die US-Übermacht hatte Grenada keine Chance

Foto: Everett Collection/Imago Images

Präsident Ronald Reagan sagte Ende 1983: „Nun sind unsere Tage der Schwäche vorbei.“ Grund für dieses Urteil war ein Sieg der besonderen Art. Ein Jahrzehnt nach ihrem Abzug aus Vietnam hatten die USA einen Krieg in einem der kleinsten Länder der Welt gewonnen. Gegen eine progressive schwarze Nation. Es war eine Hörfunknachricht, bei der man anfangs glaubte, sich verhört zu haben, US-Marineinfanteristen seien am Morgen des 25. Oktober 1983 auf Grenada gelandet. Grenada? Genaueres konnte man anfangs nicht erfahren über die Invasion auf der karibischen Insel, bei der gut 8.000 Marines zum Einsatz kamen. Reporter durften den Schauplatz drei Tage lang nicht in Augenschein nehmen.

Grenada zählte etwa 100.000 Einwohner. Die Operation hieß, warum auch immer, „Urgent Fury“ (Dringliche Wut). US-Einheiten kämpften mehrere Tage gegen grenadische Soldaten sowie kubanische Militärs und Bauarbeiter, die einen Flugplatz anlegten. Das sei ein getarnter sowjetisch-kubanischer Stützpunkt, warnte Reagan. Nein, ein Airport für Chartermaschinen von Touristen, widersprach Grenada. Das „Historische Büro“ der Vereinigten Stabschefs zog danach Bilanz: Die US-Verbände hätten „knapp 600 Amerikaner und 120 Ausländer gerettet“, die legitime Regierung Grenadas sei wieder im Amt, eine potenzielle strategische Bedrohung eliminiert.

General John Vessey, Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs, lobte, das Unternehmen sei ein Erfolg gewesen. 45 Kämpfer Grenadas, mehr als 20 Zivilisten, 25 Kubaner und 19 US-Soldaten seien ums Leben gekommen. Andere Berichte sprechen von viel mehr Toten unter der Bevölkerung und schwerer Zerstörung. Auf Grenada beteiligt war Norman Schwarzkopf, der 1991 weltbekannt werden sollte als Kommandeur der „Operation Wüstensturm“ gegen den Irak.

Der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Invasion mit elf gegen eine Stimme als „flagranten Verstoß“ gegen internationales Recht. Die Gegenstimme kam von US-Botschafterin Jeane Kirkpatrick. Für die Linke in den USA war der Angriff ein Schock. Man stand solidarisch an der Seite der Aufständischen in El Salvador und der von einer CIA-Kampagne bedrohten Sandinisten in Nicaragua. Angesichts der politischen Misere zu Hause, wo ein populärer republikanischer Präsident den Ton angab, zeigten sich wenigstens in Lateinamerika Hoffnungsschimmer.

In Grenada hatte 1979 das New Jewel Movement die Macht ergriffen und den Despoten Eric Gairy gestürzt. Es gab viel Zustimmung in der Bevölkerung und Hoffnung auf einen sozialistischen Kurs, auf Basisdemokratie und politische Unabhängigkeit. Am 13. März 1979 hieß es in einer Rundfunkansprache, dokumentiert in einem Online-Archiv über die Revolution (www.thegrenadarevolutiononline.com): „Hier spricht Maurice Bishop. Um 4.15 Uhr hat die Revolutionäre Volksarmee die Kontrolle übernommen in der Army-Kaserne von True Blue.“ Manche Minister der gestürzten Regierung seien „in ihren Betten festgenommen worden“. Jeder Widerstand sei sinnlos. „Bei der Revolution geht es um Arbeit, Nahrung, anständige Wohnungen und eine strahlende Zukunft für unsere Kinder ...“

Bishop war jung und charismatisch. Er wurde der Ministerpräsident und das Gesicht des neuen Grenada, ein linker Hoffnungsträger, den man auf Fotos neben Fidel Castro und Daniel Ortega sah. Die US-Bürgerrechtlerin Angela Davis erinnerte im Film The House on Coco Road von Damani Baker an die Revolution. Besonders für Schwarze sei Grenada „ein Neubeginn in der Geschichte“ gewesen. Es habe außer in Kuba eine „sozialistische Regierung in unserer eigenen Hemisphäre“ gegeben. Am 9. Juni 1982 stand auf der Titelseite der Zeitung Neues Deutschland: „Erich Honecker hieß Maurice Bishop in der DDR herzlich willkommen“. Die Freundschaft zwischen der DDR und Grenada sei bekräftigt worden. Er freue sich, „unter Menschen zu sein, die seit dem Triumph des Sozialismus auf konkrete Weise beständig ihren tief sitzenden Internationalismus demonstriert hätten“, so Bishop in Ostberlin.

Im Juni 1983 wurde er bei einer Ansprache im New Yorker Hunter College bejubelt. Die US-Regierung halte Grenada, glaube man dem Außenministerium, für gefährlicher als die Revolutionen in Kuba und Nicaragua, sagte er. Die meisten Menschen in Grenada seien schwarz und könnten eine „gefährliche Anziehungskraft auf die 30 Millionen Schwarzen in den Vereinigten Staaten“ ausüben. Die 1992 verstorbene US-Autorin Audre Lorde, deren Eltern aus Grenada stammten, meinte später, an diesem kleinen Karibikstaat habe die US-Regierung ein Exempel statuieren wollen. Eine schwarze, englisch sprechende sozialistische Nation konnte nicht toleriert werden.

Vier Monate nach seiner Rede im Hunter College war Maurice Bishop tot, ermordet von eigenen Militärs und ehemaligen Genossen am 19. Oktober 1983. Die Politologin Wendy Grenade, die viel zu Grenada publiziert hat, sprach von einer „Implosion der Revolution“. Das Zentralkomitee des New Jewel Movement hatte über Ausrichtung und Führungsstruktur gestritten. Eine Gruppe um Vizepremier Bernard Coard setzte Bishop ab, stellte ihn erst unter Hausarrest und ließ ihn dann exekutieren. Bishops Pressechef Don Rojas analysiert im Rückblick: Der Putsch sei der Vorwand gewesen, um zu intervenieren. Die US-Regierung habe die interne Destabilisierung und die Verwirrung in der Gesellschaft Grenadas ausgenutzt. Sie habe die Invasion seit 1981 geplant. „Es gab sogar einen Probelauf auf der Insel Vieques nahe Puerto Rico“, so Rojas. 1983 war ein gefährliches Jahr. Präsident Reagan trieb das Militärbudget in die Höhe, verurteilte die Sowjetunion als „Reich des Bösen“ und kündigte „Star Wars“ an, die strategische Verteidigungsinitiative, mit der sich die USA in die Lage versetzen wollten, sowjetische Atomraketen abzuschießen. Weil Moskau Soldaten in Afghanistan stationiert hatte, rüstete die CIA dort den islamistischen Widerstand auf. Anfang September schoss ein sowjetischer Abfangjäger eine südkoreanische Passagiermaschine ab, die mutmaßlich in sowjetischen Luftraum geraten war. In ganz Westeuropa demonstrierten Millionen gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern. Am 23. Oktober 1983 schließlich explodierte eine Lastwagenbombe in einer Kaserne für US-Marineinfanteristen in Beirut – 241 Soldaten kamen um.

In einer Ansprache kurz danach bezeichnete Reagan die Präsenz des US-Korps im Libanon und die Invasion auf Grenada als Maßnahmen gegen die fortschreitende sowjetische Expansion. Er versprach Fotos von Waffen, die US-Einheiten in Grenada gefunden hätten, „genug, um Tausende von Terroristen auszurüsten“. Die US-Streitkräfte seien „gerade noch rechtzeitig gekommen“. In den USA wurde der Überfall auf einen souveränen Staat weitgehend positiv aufgenommen. Viele Menschen glaubten dem Waffenfund und der Behauptung, in Grenada seien US-Studenten in Gefahr gewesen und hätten gerettet werden müssen.

Bernard Coard wurde vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt, die Strafe später in 30 Jahre Haft umgewandelt. Coard kam im September 2009 frei. Der laut Reagan geplante sowjetisch-kubanische Luftwaffenstützpunkt auf Grenada heißt heute Maurice Bishop International Airport und soll ein Zeichen der Versöhnung sein. Ein Flug von Miami nach St. George’s, der Hauptstadt Grenadas, kostet ein paar hundert Dollar. Für Reagan war Grenada ein voller Erfolg. Er sollte nach 1990 als einer der Sieger im Kalten Krieg in die Geschichte eingehen. Bernard Coard hat in einem 2008 vom Journal of Eastern Caribbean Studies veröffentlichten Interview mit Wendy Grenade über „viele, viele Fehler während des revolutionären Kampfes“ gesprochen. Man habe viel erreicht, doch die Fehlgriffe hätten unweigerlich „zur Katastrophe vom Oktober 1983“ geführt. Könnte er die Zeit zurückdrehen, würde er alles anders machen. „Doch das ist natürlich unmöglich“.

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