1998: Oralsex fürs Volk

Zeitgeschichte Die Lewinsky-Affäre bringt US-Präsident Bill Clinton an den Rand der Amtsenthebung. Sonderermittler Ken Starr wird zum Inquisitor und sorgt für intime Details
Ausgabe 04/2018
Ganz kleine Augen: Die Nachbereitung war anstrengender als die Affäre
Ganz kleine Augen: Die Nachbereitung war anstrengender als die Affäre

Foto: Stephen Jaffe/AFP/Getty Images

Die zwei Jahrzehnte zurückliegende Affäre zwischen dem damaligen Präsidenten Bill Clinton und Monica Lewinsky ist aktuell, allein wegen der Enthüllungen über männlichen Machtmissbrauch in Hollywood und anderswo. Relevant auch wegen scheinheiliger konservativer Beschwerden, Sonderermittler Robert Mueller gehe bei seinen Recherchen zu Donald Trumps Russland-Kontakten zu weit.

Am 26. Januar 1998 sprach Präsident Clinton, seit fünf Jahren im Amt, im Weißen Haus über eine Bildungsreform. Mehr Lehrer müssten her, kleinere Klassen, neue Partnerschaften mit dem Privatsektor. Alles sei wegen des ausgeglichenen Staatshaushalts bezahlbar. Im Gedächtnis blieb der abrupte Themenwechsel gegen Ende des Präsidentenstatements. „Ich möchte, dass Sie mir zuhören ... Ich habe keine sexuellen Beziehungen gehabt mit dieser Frau, Miss Lewinsky.“ Erhobener Zeigefinger, Clinton im Opferton. „Diese Beschuldigungen sind falsch. Und nun sollte ich zur Arbeit zurückkehren für das amerikanische Volk.“ Unter lautem Beifall verließ der Präsident den Raum. Der frühere Gouverneur von Arkansas (1979 – 1981, 1983 – 1992) war freilich schon vor Monica Lewinsky wegen des Vorwurfs sexueller Übergriffe in Bedrängnis geraten. Die Regierungsangestellte Paula Jones hatte Clinton im Mai 1994 verklagt, weil sie von ihm drei Jahre zuvor in seiner Zeit als Gouverneur in einem Hotelzimmer bedrängt worden sei. Er habe Hose und Unterhose runtergelassen und sie aufgefordert, seinen Penis zu küssen. Jones wollte nicht, Clinton habe verlangt, der Vorfall „muss zwischen uns bleiben“.

Den Begriff Fake News gab es noch nicht, doch die Clinton-Jahre waren eine Zeit wilder Gerüchte und Vorwürfe, heute schwer nachvollziehbar in ihrer Intensität. Das Magazin The American Spectator schrieb Ende 1993, mehrere state troopers – Polizisten, die zum Personenschutz eines Gouverneurs gehören – hätten Clinton Frauen „zugeführt“. Der Autor des Textes hat sich später für diese Behauptung entschuldigt.

Die Beziehungen zu Monica Lewinsky waren eine Woche vor Clintons bildungspolitischer Ansprache bekannt geworden. Dazu geäußert hatte sich der Drudge Report, Pionier eines aggressiven rechten Internet-Journalismus und Vorläufer der Website Breitbart News. „Weltexklusiv“ berichtete Drudge von einer „Sex-Beziehung des Präsidenten mit einer 23-jährigen früheren Praktikantin“ im Weißen Haus. Über Nacht explodierte die Geschichte in der Medienwelt. Clinton war seinerzeit ziemlich beliebt. Etwa zwei Drittel der Amerikaner würden seine Amtsführung positiv beurteilen, hatte gerade das Umfrageinstitut Gallup mitgeteilt. Doch rechte Abneigung und rechter Hass waren enorm gegen den Saxophon spielenden Emporkömmling aus Arkansas, der einen Schlussstrich gezogen hatte unter die angeblich glorreichen acht Jahre des Republikaners Ronald Reagan und die vier des Nachfolgers George H. W. Bush aus der gleichen Partei. Und die Rechten hatten einen Verbündeten im Justizapparat.

Seit 1994 untersuchte Sonderermittler Ken Starr Berichte, wonach Hillary und Bill Clinton an einem Immobiliengeschäft mit fragwürdigen Darlehen beteiligt gewesen seien. Es ging bei diesem Whitewater-Projekt um Summen, die zwar im mehrstelligen Bereich, aber vergleichsweise mickrig waren. Am Ende sollen die Clintons sogar Geld verloren haben. Starr befasste sich auch mit Vincent Foster, dem Rechtsberater des Weißen Hauses, der 1993 tot aufgefunden worden war. Ein Suizid, ermittelte die Polizei, Foster habe offenbar an Depressionen gelitten. In seiner Brieftasche befand sich ein Zettel: „Ich bin nicht geschaffen für das Scheinwerferlicht in Washington. Hier gilt es als Zeitvertreib, Menschen zu ruinieren.“ Radiotalkmaster und andere Medienfiguren – darunter jene, die 20 Jahre später nicht genug bekommen konnten von Hillary Clintons E-Mails – sahen Schlimmeres als Selbstmord. Rupert Murdochs britische Zeitung The Sun wusste von „einer tiefen persönlichen Freundschaft“ Fosters mit Hillary Clinton. Roger Ailes, später Chef von Fox News, sprach von der Möglichkeit eines Mordes.

Für Kamerateams kamen nach Bill Clintons Verneinung der Beziehungen zu Lewinsky fette Überstundenwochen mit endlosen Belagerungen von Orten, an denen Monica Lewinsky zu sehen sein könnte. Dem Voyeurismus waren keine Grenzen gesetzt. Starr, dessen Whitewater-Ermittlungen zu versanden drohten, weil es wenig zu finden gab, ging aggressiv gegen Lewinsky vor. Er hoffte, Clinton des Meineids zu überführen, wegen dessen Zeugenaussage beim Paula-Jones-Verfahren, er habe keine Affäre mit Lewinsky gehabt.

Auch das FBI wurde tätig und stattete Lewinskys Freundin Linda Tripp mit Abhörgeräten aus. Ein Buchladen in Washington musste dem FBI eine Liste von Werken vorlegen, die Lewinsky gekauft hatte, offenbar war man auf der Suche nach Sextiteln. Lewinsky wurde tagelang vernommen. Und Starrs Strategie brachte Erfolg. Sein mehrere hundert Seiten langer Ermittlungsreport lag im September 1998 vor, enthielt buchhalterische Details über Oralsex und diente dem Kongress mit seiner republikanischen Mehrheit zur Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens wegen Meineid und Justizbehinderung. Von Whitewater war nicht mehr die Rede.

Die Demokraten bauten einen Schutzwall. Das Image der Monica Lewinsky wurde mit Füßen getreten. Diese gab dem TV-Sender ABC im März 1999 ein langes Interview. Was geschehen sei, tue ihr sehr leid, sie übernehme Verantwortung, doch nicht die gesamte Verantwortung. Bill Clinton sei ein sinnlicher Mann, der sehr religiös erzogen worden sei und mit seiner Sinnlichkeit kämpfe.

Jahre später hat Lewinsky mehr geschrieben und gesprochen, unter anderem 2014 im Magazin Vanity Fair: „Ja, mein Chef hat mich ausgenutzt, doch werde ich immer auf diesem Punkt beharren: Es war eine Beziehung in beiderseitigem Einvernehmen. Jeglicher Missbrauch kam hinterher, als ich zum Sündenbock gemacht wurde, um seine mächtige Position zu schützen.“ Und Bill Clinton log.

Inquisitor Starr erlangte Heldenstatus im rechten Amerika, obwohl den Republikanern für eine Amtsenthebung die Mehrheit fehlte. 2010 wurde Starr Präsident der baptistischen Baylor University in Texas. Sechs Jahre später war es damit vorbei. Starr musste wegen eines Untersuchungsberichts gehen, in dem es hieß, die Universität habe nichts oder wenig unternommen gegen sexuelle Übergriffe von Football-Stars auf Studentinnen.

Inzwischen will Starr ein bisschen Geschichte revidieren. Er hat sich mehrmals zu den Ermittlungen von Robert Mueller in der „Russland-Sache“ geäußert. Es gebe berechtigte Besorgnis, dass der seinen eigentlichen Auftrag überschreite. Kürzlich schrieb Starr in der Washington Post, die Ermittlungen würden von einigen „zutiefst politisierten“ Beamten betrieben. Sein Clinton-Ermittlungsteam hingegen sei „politisch gemischt“ gewesen.

Lewinsky machte an der London School of Economics den Master in Sozialpsychologie. In Vanity Fair schrieb sie von einer Sache, die sie nicht loslasse: Sie habe sich „irgendein Zeichen des Verständnisses vom feministischen Lager“ erhofft, sei es doch um Politik und Sex am Arbeitsplatz gegangen. Gekommen sei nichts, was wohl daran gelegen habe, dass Bill Clinton sich für politische Anliegen engagiert habe, die Frauen wichtig gewesen seien.

Heute ist Clinton eine Art Elder Statesman der Demokratischen Partei. Für manche ein Sinnbild guter Zeiten, als die weißen Arbeiter nicht zu den Republikanern überliefen. Für Hillary dagegen war der Ehemann ein Hemmnis: Trumps Kampagne grub im Wahlkampf unermüdlich Bills „Frauengeschichten“ aus, um sich für Berichte über Trumps Frauenfeindlichkeit zu revanchieren. Die demokratische Senatorin Kirsten Gillibrand, Vertraute der Clintons, sagte kürzlich der New York Times, Bill Clinton hätte 1998 wegen der Affäre mit Lewinsky zurücktreten sollen. Aber „damals“ habe das niemand gefordert bei den Demokraten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden