Wehklagen und Spott gab es noch im Herbst über den betagten Joe Biden, der so farblos wahlkämpfe im „Keller seines Wohnhauses“, ein Mann aus der Vergangenheit und einer anderen Welt. Eine Revolution ist nicht ausgebrochen in Washington, doch Präsident Biden tritt ziemlich resolut für Reformen ein, die ihm viele linke Demokraten nicht zugetraut hätten. Auch wartet er offenbar nicht so lange wie Barack Obama auf republikanische Kooperation. Das birgt Risiken, die demokratische Mehrheit im Kongress ist knapp, dennoch – Biden regiert.
Sein Corona-Programm wird allmählich dem Ausmaß der Not gerecht. Bei Einwanderung und Klimaschutz signalisiert das Team Biden/Harris Dringlichkeit. Ihr Programm will Umweltgerechtigkeit für besonders betroffene Gegenden mit afroamerikanischer, indigener oder Latino-Bevölkerung. Und dann plant das Weiße Haus, das Lager Guantánamo zu schließen, ebenso die Privatgefängnisse im nationalen Strafvollzug. Schließlich soll es einen 15-Dollar-Mindestlohn geben, mehr als doppelt so hoch wie im Moment.
Immer noch loyal zu Trump
Inzwischen hat sich gezeigt, was der leichteste Job ist in Washington: Ex-Präsident Trump gegen die Impeachment-Anklage zu verteidigen, er habe am 6. Januar zum Sturm auf das US-Kapitol angestiftet. Trumps Anwälte machten nach ein paar Stunden Schluss in der Gewissheit, es würden genügend republikanische Senatoren gegen eine Amtsenthebung stimmen. Und so kam es. Die demokratische Hoffnung ist zerronnen, republikanische Politiker würden nach der Gewalt den absurden Vorwurf der Wahlfälschung und ihre Loyalität zu Trump aufgeben. Wer in der Republikanischen Partei seinen Posten behalten will, muss die mit Horrormeldungen von manipulierten Wahlen gemästete Basis bedienen.
Die Politiker im rechten Amerika haben sich weitgehend auf die Erwartung zurückgezogen, dass sie womöglich trotz aller demografischen Veränderung noch eine Zeit lang als rechte weiße Partei Macht ausüben oder zumindest das Regieren der Demokraten sabotieren können. Langfristig fragwürdig, doch kurzfristig gar nicht so unsinnig, blickt man auf Umfragen und Umstände vor Ort: Trumps Werte sind landesweit im Keller, aber bei einer klaren Mehrheit der Republikaner genießt er nach wie vor großes Ansehen. Eine Ausnahme war Mitte Februar Nikki Haley, Trumps ehemalige UN-Botschafterin und mögliche Präsidentschaftsanwärterin für 2024. Im Magazin Politico hat sie nach Jahren der Servilität bedauert, dass Trump seine Partei „im Stich gelassen“ habe. „Wir hätten nicht auf ihn hören sollen.“
Die mit dramatischen Videos untermauerte Impeachment-Anklage war erschütterndes Polittheater und etwas für Geschichtsbücher. Demokraten mussten im Kongress so tun, als könnten sie Republikaner überzeugen. Dabei konnten die gar nie für eine Amtsenthebung stimmen, ohne sich selbst infrage zu stellen. Die Mehrzahl hat die Lüge von der gestohlenen Wahl mitgetragen.
Die Hauptgefahr für die US-Demokratie kommt nicht von rechtsextremen Proud Boys und dem Mann mit den Hörnern auf dem Kopf, der unweigerlich auftritt, sobald Bilder vom erstürmten Kapitol zu sehen sind. Dieser „QAnon Shamane“ erklärte im NBC-Fernsehen, die Aktion sei ein Erfolg gewesen. Man habe „die Verräter“ gezwungen, „ihre Gasmaske aufzusetzen und in ihren Untergrundbunker zu fliehen“. Zwischenzeitlich ist er in Haft, der Staat hat den Behörnten freundlicherweise in ein Gefängnis verlegt, in dem es Bio-Essen gibt, das er aus Glaubensgründen braucht.
Die entscheidende Gefahr ergibt sich aus dem tief verwurzelten Verschwörungsglauben und der antidemokratischen Wut im konservativen Teil der Gesellschaft. Das Magazin The Atlantic hat sich die Randalierer angeschaut, gegen die Anklage erhoben wurde. Darunter seien zahlreiche Amerikaner, die als „respektable Leute“ durchgehen könnten, hieß es, Unternehmer, Ex-Militärs, Polizisten. Die Mittelklasse sei gut repräsentiert gewesen. Diese Klientel sei in der Überzeugung dabei gewesen, man habe ihr das „unantastbare Recht zum Herrschen“ gestohlen.
Herkömmliche Analysen vom Konflikt zwischen Wohlhabend und Arm, Eigentümer und Arbeiter treffen die Zustände in der Republikanischen Partei nicht unbedingt. Es geht den Rechten um Selbstverständnis und Ideologie, die nicht immer im Einklang steht mit wirtschaftlichen Interessen, die sonst bei den Republikanern gut aufgehoben sind. Die Handelskammer, ziemlich verlässlich republikanisch, hat sich deutlich distanziert vom Verleugnen des Wahlergebnisses. Das untergrabe Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, man begrüße Bidens 1,9 Billionen Dollar schweres Rettungspaket zur Corona-Hilfe.
Biden ist es abseits vom Impeachment-Verfahren gelungen, die breite Allianz seines Wahlsieges zusammenzuhalten. Gern wird Lob von Bernie Sanders zitiert, wie das in der New York Times: Präsident Biden sei wie Franklin D. Roosevelt 1933 zu einer außerordentlichen Zeit der Krise an die Regierung gekommen. Und nun finde man Biden wie FDR „bereit, groß zu denken und nicht klein, um die vielen, vielen Probleme der Familien aus der Arbeiterschicht anzugehen“, so Sanders. Bei Roosevelt bedeutete großes Denken, angesichts der Weltwirtschaftskrise, 25 Prozent Arbeitslosen und bankrotten Banken radikale Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu ergreifen. Dazu zählten Wirtschaftshilfen und letztendlich ein „New Deal“ mit langfristigen Reformen im Arbeitsrecht, einer Finanzregulierung und Rentenversicherung.
Biden hat vor seiner Vereidigung vom Verlangen nach Einheit gesprochen und vom Wunsch, Republikaner mit ins Boot zu nehmen. Deren Abstimmungsverhalten beim Impeachment könnte für ihn etwas Befreiendes haben: Mit ihrem Freibrief für Trump (nur sieben ihrer 50 Senatoren waren für die Amtsenthebung) haben die Republikaner bestätigt, noch immer die Partei von Donald Trump zu sein. Die Demokraten hielten zusammen. Mancher von ihnen hatte beim Ansturm auf das Kapitol wohl Angst um sein Leben. Das reduziert das Verlangen, überparteiliche Rücksicht zu nehmen. Demokraten aus dem Zentrum wie der Mehrheitsführer im Senat, Charles Schumer aus New York, zeigen sich kompromissbereit: Er möchte bei den nächsten Vorwahlen offenbar nicht gegen Alexandria Ocasio-Cortez antreten müssen, die – so wird spekuliert – vielleicht Senatorin werden will.
Joe Biden ist erst ein paar Wochen im Amt. Im Wahlkampf hatte er sich vom Wunsch, die alte Welt wiederherzustellen, zu der Einsicht durchgerungen, dass eine solche Rückkehr nicht genügt angesichts der mit Corona zutage getretenen Ungleichheiten. Biden sah sich als Vertreter einer politische Mitte, die mittlerweile bei der Demokratischen Partei auffallend nach links gerückt ist. Das fortschrittliche und bunte Amerika hat Grund zur Hoffnung und Chancen. Gegen die Rechten gewinnt man nur, wenn die Regierung fühlbar funktioniert.
Kommentare 21
erosion von macht ist oft unspektakulär:
wenn mitläufer ihre unterstützungs-bereitschaft ab-schwächen,
den kräftigen ansagen das auditorium schmilzt,
der bisherige enthusiasmus aus einer glaubens-gemeinschaft weicht,
die "luft raus ist", ziel-vorstellungen sich relativieren,
bisher hoch-gehaltenes: herab-sinkt.
des-illusionierung, nach-lassende faszination, gemindertes marsch-tempo
auf der einen seite, zunehmende zuversicht auf der gegen-seite:
abflauen des windes hier, und woanders treibt er andere segel ....
unsere vorstellungen von revolutionären um-sturz/ rebellion und aufstand
passen nur auf ausnahme-situationen, politischer wandel geht meist anders.
??? »Im Westen was Neues« ??? Dass ich nicht lache!!!
Statt die Trump-Traumatisierung der USA-devoten Nordatlantiker durch eben diese zu nutzen, sich aus der USA-Abhängigkeit zu lösen, ergingen sich diese in wüsten Beschimpfungen und lechzten nach dem Rauschmittel.
Nun ist der Erlöser aufgetaucht – wie schön: »Deutschland steht für ein neues Kapitel der transatlantischen Partnerschaft bereit«. Merkel-Deutschland liebt eben die Regression.
Bidens Balsam beeindruckt Merkel kaum
Das liest sich auf ntv.de anders. Zumindest etwas. Ich jedenfalls denke eher, Merkel kennt die Realitäten. Und die erzählen nicht die Deutschen den USA, sondern die USA den Deutschen und noch einigen anderen Ländern.
was realität ist, wird an vielen stellen, von vielen köpfen ventiliert...
Nur haben die vielen Realitätenventilierer nicht mal im Ansatz die Möglichkeiten, die ihren wirksam zu verbreiten. Im eigenen Kämmerlein, der eigenen Blase, des geliebten eigenen Forums.... kann jeder, der möchte. Wirkungslos. Weitgehend.
Auch der Heilsbringer Josef Biden wird so weitermachen wie bisher - vielleicht estwa militaristischer - und dafür haben ihn ja seine Wahlkampffinanzierer gesponsort. Die unseeligen Handels- und Investitionsschutzabkommen werden nicht verschwinden, Sozial- und Umweltstandards werden nicht gelten, Gewerkschaften werden weiterhin gebascht, und wehe den Ländern des Südens, die vorhaben die Reichtümer ihrer Länder ihren eigenen Völkern zugute kommen zu lassen ......... Venezuela sollte allen eine Warnung sein ....... .
Der Bellizist Joe Biden hat die einmalige Chance bekommen, die von Ihm heftigst mitverursachten Zerstörungskriege zu beenden, statt weiterzuführen und die Bevölkerung Syriens auszuhungern . – Wer im Leben bekommt schon so eine Chance, sich selbst zu rehabilitieren?
Und die deutsche Kanzlerin hat zugesagt, das von den USA geforderte 2-Prozent-Budget vom BIP für Rüstungsausgaben weiterhin stringent anzustreben. Mit den derzeit errreichten 1,5 Prozent werde man sich nicht zufrieden geben.
Das daraus resultierende Denken entspricht der kapitalistischen Verfasstheit der westlichen Demokratien, das auf Markteroberung beruht. Dass mit diesem Gebaren an der weltweiten Rüstungsspirale gedreht wird, ficht diese selbsternannten Realpolitiker, die in ihrem ideologischen Sumpf versinken, nicht an.
Ich denke, es könnte eine geile Zeit werden. Natürlich nicht in dem Sinn, dass die USA gleich die Schwelle zum Wohlfahrtsstaats-Modell skandinavischer Prägung oder gar zum Sozialismus reißen. Hält das demokratische Zentrum der Demokraten, gestützt durch die Progressiven auf der Parteilinken, allerdings Kurs und Biden bleibt seinem parteizentrumsnahen Kurs treu, könnte durchaus eine Art zweiter New Deal dabei rumkommen. Im Idealfall – ich träume mal etwas – könnte das erneuerte Modell USA derart an Strahlkraft gewinnen, dass es unversehends vor der Situation steht, Exilant(innen), die vor dem hardcore-neoliberalen, eh nur noch »No Future« verströmenen EU-Modell Marke Germany Reißaus nehmen, bei sich aufzunehmen.
Ich wäre bereit, und es wäre mir in dem Fall eine Ehre, den demokratischen Kampf auf der anderen Seite des Landes mit zu unterstützen.
Da muss er aber an noch vielen Baustellen arbeiten. Da kann es helfen, wenn man sich nicht mehr an allzu viel erinnert. Lassen wir ihn mal ein paar Monate schaffen, wobei mit Corona schon ein dicker Brocken abzuräumen ist, den ihm Trump hinterlassen hat.
Aber sicher werde ich nicht "stramm stehen", wenn die Freiheitsstatue wieder aufpoliert wird, wie ich es aus einem weiteren Kommentar entnehmen kann. Denn grundsätzlich wird er an dem neoliberalen Modell USA, zudem mit "America First", nichts ändern wollen. Und das politische Personal in Deutschland wird mit einer weiteren (nicht legitimierten!) Steigerung des Militärbudgets einen Teil dazu beitragen und wenn es auch eigenen Zielen dienen mag.
Zudem darf bei seinen zukünftigen Entscheidungen auch nicht eine Stimme seiner Demokraten ausfallen, um nicht wie Obama ständig vor die Wand zu laufen, der allerdings immer wieder den vergeblichen Konsens gesucht hatte. Mal sehen wie sich das bei Biden entwickelt.
"Ich denke, es könnte eine geile Zeit werden."
Da setze ich diese beiden Zitate aus dem Buck-Film "Wir können auch anders" dagegen:
"Na ja, wir wollen nicht gleich in Europhie verfallen."
Moritz Kipp sagte auch noch:
"Wir sind auf dem Weg nach Gut Wendelohe, kennen Sie das? Dort erben wir nämlich ein Haus. Das liegt in der Nähe der Ostsee. Da muss man die Gegebenheiten ja auch mal nutzen. Mal an den Strand gehen und angeln, mal die Schuhe ausziehen, die ganze Familie und barfuss gehen oder wenn man will, kann man auch mal mit ´nem Boot rausfahren und die Segel gesetzt. Und dann fährt man mit dem Boot raus, und dann knattern die Segel und die Wimpel im Wind und man kann auch, wenn man will, kann man nach Skandinavien, Schweden, Norwegen, Dänemark, Rumänien, Dänemark. Wie man will."
Apropos Parteilinke, welchen Posten hat eigentlich Sanders in der Regierung?
Was jetzt passiert, betrachte ich als einen Rückfall in alte, ach so liebgewonnene Zeiten, zumal die Horde deutscher USA-devoter Nordatlantiker sich längst auf genau diese Politik eingeschossen hat und gegen Russland und China stänkert, was das Zeug hält. Ebenso die skandalös/anmaßende EU.
Sie sind nicht bereit zu lernen.
Birger Jarl, der Schwertbrüderorden, Sigismund Wasa, Napoleon, Hitler ...... in dieser Tradition stehen unsere wertewestlichen Politiker.
>>Sie sind nicht bereit zu lernen.<<
Ich gehe davon aus, dass hier im Plural formuliert wurde und nicht als Anrede.
Der FDR-Vergleich – so Joe Biden auf dem anskizzierten Weg agiert – ist so abwegig nicht. Gesellschaftliche und kulturelle Totalschäden waren die Konsequenz von fast jeder republikanischen Regierung seit 1920. Vergleicht man die jeweiligen Desaster mit dem Werk demokratischer Nachfolger, wird die verbrannte Erde, die republikanische Präsidenten anrichteten, fast greifbar: Prohibition, Korruption und Hoovervilles bei Hoover und seinen beiden Vorgängern, Wirtschaftsaufschwung inklusive neuem kulturellen Boom (Swing!) bei Roosevelt, eine rassistische Gesellschaft unter der Käseglocke bei (dem sonst relativ gemäßigten) Eisenhower, Aufbruch mit Great Society bei Johnson.
Was die Präsidentschaft Biden/Harris bringt, steht aktuell noch in den Sternen. Verglichen mit dem Vorgänger KANN sie jedoch nur besser werden.
warum fehlt karl der XII.?
und was hat die reihung mit werten (menschenrechten) aus dem 18.jh. zu tun?
steckt in den herrschern rußlands bis auf den heutigen tag: ein friedens-gen?
Stimmt: den 12. Karl von Schweden habe ich vergessen misamt den ganzen nordischen Kriegen.
Allerdings denke ich nicht, daß die Russen, und ihre Führung, ein Friedensgen haben, dafür haben sie saber lange Erfahrung mit Invasoren.
Genau !
und die russ. führung hat nie invadiert?
"Inzwischen hat sich gezeigt, was der leichteste Job ist in Washington: Ex-Präsident Trump gegen die Impeachment-Anklage zu verteidigen, er habe am 6. Januar zum Sturm auf das US-Kapitol angestiftet."
Inzwischen ist nicht nur Glenn Greenwald zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen. Auch Patrick Cockburn im Independent stellt die Ereignisse am 06.01.2021 in einem ganz anderen Licht dar, als es die Demokraten um Biden und die Mainstreammedien tun. (US media reports of the invasion of the Capitol have contributed to the spread of hatred and fear - The decline of journalism in America is made clear by the reporting of the attack) Die NYT musste inzwischen zurückrudern, aber ihre beiden Stories von dem Lynchmob, die sich als falsch herausstellten, sind um die Welt gegangen und nicht mehr einholbar. Cockburn schließt mit dem deprimierenden Satz:
"Bizarr, aber nicht überraschend. Als Nachrichtenereignis hat die Capitol-Invasion gezeigt, dass, wenn es um die Verbreitung von "Fake-News" geht, die traditionellen Medien sogar noch effektiver sein können als die sozialen Medien, die normalerweise dafür verantwortlich gemacht werden."
Auch der vorliegende Artikel macht da keine Ausnahme.
Sujumbike, Kutschum, Darwish Ghali ....... können Geschichten von russischen Invasorenen berichten.