Kerrys Talfahrt

USA 40 Tage vor der Präsidentschaftswahl droht den Demokraten eine katastrophale Niederlage

Beinahe jeden Morgen stößt der linke, liberale und friedensbewegte US-Zeitungsleser auf Hiobsbotschaften: Umfragen zeigen, dass der demokratische Präsidentschaftsanwärter John Kerry an Boden verliert. Ganz gleich, wo und wie untersucht wird. George W. Bush liegt vorn. Aber noch viel schlimmer aus demokratischer Sicht: Die Republikaner bestimmen die Debatte. Gut 40 Tage sind es noch bis zu den Wahlen, und gegenwärtig zeichnet sich eine Katastrophe ab für die Demokraten. Die Versicherung, es sei doch noch "lange" hin bis zum Wahltag am 2. November, da könne noch alles Mögliche passieren, verliert Überzeugungskraft.

Die Welt steht Kopf. Der US-Außenminister hat die Vorkommnisse im Sudan zum Genozid erklärt, auf Grund des Irak-Desasters ist an einen Militäreinsatz aber kaum zu denken. Im Irak sind nun mehr als 1.000 Soldaten und Soldatinnen gefallen; Tausende schwer verwundet, und ganze Landesteile unter Kontrolle der Aufständischen. Der August war der "blutigste" Monat für die "Koalitionsstreitkräfte". Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice versichert "Nixonesque", Amerika und die irakische Regierung seien auf dem Weg zum Sieg. Das US-Außenministerium muss nach erzwungenen Revisionen in einem Bericht zugeben, die Zahl "terroristischer" Anschläge sei weltweit gestiegen. Vizepräsident Cheney alarmiert grimmig die Wähler, der Terrorismus würde zunehmen, sollte Kerry gewinnen.

Viele Rentner, die ihre Medizin übers Internet oder per Post in Kanada kaufen, weil sie dort um vieles billiger ist, werden durch die US-Arzneimittelaufsichtsbehörde gewarnt, es gäbe Hinweise, al-Qaida wolle die Medikamente vergiften. Das Heimatschutzministerium findet auf Anfrage aber keine Belege. Inzwischen freut sich der Präsident, das Haushaltsdefizit sei um mehr als 20 Milliarden Dollar "niedriger als erwartet" ausgefallen. Mit 422 Milliarden ist es aber noch immer das größte der amerikanischen Geschichte. Die privaten Einkommen sind seit 2000 um 3,4 Prozent gefallen.

Die republikanische Wahlstrategie ist offensichtlich: Den hundertprozentigen Rechten öfter rohes Fleisch hinwerfen. Aber mit den sozialen "Erfolgen" ihres Präsidenten können die Republikaner beim Rest der Bevölkerung keinen Staat machen. Da hilft nur noch, den demokratischen Rivalen in den Dreck zu ziehen. Ob Kerry seine Vietnamkriegsorden erschwindelt hat, wird gefragt und viel getan, um dem Volk Angst zu machen vor den Terroristen. Die krisentrunkene Medienwelt macht gern mit. Kerry hat unentschlossenen Wählern bisher auch wenig Grund gegeben, sich zu engagieren. Wenn Bush spricht, weiß man, was er will. Bei Kerry sind kaum umfassende Themen erkennbar, wie die USA anders aussehen könnten. Der langjährige Senator nimmt viel Rücksicht auf seine Sponsoren. Führende Wahlstrategen sind Lobbyisten der Pharmaindustrie, von Microsoft, General Motors und der entregulierten Kommunikationsindustrie. Kerrys zaghafter Chefberater Bob Shrum hat seine letzten sieben (!) Präsidentschaftskandidaten in die Niederlage gesteuert.

Wäre in den USA eine alternative Politik möglich? Der Verbraucheranwalt Ralph Nader vertritt diese Auffassung, verlässt sich aber inzwischen auf Wahlhelfer aus der Republikanischen Partei, um seinen Namen auf die Stimmzettel für den November zu bekommen. Bei aktuellen Untersuchungen, was Wähler über soziale, außenpolitische und Umweltfragen denken, zeichnet sich im allgemeinen ein liberaler Konsens ab. Bei einer Umfrage des überparteiligen Pew Forum etwa waren deutliche Mehrheiten für internationale Kooperation zur Friedenserhaltung, für höhere Steuern, um Anti-Armutsprogramme zu finanzieren, und für stärkere Umweltgesetze. 35 Prozent sagten, sie seien konservativ, 22 Prozent liberal und 43 moderat. Die US-Amerikaner sind nicht plötzlich erzreaktionär geworden. Die Eliten sind es, die kein anderes Amerika wollen. Nicht einmal der wachsende Unmut angesichts des Irak-Desasters hat Bush merklich weh getan.


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