Mitte vergangener Woche in Nashville/Tennessee: Donald Trump spricht zu den Massen, als wäre er noch im Wahlkampf. Manche Fans hätten zwölf Stunden lang angestanden, schrieb der Tennessean. Trumps Regierungsbeginn werde oft kritisiert, so das Blatt, doch „für viele in der Menge repräsentiert der Start eingehaltene Versprechen“. Der Präsident hat in Nashville nicht enttäuscht. Wegen des „neuen Wirtschaftsklimas“ strömten Jobs zurück in die USA, behauptete er. Grenzen würden dicht gemacht; er habe Menschen getroffen, deren Angehörige grausam ermordet worden seien – von illegalen Einwanderern. Und zur Krankenversicherung sagte er: Der „tödliche Fehler“ von Obamacare sei gewesen, „Mensch
#8222;Menschen zu zwingen, ein von der Regierung genehmigtes Produkt zu kaufen“. So sieht es der Präsident der Vereinigten Staaten. Bei ihm würden Amerikaner die Versicherung kaufen, die sie wollen. Man sollte nicht den „fake, fake Medien“ glauben, es werde „großartig sein“.Trumpcare wird teuerDie Debatten über Donald Trumps Vorhaben sind groß. Für seine Mauer sollen Entwürfe vorliegen, wonach sie neun Meter hoch werden und erst nach einer Stunde dem Vorschlaghammer nachgeben solle. Es gibt viel Kritik an Trumps Diktum, Deutschland schulde der NATO und den USA viel Geld. Was die Zukunft der Trump-Regierung angeht, sind diese bizarren Themen eher Nebensache. Er mag populistisch Wahlkampf geführt haben – der Haushaltsentwurf lässt keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit. In Frage stehen selbst minimale Zuschüsse zum „Essen auf Rädern“.Der erste große Test für den angestrebten Umbau ist das Vorhaben, Obamas Gesundheitsreform von 2010 rückgängig zu machen. Am Donnerstagabend jedoch fand die Abstimmung im Repräsentantenhaus überraschend nicht statt. Widerstand hatte es von rechts und links gegegben. Konservativen Republikanern ging "Trumpcare" nicht weit genug, moderate Republikaner fürchten Widerstand ihrer Gouverneure. Die Demokraten verweigerten ohnehin geschlossen ihre Zustimmung. Trump reagierte mit einem Erpressungsversuch: Entweder werde sein Gesetzesentwurf werden angenommen, oder er lasse die Abstimmung ganz platzen. Am Freitagnachmittag wird eine Entscheidung erwartet-Was tun Trump-Wähler, wenn viele von ihnen auf ihrer Versicherungsrechnung lesen, dass sie sich „Trumpcare“ gar nicht leisten können? Genau das wäre zu erwarten, wenn die Republikaner an den Grundzügen ihrer Reform festhalten. Im Wahlkampf hatte Trump eine bessere, kostengünstigere Krankenversicherung für alle versprochen. Wie das gehen soll, wurde nie enthüllt. Seine Leute wollen glauben.Krankenversicherung ist komplex in den USA. Es gibt keine umfassende staatliche Versicherung. Durchaus normal sind Policen, bei denen Versicherte tausende Dollar im Jahr für Behandlungen zahlen, bevor die Versicherung überhaupt greift. Viele sind beim Arbeitgeber versichert. Senioren über 65 bekommen die staatliche Versicherung Medicare, die Ärmsten den Schutz von Medicaid. Wer nicht in diese Kategorien passt, muss auf den kommerziellen Versicherungsmarkt.2010 hatten rund 48 Millionen Amerikaner keinen Versicherungsschutz: weil sie sich die Prämien nicht leisten konnten, weil Versicherer sie ablehnten wegen vorheriger Erkrankungen oder weil sie es riskieren wollten, auf eine Versicherung zu verzichten. Obamas Affordable Care Act führte die Versicherungspflicht ein. Menschen müssen eine Versicherung kaufen bei Versicherungsfirmen, die sich allerdings an Vorgaben der Regierung zu halten haben. Das Gesetz schreibt vor, dass Versicherungsschutz auch für Vorsorgeuntersuchungen und für Familienplanung gilt. Firmen müssen erstmals alle Mitarbeiter versichern ungeachtet von „Vorerkrankungen“. Wer sich Prämien nicht leisten kann, bekommt Geld vom Staat.Zudem hat Obamacare die Aufnahmekriterien für Medicaid erweitert. Das Resultat: Derzeit sind nur mehr 29 Millionen Amerikaner ohne Versicherungsschutz. Manche zahlen lieber die paar hundert Dollar Strafe, andere können sich selbst Obamacare nicht leisten. Ausgeschlossen von Obamacare sind gut elf Millionen Menschen ohne Papiere.Obamacare ist den Rechten seit jeher verhasst gewesen, besonders wegen der Versicherungspflicht. Nicht zu Unrecht stufen wirtschaftsliberale Kritiker Obamacare als Mittel zur Umverteilung ein, kommt sie doch primär unteren Einkommensgruppen zugute, freilich nicht überall in gleicher Weise. In manchen Regionen haben Kunden kaum Versicherungswahl, da es nur einen oder zwei Anbieter gibt. Manche Versicherungen verlangen hohe Eigenleistungen. Linke Demokraten hatten seinerzeit gefordert, der Präsident solle Medicare auf alle ausdehnen.„Freiheit“ und „weniger Regierung“ werden nun groß geschrieben bei der Gegenreform. Die Versicherungspflicht soll abgeschafft werden, die Subventionen für Versicherte würden durch Steuernachlässe zwischen 2.000 und 4.000 Dollar im Jahr ersetzt; die Medicaid-Erweiterung wäre passé. Das Haushaltsbüro des Kongresses hat errechnet, dass dadurch 2018 gut 14 Millionen Amerikaner ihren derzeitigen Versicherungsschutz verlieren.Bürger um die 60 verlierenBesonders negativ würde sich die Reform auf Bürger um die 60 auswirken. Da ihre Arztkosten höher sind, können die Versicherer künftig fünfmal höhere Prämien als bei Jüngeren verlangen. Das Institut Kaiser Family Foundation kalkuliert: Ein 27-Jähriger mit einem Jahreseinkommen von 20.000 Dollar (ein Geringverdiener also) erhalte im Schnitt jährlich 3.225 Dollar Zuschuss zur Versicherung. Der republikanische Plan würde bei 2.000 Dollar deckeln. Ein 60-Jähriger mit diesem Jahresverdienst erhält derzeit 9.874 Dollar, Trumpcare deckelt bei 4.000 Dollar. Erfreulich ist die Reform für den 75.000-Dollar-Verdiener, der bei Obamacare ohne Zuschüsse bleibt, bei Trumpcare aber einen Steuernachlass von 2.000 bis 4.000 Dollar erhält.Kein demokratischer Politiker hat sich für diese Reform ausgesprochen. Wähler konfrontieren Republikaner mit Klagen. Für Trump hatten überproportional viele Menschen aus der gehobenen Altersgruppe gestimmt, die nun am schlechtesten wegkommt. Der konservative Kern der Partei (das sind ein paar Dutzend Abgeordnete) beschwert sich, die Reform gehe wegen der Steuernachlässe nicht weit genug.Trumps vermeintlicher Populismus ist leer. Kürzungen geschähen zum Wohl der Menschen, erläutert Mick Mulvaney, Chef von Trumps Büro für Haushalt und Budget. Der Haushalt zeige Mitgefühl für den Steuerzahler, da keine unnötigen Programme mehr finanziert würden. Was nicht absehbar ist: Wie reagieren die Trump-Wähler, wenn ihr Mann ihnen wehtut? In Medieninterviews wollen viele nicht glauben, dass Trump ihnen schaden könnte. Wie weit wird der gehen, um sein populistisches Image zu erhalten? Gelogen wird schon jetzt.