USA/Nahost: Joe Biden ist eigentlich kein Fan von Benjamin Netanjahu
Interessen Während Joe Biden nach Tel Aviv reist, bleibt die Unterstützung für Israel in Washington parteiübergreifend Konsens. Doch die Zeit nach dem Krieg wirft schon ihre Schatten voraus: Der Konflikt in Nahost wurde zu lange ignoriert
US-Präsident Joe Biden trifft am 11. Oktober Vertreter jüdischer Gemeinden im Weißen Haus.
Foto: Brendan Smialowski/AFP/Getty Images
Es heißt, die Hoffnung stirbt zuletzt. Beim Blick auf das Morden der Hamas in Israel und die Katastrophe in Gaza wächst die Angst, die Hoffnung könnte bereits gestorben sein. Viel hängt von Joe Biden ab, der nach Israel gereist ist, aber darauf verzichten muss, wie vorgesehen auch Jordaniens König Abdullah und den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas zu treffen. Beide haben abgesagt, nachdem ein Krankenhaus in Gaza getroffen wurde, und es Hunderte von Toten gab.
UN-Generalsekretär António Guterres hat in einem Gastbeitrag für die New York Times an die israelische Regierung appelliert, ihren Befehl zu überdenken, eine Million Menschen im Norden des Gazastreifens müssten ihre Wohnorte verlassen. Humanitäre Hilfe sollte erl
Menschen im Norden des Gazastreifens müssten ihre Wohnorte verlassen. Humanitäre Hilfe sollte erlaubt, alle Geiseln müssten freigelassen, die Zivilbevölkerung dürfe nicht als Schutzschild benutzt werden, verlangt der Spitzendiplomat. Man stehe vor einer „katastrophalen Eskalation“. Das Leid, welches die Palästinenser fühlten, sei keine Rechtfertigung für Terror gegen Zivilisten in Israel, aber zugleich rechtfertigten die entsetzlichen Taten der Hamas keine „kollektiven Strafen für das palästinensische Volk“. Ein solches Statement hat es schwer in der US-Politik. Gegenwärtig erstickt die menschenverachtende Hamas-Attacke vom 7. Oktober so gut wie alles, was nach einer „alternative Nahost-Politik“ aussehen könnte. Der US-Präsident, eigentlich kein Fan von Premierminister Benjamin Netanjahu, der – wie Biden einmal sagte – „eine der extremistischsten Regierungen“ in Israels Geschichte anführe, hat rückhaltlosen Beistand gegen „den Akt des puren Bösen“ versprochen.Vorsichtige AnfragenIn der Republikanischen Partei mit ihrem rechtschristlichen Flügel gilt Vollunterstützung für Israel; man denke an Donald Trumps Entschluss von 2018, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Bei den Demokraten ist nach dem 7. Oktober die vorsichtige Debatte über eine andere Nahost-Politik leise geworden. So schrieb Deborah Lipstadt, US-Beauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus, niemand habe „das Recht, Israel zu sagen, wie es sich zu verteidigen und künftige Angriffe zu verhindern hat“. 55 demokratische Abgeordnete wandten sich am 13. Oktober an Biden mit ihren Sorgen angesichts der humanitären Situation im Gazastreifen. Sie dankten für die „Unterstützung unseres Verbündeten Israel“ und drängten den Präsidenten, er solle der israelischen Regierung mitteilen, Israel müsse Rücksicht nehmen auf die „Millionen unschuldigen Zivilpersonen in Gaza, die selbst Opfer von Hamas sind“. Zugleich habe Israel das Recht, sich gegen den grausamen Hamas-Angriff zur Wehr zu setzen.Zwei Abgeordnete stellten sich zur Empörung ihrer Kollegen quer. Cori Bush aus Missouri forderte, die US-Regierung müsse ihre „Hilfe für die israelische Militärbesatzung und Apartheid einstellen“. Sie trauere um „palästinensische und jüdische Opfer“, erklärte die Abgeordnete Rashida Tlaib. Der „herzzerbrechende Kreislauf der Gewalt“ würde weitergehen, solange die USA „der Apartheid-Regierung Milliarden ohne Auflagen“ bereitstellten.Bidens „Balanceakt“Biden hat vor seinem Flug nach Israel mit Netanjahu telefoniert, Details der Militärhilfe erörtert und zugleich Unterstützung für alle Maßnahmen zugesagt, mit denen Zivilisten geschützt werden. Das linke Magazin Jewish Currents beschrieb Bidens Nahost-Politik vor den Hamas-Morden als „Balanceakt“. Seine Administration habe bestimmte Maßnahmen der Netanjahu-Regierung verurteilt, ohne die Beziehung insgesamt umzustoßen. Regierungsvertreter behaupteten, man habe bei den Verhandlungen mit Israel Schlimmeres verhindert, schreibt Jewish Currents. Doch habe Biden bisher den Eindruck erweckt, er wolle das Palästinaproblem beiseiteschieben. China und Russland seien wichtiger.Offenkundig träumte das Weiße Haus eher von der Idee, Saudi-Arabien und andere arabische Staaten würden ihre Beziehungen zu Israel normalisieren. Das Projekt der Abraham Accords schien so weit fortgeschritten zu sein, dass 20 demokratische Senatoren Anfang Oktober Besorgnis wegen einer Übereinkunft Israels mit Saudi-Arabien äußerten. Das Königreich werde möglicherweise Sicherheitsgarantien von den USA verlangen. Biden müsse zudem dafür sorgen, dass ein solches Abkommen spezifische Bestimmungen enthalte, um eine Zwei-Staaten-Option im israelisch-palästinensischen Konflikt zu erhalten.Israel, Ukraine, Taiwan, Grenzschutz – ein Gesetz für alle Hilfen?Es heißt, Charles Schumer, der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, wolle ein Gesetzespaket zur Abstimmung bringen, das Hilfe für Israel mit der für die Ukraine, für Taiwan und möglicherweise den US-Grenzschutz bündelt. Er wolle Republikaner ins Boot holen, weil er wisse, dass es gegen Hilfe für Israel keine Widerstände gibt. Manche aus der Oppositionspartei kritisieren, Biden habe zu wenig getan für dessen Sicherheit. Aber Geld für Taiwan gegen China sowie für den Grenzschutz – das sind republikanische Lieblingsthemen. Bei der Ukraine hingegen wächst unter den Republikanern die Kritik an Bidens Formel „Unterstützung – so lange wie nötig“. Bisher konnten die Unstimmigkeiten darüber im Repräsentantenhaus nur bedingt ausgetragen werden, da es den Republikanern nicht gelang, einen neuen Sprecher zu wählen. Solange das ausstand, war diese Parlamentskammer blockiert.Was gibt es an Hoffnung für Gaza und Israel? Biden wahrt die US-Interessen, wie er sie sieht. Eine Pulverisierung des Gazastreifens mit unabsehbaren regionalen Konsequenzen gehört nicht dazu. Biden hat bereits gewarnt, eine Gaza-Besetzung wäre ein schwerer Fehler. Vielleicht kann er nach seinem großen Ja zu Israel mäßigend einwirken. Der Präsident des hochkarätigen Council on Foreign Relations, der Ex-Diplomat Richard Haass, hat gewarnt, Hamas sei mehr als eine Organisation. Man könne die Führung töten, das Konzept werde weiter existieren. Und die Frage muss gestellt werden, was danach kommen soll, wenn die vielen toten Menschen begraben sind und die Überlebenden mit dem Erlebten weiterleben sollen.
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