Wollen die Demokraten zurück an die Macht, dürfen sie in ländlichen Regionen nicht länger haushoch verlieren. Aber das ist ganz schön schwierig. Die Kluft zwischen Stadt und Land beschäftigt im Vorfeld der Zwischenwahlen im November die Kandidaten. Im Repräsentantenhaus sitzen Republikaner vom Land fest im Sattel. Donald Trumps Partei stellt derzeit 88 der 100 Abgeordneten aus den „ländlichsten“ Wahlbezirken, so der Wahlreformverband Fairvote. Und der heutige Präsident erhielt am 8. November 2016 mehr als 60 Prozent der Stimmen in ländlichen Landkreisen. Der letzte Demokrat, der mithilfe ländlicher Wähler gewonnen hat, war Bill Clinton in den 1990er Jahren, der Mann aus Arkansas.
Der Soziologe Robert Wuthnow, Jahrgang 1946, ist in Kansas aufgewachsen, dem Staat im geografischen Zentrum der Vereinigten Staaten mit vielen Getreidesilos und rechtwinklig angelegten Landstraßen. Wuthnows Grundschule lag in einem 600-Einwohner-Dorf und steht nun schon jahrzehntelang leer. Die Highschool besuchte er in einem Ort mit 5.000 Einwohnern, in dem heute nur noch halb so viele Menschen leben. Es sei schön gewesen, schreibt Wuthnow in seinen Erinnerungen. Menschen in seiner Heimat seien auch heute noch stolz auf ihre Community. „Aber die, die ich kenne, haben das Gefühl, man habe sie zurückgelassen.“ 74 Prozent hätten Trump gewählt. Viele Kirchen auf dem Land schließen die Türen, weil die Mitglieder aussterben.
In den „Downtowns“ mancher kleiner Orte nageln Geschäftsleute Bretter vor die Schaufenster ihrer Läden. Einstige Kunden zieht es in die außenliegenden Einkaufszentren oder sie shoppen online. Die freiwillige Feuerwehr hat Nachwuchssorgen, weil junge Leute wegziehen. Häufig werden Sanitäter gerufen, um Menschen nach einer Opioid-Überdosis zu retten. Laut Gesundheitsbehörde CDC liegt die Suizidrate in den Landkreisen der USA im Schnitt bei 17,3 Fällen pro 100.000 Bewohner und damit deutlich höher als der vergleichbare Wert (11,9) in den Städten.
Schweinefleischgedanken
Wuthnow hat vor kurzem ein Buch mit dem Titel The Left Behind. Decline and Rage in Rural America (Die Zurückgelassenen. Niedergang und Zorn im ländlichen Amerika) geschrieben. Sie fühle sich nicht „zurückgelassen“, meint Julie Duhn aus dem 2.700 Einwohner zählenden Eldora in Iowa. Manche junge Leute aber wohl schon, „weil es keine Jobs gibt, mit denen man genug zum Leben verdient“. Und die oft überwältigenden technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen machten vielen Menschen Angst. Sie lebe als Pensionärin mit drei erwachsenen Kindern und einer Enkeltochter.
Eldora hat laut Regierungsangaben seit 2010 mehr als 300 Einwohner verloren. Der Ort liegt im Wahlkreis des republikanischen Abgeordneten Steven King. 2016 gewann der hier sein Mandat mit mehr als 60 Prozent. King sei bekannt für „kontroverse und manchmal aufhetzende Statements“, schreibt das Blatt Des Moines Register, die größte Zeitung von Iowa. Kürzlich sprach King auf der Website Breitbart über Schlachthöfe in seinem Bezirk. Es sollten dort keine muslimischen Einwanderer aus Somalia beschäftigt werden, verlangte er. Denn die würden das Schweinefleisch nicht essen, verarbeiteten es aber in der Annahme, es werde Ungläubige zur Hölle schicken und Allah glücklich machen.
Tim Marema wohnt in einem kleinen Ort in Tennessee, arbeitet als Redakteur bei der Online-Plattform dailyyonder.com, die vom Zentrum für Ländliche Strategien betrieben wird, das sich mit Wirtschaftsentwicklung und Politik auf dem Land befasst. Die Zahl der Bauernhöfe ist laut Agrarministerium seit 2000 um 130.000 auf gut 2,04 Millionen zurückgegangen. Auch die einbrechende Verarbeitungsindustrie auf dem Land, der Zerfall der Gewerkschaften und der Verlust an sozialen Bindungen hat Menschen verwundbar gemacht für rechte Rhetorik auf der Suche nach der guten alten Zeit. Trump habe diese Gefühle verstanden und aufgenommen, das von ihm prophezeite phänomenale Wirtschaftswachstum, über das er gern spreche, helfe jedoch überproportional städtischen Regionen, urteilt das Zentrum für Ländliche Strategien.
Dabei sind die USA nicht allein mit dem Wachstum eines autoritären Populismus, der Gefallen findet auf dem Land, wo die Menschen sich abgehängt fühlen. Und abgehängt werden. In Europa fallen einem mehrere Länder ein. Konservatives Denken findet in den USA auf dem Land freilich viel Zuspruch. Kirchen mobilisieren gegen Abtreibung, ein Thema, das vielen Menschen wichtig ist. Und dann sind da die Schusswaffen. Sie gehören halt zum Alltag. Baptistenpastor Frank Pomeroy aus dem Dorf Sutherland Springs in Texas sagt im Gespräch, von Europareisen wisse er, dass es unmöglich sei, dort das texanische Schusswaffenkonzept zu vermitteln. Er trage seine Waffe auch beim Gottesdienst. In Pomeroys Kirche hat ein Mann im vergangenen November 26 Menschen erschossen, auch Pomeroys Tochter Annabelle. Er selbst war an diesem Sonntag nicht da. Ein bewaffneter Nachbar hat geholfen, den Täter zu stoppen.
Ungefähr 50 Millionen der 325 Millionen US-Amerikaner leben auf dem Land. Sie sind „weißer“ als der Rest des Landes. Und sie haben überproportionalen politischen Einfluss. Laut Verfassung stellt jeder der 50 Bundesstaaten zwei Senatoren. Heißt also: Die gegenwärtig verlässlich republikanischen ländlichen Staaten Oklahoma, Utah, Idaho, Nebraska, Iowa und North Dakota stellen mit zusammen rund 13 Millionen Einwohnern zwölf Senatoren. Das demokratisch regierte Kalifornien mit 40 Millionen Einwohnern zwei. Der ländliche Vorsprung filtert die Präsidentschaftswahl, denn im Wahlmännergremium (Electoral College), das letztlich den Präsidenten wählt, bekommt jeder Staat so viele Stimmen, wie er Senatoren und Abgeordnete hat. (Die Abgeordnetenzahl richtet sich nach der Bevölkerungszahl.)
Gibt es Hoffnung auf eine „demokratische Welle“ bei den in weniger als drei Monaten fälligen Zwischenwahlen? Niemand könne die Zukunft vorhersagen, meint Marema vom Daily Yonder, auf dem Land sehe es eher nach Tröpfeln aus als nach einer Welle. Der 44-jährige Adam Kruggel arbeitet in der Planung beim Verband People’s Action mit dem Ziel, eine progressive, populistische Bewegung zu schaffen, gerade auf dem Land. Rund 600 Mitarbeiter aus Mitgliedsverbänden helfen laut People’s Action bei den „grassroots“.
Die Demokratische Partei werde vielerorts verachtet, weil sich die Leute eher von der vermeintlichen Partei der Arbeiter und der Mittelschicht betrogen fühlten als von den Republikanern, vermutet Kruggel. Um das zu korrigieren, müsse sie eine Sprache finden, die nicht arrogant rüberkomme, und Programme vorschlagen, die das Leben der Menschen betreffen. Auf dem Land gebe es viel Zustimmung zu progressiven Anliegen wie einer Krankenversicherung und einer Wirtschaft, die sich mehr um Menschen kümmere.
Grillen und Spenden
Die Industrialisierung der US-Landwirtschaft wurde von demokratischen Politikern mitgetragen. Lebensmittel sind billig in den USA, kleine Höfe können sich kaum über Wasser halten. Eine progressive Bewegung müsse den Republikanern auch das Image vom Verteidigen der Familienwerte streitig machen, sagt Kruggel. Das mit den Familienwerten beschäftigt Julie Duhn in Eldora, wenn sie die Bilder von den Migrantenfamilien an der Grenze zu Mexiko sieht, die auseinandergerissen werden. Man habe ihr vorgeworfen, sie sei emotional, „aber das sind Menschen wie ich, und denen werden die Kinder weggenommen“. Da werde sie halt emotional, „ich bin doch nicht innerlich tot“. Kürzlich hat Duhn ein Protestmeeting organisiert, vor dem Gefängnis in Eldora, in dem die Einwanderungsbehörde ICE Migranten einsperrt. Ein paar Leute seien gekommen. Anfang August dann hätten People’s Action und andere Gruppen in rund 50 Pro-Trump-Landkreisen Grillpartys veranstaltet, um Spenden für Migrantenfamilien zu sammeln. In Eldora habe ein ihr unbekannter Mann 500 Dollar gespendet, erzählt Duhn.
Demokraten verfügen in den USA über sehr große Mehrheiten in großstädtischen Regionen. Dort konzentriert sich der Widerstand gegen Trump. Das mag gut aussehen bei Umfragen über die Negativwerte des Präsidenten. Doch das Erlangen von politischer Macht funktioniert anders, siehe Kongresswahlen und Electoral College. Hillary Clinton hat 2016 wegen der vielen Wähler in den Ballungsgebieten gut zwei Millionen Stimmen mehr bekommen als der Showman. In den kleineren städtischen Regionen und den Vorstädten halten sich beide Parteien oft die Waage. Und auf dem Land sieht es eben schlecht aus.
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