Warum nicht Bernie Sanders als Arbeitsminister? Definitiv keinen von der Wall Street im Finanzministerium! Im linken Spektrum der Demokraten sorgt man sich, der designierte US-Präsident werde vom „extremen Zentrum“ aus regieren und den Populismus den Trumpisten überlassen. Die Partei will die Mitte reflektieren, ohne genau zu wissen, wen sie damit vertritt. Manche der demokratischen Wähler haben mit der Forderung nach tiefgreifenden Veränderungen abgestimmt, andere vor allem, um Trump loszuwerden.
Joe Biden besetzt in diesen Tagen sein Kabinett. Aus dem Parteiprogramm werden irgendwann Gesetzesvorlagen und Exekutivorders. Dann dürfte ersichtlich sein, was geschieht und auf welche Interessen er die meiste Rücksicht nimmt. Für erste Posten in seiner Administration sind Mitarbeiter aus dem Umfeld Barack Obamas gesetzt, etwa Antony Blinken, der designierte Außenminister, 2013 bis 2015 stellvertretender Nationaler Sicherheitsberater, 2015 bis 2017 Stellvertreter von Außenminister John Kerry, der nun Sonderbeauftragter für den Klimaschutz wird. Ein Signal, so Kerry, dass die Klimakrise als „vordringliche Bedrohung der nationalen Sicherheit“ betrachtet wird.
Der Fluch der Vielfalt
In den Agency Review Teams, den Arbeitsgruppen, die das Team Biden auf die Führung von Ministerien vorbereiten, sitzt eine bunte Mischung: Umweltschützer, viele Rechtsanwälte, Gewerkschafter, Akademiker, Thinktanks, Industrievertreter – zur Hälfte Frauen. Das sieht ganz anders aus als bei Trump und seinen weißen Männern. Leitbranchen sind präsent mit Gesandten von Amazon, In-Q-Tel und Uber.
Jedenfalls zeigen die Vorbereitungen auf den Tag nach der Amtseinführung am 20. Januar: Für die Demokraten und die Biden-Koalition ist das Regieren komplex. Die Republikaner unter Trump waren als weiße und rechts-christliche Partei schnell vereinigt. Bei den Demokraten verlaufen die Konfliktlinien durch die Partei. Ihre Kernorte sind die Städte, mit einer Mischung aus jungen Menschen, Afroamerikanern und Latinos. Ein links orientiertes Publikum, viele engagiert und fortschrittlich bei soziokulturellen Fragen von Transgender-Rechten bis zum Umgang mit Polizeibrutalität. Doch handelt es sich um kein homogenes Lager. Bei der Wahl 2020 konnte man erahnen, dass die demokratische Hoffnung, der demografische Wandel – die Weißen werden weniger, alle anderen mehr – werde der Partei zur Macht verhelfen, nicht „automatisch“ funktioniert. Hinter dem Konzept „People of Color“ stecken in Wirklichkeit unterschiedliche Erfahrungen. Der Begriff Latino ist genauso unspezifisch wie Europäer. Die Demokraten waren schockiert über die vielen Latino-Stimmen für Trump.
Die Städte haben demokratisch gewählt. Im sozialdemokratischen Magazin In these Times heißt es, Biden verdanke seinen Wahlsieg den Linken; es sei deren Organisationstalent vor Ort zuzuschreiben, dass so viele neue Wähler den Ausschlag für Biden gegeben hätten. Doch die Daten sind nicht schlüssig: Bedeutend waren auch Stimmen aus den Vorstädten, ehemals republikanisches Territorium. Biden hat offenbar auch bei Weißen ohne höheren Schulabschluss und bei weißen Senioren nicht ganz so schlecht abgeschnitten wie Hillary Clinton.
Die Corona-Pandemie ist nun das dringlichste Anliegen mit täglichen Neuinfektionen um die 200.000 und Todeszahlen bis zu 2.000. Im Kongress stocken demokratische Anläufe für ein neues Hilfspaket. Im März hatten beide Kammern mit Donald Trumps Unterschrift ein Zwei-Billionen-Dollar-Paket beschlossen. Möglicherweise hat diese Linderung dazu beigetragen, dass die Wähler Trump keinen größeren Denkzettel ausgestellt haben. Die darin vorgesehenen zeitlich begrenzten Zuwendungen laufen aus, sodass Arbeitslosen das Geld ausgeht und Mietern Zwangsräumung droht. Die Immobilienfirma der Familie von Präsidentenberater Jared Kushner hat laut Washington Post Hunderten von Mietern Kündigungsnoten geschickt. Es mag verwegen klingen, aber das Ende der Pandemie ist wohl in Sicht. Der Impfstoff kommt. Es wird nicht alles sofort besser. Die Masken und das Abstandhalten werden noch eine Zeit bleiben. Doch Biden wird vom Impfstoff profitieren. Die Regierung kann aus der Pandemie heraus die Wirtschaft umbauen.
Und auch diese Frage kommt auf den designierten Präsidenten zu: Soll Trump auf dem Rechtsweg zur Rechenschaft gezogen werden? Wenn ja, wie? Sollen Ermittlungen zu seinen Geschäftspraktiken vor und während der Zeit im Weißen Haus anlaufen? Trumps Anwalt Michael Cohen war 2018 wegen Steuerbetrugs im Zusammenhang mit Schweigegeld zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Laut Staatsanwaltschaft handelte er „in Koordination mit und auf Anweisung von Individual 1“ – dem Präsidenten.
Obamas Schatten
Biden hält anscheinend nicht viel von Ermittlungen. Es wäre „sehr ungewöhnlich und vermutlich ... nicht sehr gut für die Demokratie“, über strafrechtliche Verfolgungen ehemaliger Präsidenten zu sprechen, hat Biden im August bei einem Interview gesagt. Eliten kommen in den USA gewöhnlich davon. Barack Obama hat sich nicht mit der Folter unter der Regierung von George W. Bush befassen wollen: Er wollte nach vorn blicken. Der Ex-Präsident hat – inmitten der Debatte um die Zukunft – seine Autobiografie A Promised Land vorgelegt (Lesen Sie Seite 28) und war mit Exklusivinterviews auf Promotour zwischen Markus Lanz und Oprah Winfrey. Es tat der bildungsbürgerlichen Seele gut, Sätze zu lesen mit mehr Gewicht als bei Trumps Meetings üblich.
Obama wirft einen Schatten auf Biden. Er glaubt an das gelobte Land, die Besonderheit der USA, der man noch nicht gerecht werde. Seine Politik stand für Realismus in den Farben der USA. Er hat dies im Gespräch mit dem Magazin The Atlantic erläutert. Bei Kompromissen habe er seine Mitarbeiter gefragt: Wir kriegen nicht alles, aber ist das hier besser? Und wenn ja, dann sei das Bessere gut. „Besser“ sei nicht grundsätzlich schlecht. Donald Trump heizt Verwirrung an und klammert sich ans Amt mit Lügen. Es geht ihm um die Marke Trump, die Delegitimierung von Biden und die Festigung einer trumpistisch-rechten Bewegung. Abgeordnete, Senatoren und Millionen Trump-Wähler, die nicht an Bidens Sieg „glauben“ wollen, haben kein Interesse an Kompromissen. Sich nur auf „Besseres“ zu verlassen, genügt da wohl nicht.
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