Auf alles vorbereitet

Women‘s March Die Proteste gegen Trump nehmen neue Ausmaße an, Hundertausende demonstrierten am Wochenende weltweit. Doch auch abseits der Straßen fomiert sich Widerstand. Aus New York
Rund 400.000 Frauen und Männer kamen in New York für den Womens's March zusammen
Rund 400.000 Frauen und Männer kamen in New York für den Womens's March zusammen

Foto: BRYAN R. SMITH/AFP/Getty Images

Unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps im November entlud sich eine kurze Welle des Protests und der Gewalt. Dann folgte das große publizistische Verdauen. Kaum ein Tag verging, an dem nicht das Gesicht des Milliardärs oder wenigstens sein Name omnipräsent an den Zeitschriftenkiosks war. Die Proteste flauten langsam ab, ebenso das Trommelfeuer aus Trumps Twitter-Kanal. Für einen Moment war der ein oder andere Autor geneigt, nach der Hysterie in optimistisch-abwartende Stimmung zu verfallen.

Dann kam die erste Pressekonferenz. Seitdem war klar: Der Präsident Trump wird sich vom unbequemen Wahlkämpfer Trump nicht unterscheiden, nur weil er statt in seiner New Yorker Hochhaussuite nun im Weißen Haus sitzt. Seine Rede zur Amtseinführung bestätigte das. Die Hoffnungen einiger westlicher Demokraten, seine Rhetorik sei nur Blendwerk, wurden im Keim erstickt: 80 US-Diplomaten auf der ganzen Welt sind frist- und ersatzlos entlassen, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten werden privatisiert, der Krankenversicherungsplan der Obama-Regierung wird abgeschafft und es kann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die ersten Zementmischer an der Grenze zu Mexiko stehen und dort allen Ernstes eine gigantische Mauer hochgezogen wird.

Die Proteste übertreffen die Bürgerrechtsbewegung der 60er-Jahre

Der Milliardär beginnt sein Amt mit historisch schlechten Umfragewerten, doch nach den eklatanten Fehlprognosen vor der Wahl interessiert sich für Umfragen keiner weniger als er. Die leicht verregnete und nur mäßig besuchte Parade durch Washington D.C. wurde von Jubel aber auch mit deutlich hörbaren Buhrufen begleitet. Noch am Abend der Amtseinführung entlud sich in der Hauptstadt zum Teil gewalttätiger ziviler Ungehorsam von einigen Kleingruppen. Amerikanische Medien berichteten von eingeworfenen Schaufenstern, zerstörten Limousinen, angezündeten Flaggen sowie einem brennenden SUV. Am Tag darauf sollte dann der geordnete, organisierte Massenprotest folgen.

Über eine halbe Million, nach Angaben der Veranstalter bis zu 700.000, Menschen versammelten sich zum „Marsch der Frauen auf Washington“ („Women‘s March on Washington“). Der Name, der das historische Ausmaß des Protestes untermauern soll, ist eine Anlehnung an den „March on Washington for Jobs and Freedom“ von 1963, einem der Höhepunkte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King. Quantitativ war der „Women‘s March“ am vergangenen Samstag um ein Vielfaches größer als sein historisches Original und dürfte zu den größten Demonstrationen gehören, die das Land jemals gesehen hat.

Die Initialzündung dafür gab eine Rentnerin: Die Hawaiianerin Teresa Shook ließ sich am Tag nach der Wahl im November von Freunden erklären, wie sie auf Facebook eine Veranstaltung erstellen kann. Am selben Tag hatte sie 40 Teilnehmer. Eine Nacht später waren es 10.000. Dann übernahmen große Organisationen im ganzen Land und später auf der ganzen Welt das Ruder. Vergangenen Samstag fanden über 600 Protestveranstaltungen unter der Flagge des „Women‘s March“ statt, rund 400 davon in den Staaten und weitere 200 weltweit, unter anderem in Berlin, München und Frankfurt. Die unbestätigte, von den Veranstaltern geschätzte Gesamtteilnehmerzahl liegt bei rund zwei Millionen.

„Trump hat gewonnen – kommt damit klar!“

Mit etwa 400.000 Teilnehmern war der Protest in New York neben Washington der zweitgrößte. Es sind die Großstädte an der West- und Ostküste, in denen die wenigsten Wähler für Trump gestimmt hatten. Der Marsch verlief durch Manhattan, entlang der breiten Mittelpromenade Fifth Avenue, vorbei an den leuchtenden Reklametafeln des Times Square bis kurz vor den Trump Tower – der nun mehr zum symbolischen Ort geworden ist, seitdem Trumps Suite im 58. Stock nun nicht mehr sein Hauptwohnsitz ist.

In seiner Thanksgiving-Ansprache im November betonte er noch, Präsident aller Amerikaner sein zu wollen. Dennoch fühlen sich die Menschen hier nicht etwa schlecht, sondern überhaupt nicht von ihm repräsentiert. Für einige ist er kein demokratischer Kompromiss, sondern schlichtweg ein Albtraum. Unter die üblichen couragierten Ansagen auf den Plakaten mischt sich ungewöhnlich viel Verzweiflung: „Wie konnte das passieren?“, steht auf einigen, oder „Das ist eine Katastrophe.“ Am Abend des Woman‘s March verblieb eine Gruppe vor dem Trump Tower und protestierten gegen die Fassade, so wie es in den letzten Monaten häufig spontan vorkam. Vier junge Männer, einer davon mit Trump-Mütze, stießen dazu und skandierten gehässig-erfreut und unter Polizeischutz „USA!“ gegen die Menge. Auf ihrem Schild stand: „Trump hat gewonnen – kommt damit klar!“

Frauenrechte sind Menschenrechte

Der Präsident selbst reagierte ähnlich zynisch: „Ich habe mir die Proteste gestern angeschaut, aber stand unter dem Eindruck, dass wir gerade erst eine Wahl hatten! Wieso waren diese Leute nicht wählen?“, twitterte er. Das rechte Newsportal „Breitbart“ spielte die Proteste herunter und merkte an, es gäbe keinerlei frauenfeindliche politische Entscheidung seitens Trump, gegen die protestiert werden könne. Das ist bislang nicht von der Hand zu weisen, verklärt aber den Fakt, dass sich der „Women‘s March“, an dem keineswegs nur Frauen teilnahmen, keine reine Gegenveranstaltung ist. Er solle, so die Veranstalter, „die Nachricht an die Regierung vermitteln, dass Frauenrechte Menschenrechte sind.“ Das geschieht zurecht prophylaktisch. Zum politischen Programm Trumps gehört unter anderem die bedingte Ablehnung des Abtreibungsrechts. Die Demonstranten halten Trump aber auch fern seiner realpolitischen Entscheidungen für einen Frauenfeind, nicht zuletzt ob seiner skandalösen Äußerungen, auf die vor allem der Sprechchor „Pussy grabs back!“ kämpferisch antworten soll.

Der zahlenmäßig gewaltige Protest gegen den gewählten Präsidenten ist bemerkenswert und mindestens genau so einmalig wie das Phänomen Trump selbst. Es ist aber nicht nur symbolischer Widerstand, der sich formiert: Universitäten wie die New Yorker New School halten ab dem kommenden Semester Ringvorlesungen über das „Post-election America“. Sie wollen die Ursachen dieser Wahl analysieren – und die möglichen Konsequenzen der zweifelsfrei denkwürdigen vier Jahre, die nun folgen werden. Kleinere Aktionsgruppen wie die neugegründete „Society for Constitutional Protection“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, über die rechtlichen Rahmenbedingungen für zivilen Protest aufzuklären. Die Einladungen für solche Veranstaltungen lesen sich immer gleich: Wir wissen nicht, was kommen wird – aber wir wollen auf alles gefasst sein. Bei einem Präsidenten mit der politischen Berechenbarkeit eines Teenagers ist das durch aus nachvollziehbar.

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