Bis der Klick euch scheidet

Herzschmerz In ihrem neuen Buch erklärt Eva Illouz, warum Beziehungen heute leichter enden und oft erst gar nicht eingegangen werden
Ausgabe 43/2018

Ach herrje, was muss das für ein Horror gewesen sein, als die Liebe noch vorgezeichneten Bahnen folgte? Gefühle waren nachrangig für das Liebeswerben in der vormodernen Zeit der Stände. Wer geehelicht werden sollte, stand mitunter fest, bevor sich das zukünftige Paar überhaupt kennenlernen durfte. Damit nicht genug: Einmal geschlossen, brachte die Ehe auch noch einen ganzen Sack voll ernster Verpflichtungen mit sich. Das alles klingt so sehr nach Zwang, dass wir es heute wohl kaum noch Liebe nennen würden.

Denn zu lieben bedeutet für uns, frei zu sein. Nichts und niemand darf dem Herzen vorschreiben, an wen es sich hängt. Liebe kann und soll sich sogar über profane gesellschaftliche Kategorien wie Klasse, Nationalität oder Kultur hinwegsetzen, um den wahren, den einen, den perfekten anderen zu finden. Technik sei Dank ist ein Großteil der potenziellen Puzzleteil-Partner sogar in greifbarer Nähe. Ein Schlaraffenland der Liebe – zumindest hier im liberalen Westen, wo keine religiösen oder kulturellen Dogmen allzu große Trampelpfade auf dem Weg zur Liebe aufweisen.

Allein, so richtig scheint es nicht zu funken im Paradies. Seit nunmehr 20 Jahren untersucht die israelische Soziologin Eva Illouz die Liebe und stellt dabei immer wieder fest: Das westliche, romantische Ideal, wie es in Popsongs, Filmen und sogar in der Reklame ausbuchstabiert wird, ist eine bestenfalls utopische Hoffnung, die in keinem vernünftigen Verhältnis zum Schmerz der allzu wahrscheinlichen Enttäuschung steht.

Bislang interessierte sich Illouz vor allem für die Entstehungsgeschichte und die Funktion dieser eigentümlichen Vorstellung von Liebe, die nicht nur recht jung ist, sondern zudem nur in bestimmten Gesellschaften aufzukommen scheint. Sie beobachtete, wie die „romantische Utopie“ mit dem Aufstieg des Kapitalismus zusammenfällt und wie dabei gleichzeitig die Konsumsphäre allmählich, aber kontinuierlich auch die Gefühlssphäre strukturiert.

Situationship Troopers

In ihrem neuesten Buch, Warum Liebe endet, geht sie die Problematik anders an: Statt bestehende oder werdende Beziehungen zu betrachten, wirft sie einen Blick auf sogenannte „negative Beziehungen“ – also solche, die keine sein wollen, keine (mehr) sind oder nie welche waren. Solche Nichtbeziehungen, so stellt sie fest, haben Konjunktur. Das reicht vom per Dating-Plattform arrangierten Gelegenheitssex bis hin zur „situationship“, dieser eigenartigen Form von Zwischenbeziehung, bei der keiner der Beteiligten „definiert“ hat, was er da tut, und verlegen wird, sobald er danach gefragt wird.

Ist das nun schlecht? Ist die Entscheidung, sich nicht entscheiden zu wollen, nicht Ausdruck individueller Selbstbestimmung? Nicht immer: Offenbar sind viele Menschen unglücklich über die ihnen geschenkte Freiheit in der Liebe. Es gibt keine Regeln mehr, die vorschreiben, wann eine Beziehung eine Beziehung ist und wie sie auszusehen hat. Schlimmer noch: Nicht nur ist es unglaublich kompliziert geworden, romantische Signale zweifelsfrei zu senden und zu empfangen – die Akteure auf dem Partnermarkt sind sich zuweilen kaum selbst sicher, was sie wollen und wie sie empfinden.

Eindrücklich beweist Illouz dies anhand von 92 Interviews, die sie in Frankreich, England, Deutschland, Israel und den USA mit Personen im Alter zwischen 19 und 72 Jahren geführt hat. Immer wieder wird in den Gesprächen deutlich: Lieben und Nichtlieben sind im 21. Jahrhundert durchtränkt von einer ungekannten Unsicherheit. Wo niemand ihnen einen Platz in der Gesellschaft zuweist, müssen die Nichtliebenden selbst herausfinden, ob und wie liebenswürdig sie sind. Die gleiche Kulturindustrie, die das Ideal der romantischen Liebe propagiert, erhebt Liebe und Sex zur Quelle des Selbstwerts. Das ist alles andere als ein harmloses Luxusproblem. Wird der Druck zu groß, sagt Illouz, können aus Nichtgeliebten psychisch Kranke oder sogar Mörder werden.

Zudem ist der Liebesmarkt kein fairer, denn die Beteiligten können nicht voll informiert sein, müssen aber so handeln, als wären sie es. Oft bleiben Bindungen in der Schwebe oder kommen nie zustande, weil die ständige Verfügbarkeit lockt. In der Ökonomie soll diese helfen, jedem Anbieter einen passenden Nachfrager zuzuordnen. In Wirklichkeit jedoch, wie Illouz festhält, „erhöht die Marktform die Ungewissheit über die Natur und Beständigkeit des eigenen Werts“. Was so schön nach Freiheit klingt, ist in Wahrheit unerträglich: das Wissen darum, dass den anderen rein gar nichts zwingt, ausgerechnet bei einem selbst zu bleiben.

Darüber hinaus sind die Vertragspartner nicht gleichberechtigt. Feinsinnig zeigt die überzeugte Feministin Illouz, wie asymmetrische Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern die Widersprüche des modernen Liebens noch verschärfen. Kennern ihres Werks dürfte einiges davon durchaus bekannt sein. Zwar macht eine gewisse Vorbildung die Lektüre von Warum Liebe endet leichter, dennoch gelingt der Autorin das Kunststück, sowohl für „Illouzianer“ als auch für Neulinge lesbar zu bleiben. Geduldig fasst sie zusammen, was sie in jahrzehntelanger Forschung an anderer Stelle ausgearbeitet hat. Dazu gehört ihre umfangreiche Kritik an der klinischen Psychologie. Einen westlichen „Therapiekult“ macht sie mit dafür verantwortlich, dass die Nichtgeliebten ihre schmerzvollen Unsicherheiten ausschließlich sich selbst zuschreiben – und der Blick auf die soziologischen Ursachen des Übels deswegen dauerhaft versperrt bleibt.

Diese liegen laut Illouz in jenem aufgenötigten Zwang, der sich als Freiheit tarnt: der liberal-ökonomischen Prämisse, nach der jeder alles schaffen könne, wenn er sich nur genug anstrenge. Die gleiche Ideologie säuselt aber auch: Wenn es nicht klappen will, ist es nicht die „wahre“ Liebe. Ziel jedoch ist nicht der glückliche Mensch, sondern ein nie endendes Begehren, das allein den Markt glücklich macht. Diesen Irrglauben in all seinen Erscheinungsformen als einen solchen zu enttarnen, betrachtet Illouz als ihre Aufgabe. Es gelingt ihr, einmal mehr, mit Bravour.

Info

Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen Eva Illouz Suhrkamp 2018, 474 S., 25 €

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