Verordnete Solidarität

Dienstpflicht Die CDU schlägt den verpflichteten Dienst an der Gesellschaft für junge Erwachsene vor. Freiwillig oder gar gut bezahlt ist Solidarität nicht mehr zu denken
Antreten zum Zusammenhalt. Junge Männer, die 2010 noch zum Wehrdienst eingezogen wurden
Antreten zum Zusammenhalt. Junge Männer, die 2010 noch zum Wehrdienst eingezogen wurden

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Schon im Sommer 2018 diskutierte die Union auf dem Weg zu einem Grundsatzprogramm ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Erwachsene nach dem Schulabgang. Und schon damals schien der Vorschlag merkwürdig. Dunkel mag sich mancher erinnern, dass es 2011 auch die Union unter einem gewissen Verteidigungsminister Karl-Theodor war, die die Wehrpflicht und damit auch den Wehrersatzdienst, gemeinhin als Zivildienst bekannt, zugunsten einer Berufsarmee „aussetzte“. Tausende Zivildienstleistende, die vorher in Krankenhäusern, Altenheimen, Reha-Kliniken, städtischen Gartenbauämtern und so weiter arbeiteten, fielen weg. Der nachfolgende Bundesfreiwilligendienst war offen für weit mehr Menschen als nur junge Männer, aber dramatisch unterbezahlt. Im Jahr 2019 beträgt das monatliche „Taschengeld“ maximal (!) 402 Euro. Zum Vergleich: Ein Zivildienstleistender konnte mit allen Zuschlägen in der letzten Soldstufe zwischen 600 und 700 Euro verdienen, plus bezahlten Urlaub und Entlassungsgeld.

Zum Einmaleins der cleveren Regierungspolitik gehört es, Berichtigungen vergangener Fehler als geistreichen, neuartigen Schachzug zu präsentieren. Annegret-Kramp Karrenbauer zeigte sich beeindruckt von der französischen Idee eines „Service National Universel“, eines Gesellschaftsdienstes im Sinne der Nation. So etwas braucht es auch in Deutschland. „Für mich ist es auch ein zutiefst bürgerlicher Gedanke, seinem Land und der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen“, sagte sie der Redaktion der Berliner Morgenpost. Und weil es ebenfalls ein zutiefst bürgerlicher Gedanke ist, dass Menschen auf organische Weise keinen Zusammenhalt formen können, müssen sie zu diesem „Wollen“ freilich genötigt werden.

Einfach zwanglos wollen dürfen

Die SPD zeigte sich skeptisch. Franziska Giffey meinte, mit einer Pflicht wäre für den Zusammenhalt wenig getan. Vielmehr sollen die bestehenden Jugendfreiwilligendienste – also etwa das Freiwillige Soziale Jahr oder das Freiwillige Ökologische Jahr (derzeit maximal 402 Euro, de facto circa 150 Euro im Monat) – attraktiver gestaltet werden. Etwa mit mehr Geld, vergünstigten ÖPNV-Tickets oder der Möglichkeit, seine Dienstzeit als Wartesemester auf Studienplätze anrechnen zu lassen. So manchem Kriegsdienstverweigerer aus der grauen Vorzeit vor 2011 mögen diese Anreize bekannt vorkommen, aber was wissen die schon? „Die Jugendlichen sollen wollen dürfen“, sagte Giffey – ein Satz, aus dem die ganze Schönheit der SPD trieft.

Sie schlug vor, dass der Bund den Trägerstellen der Freiwilligendienste künftig bis zu 402 Euro im Monat pro Dienstleistenden erstatten könnte. Damit könnten die Jugendlichen vielleicht sogar ans goldene Soldzeitalter der ehemaligen Zivildienstleistenden heranreichen. Gleichzeitig bekommen junge Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben einen realistischen Eindruck davon, wie viel monetäre Wertschätzung Gesellschaft und Politik unter anderem den so dringend benötigten Pflegefachkräften entgegenzubringen bereit sind. Vielleicht wollen die sich nach dieser Erfahrung dann richtig anstrengen und schnell etwas anderes lernen, um nie wieder zu solchen Konditionen in solchen Jobs arbeiten zu müssen. Sozialer Zusammenhalt, induziert durch blanke Abschreckung – es wäre ein zutiefst sozialdemokratischer Gedanke.

Den Unsinn vergangener Tage zu berichtigen stellt sich aber nicht nur aus Gründen des Politikerstolzes als schwieriger heraus als gedacht. Für die Einführung einer Dienstpflicht müsste das Grundgesetz geändert werden. Die Wehrpflicht und damit auch der Wehrersatzdienst waren vom Grundgesetz gedeckt – für Männer. Einen gesetzlich festgeschriebenen, allgemeinen Zwang zur Arbeit gibt es in Deutschland nicht. Er erwächst sanft und fürsorglich aus der Notwendigkeit, es wäre dem Bürger sonst nur schwer zu vermitteln.

Welche Diebe mich bestehlen

Eine Partei weiß das in Deutschland am besten. Christian Lindner sagte zur Dienstpflicht: „Ein ganzes Lebensjahr junger Menschen würde verstaatlicht, nur damit die CDU sich parteipolitisch profilieren kann. Aus unserer Sicht verstößt eine Dienstpflicht gegen das Grundgesetz.“ Korrekt, denn wenn die Schüler nach zwölf bis dreizehn verstaatlichten Schuljahren mit einem Abschluss ins sogenannte „Leben“ entlassen werden, ist ihnen ein Jahr im Dienste der Gesellschaft schlicht nicht mehr zuzumuten. Sie sollen dann selbst entscheiden dürfen, wessen Kapitalinteressen sie sich unterjochen dürfen. Freiheit!

Unterdessen sprechen sich die Bürger recht mehrheitlich für die Idee einer Dienstpflicht aus, das ZDF-„Politbarometer“ ermittelte 2018 eine Zustimmung von 68 Prozent. Wie genau ein solches Pflichtjahr aussehen soll, wie es bezahlt wird und ob es eher eine freiwillige oder eine verpflichtende Verpflichtung wird, wurde nicht genau gefragt. Das zu entscheiden, ist schließlich komplex – und damit Politikersache.

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