Es hatte schon etwas Zynisches. Christian Lindner wird angekündigt, das Publikum klatscht, er tritt hinter dem Vorhang hervor und hastet über die Bühne Richtung Showcouch. Im Hintergrund spielt der Titelsong von House of Cards. In der Serie geht es um einen machtbesessenen US-Politiker, der auf dem Weg zum Präsidialamt auch mal über Leichen geht. Der Auftritt fand im Februar 2017 statt, in Jan Böhmermanns Neo Magazin Royale. Die Zuschauer, die House of Cards kannten, dürften vor den Bildschirmen ihren ersten Lacher über Lindner schon gehabt haben, bevor Moderator und Gast überhaupt ein Wort gesprochen hatten. Gespielt wurde der Gag von Böhmermanns Showband, dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld.
Die Musikerinnen und Musiker hatten sichtlich Spaß an dem Seitenhieb. Seit Anfang 2017 sind sie fester Bestandteil der Late-Night. Das Ensemble wurde eigens für die Show konzipiert. Der Name Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld ist bereits ein Witz in sich: Das altertümliche Konzept des Rundfunkorchesters in Ehrenfeld, Kölns angesagtem, multikulturellem Szenestadtteil. Hier befindet sich das Studio König, in dem das Neo Magazin Royale aufgezeichnet wird – ein ehemaliger Teppichladen.
Wer in den drögen Industriepark kommt, ahnt nur wegen der paar Neo-Magazin-Plakate, dass er richtig ist. In einer Ecke auf dem Parkplatz vorm Studio liegt noch Trici, ein großer Triceratops-Dinosaurier aus Plastik. Lange Zeit prangte er als Maskottchen der Sendung auf dem Studiogebäude, bis er Anfang 2018 dem Sturmtief Friederike zum Opfer fiel. Jan Böhmermann sagte einmal, Trici stehe sinnbildlich für den Zweiten Deutschen Rundfunk – galt schon als ausgestorben, ist aber immer noch irgendwie da.
Prähistorisches TV
Das ließe sich auch über das Konzept des Rundfunkorchesters sagen. Die ersten solcher Kapellen gründeten sich bereits in den 1920er Jahren, in der Anfangsphase des Hörfunks, später auch des Fernsehens. Nun sind beide noch nicht ausgestorben, aber doch kräftig ergraut. „Fernsehen ist so 2017“ heißt die Tour, die Böhmermann zusammen mit dem Orchester für vier Termine auf die Beine gestellt hat. Ständig diese Selbstironie: das alte, halb tote Fernsehen mit all seinem staubigen Show-Glamour aus Zeiten, in denen in jedem Haushalt noch eine TV-Zeitschrift lag. Böhmermann inszeniert es augenzwinkernd, als sei es der neueste Schrei.
Albrecht Schrader, Multiinstrumentalist und einer der beiden Köpfe des Orchesters, glaubt, die Sendung sei im Kern ein nostalgischer Versuch: „Bei aller ,up-to-dateness‘, die das Neo Magazin hat, ist da trotzdem eine große Liebe zu alten Showformaten.“ Sowohl Böhmermann als auch Sidekick Ralf Kabelka seien Kenner und Verehrer prähistorischer TV-Momente: „Die können dir wirklich sagen, wenn im Herbst ’86 Rudi Carrell einmal ausgerutscht ist.“
Als Böhmermann seine Band erstmals vorstellte, sah man, wie ihn das freute: ein eigenes Orchester mit Profimusikern, ausgebildet fürs Ernste, eingespannt fürs Quatschmachen. Schrader, Mitte 30, sitzt zumeist am Keyboard, singt aber auch hin und wieder oder spielt Gitarre. Sein Mit-Arrangeur Lorenz Rhode ist für das Elektronische zuständig: Beats aus dem Macbook, Synthesizer und gelegentlich die Talkbox, eine Art Stimmverzerrer, mit der er unter anderem eine täuschend echte Daft-Punk-Imitation zaubern kann. Zusammen bauen die beiden jede Woche Popsongs so um, dass sie zu ihrer orchestralen Besetzung mit Streichern, Bläsern, Percussion, Bass, Gitarre und Schlagzeug passen. Die Orchestermitglieder kommen üblicherweise nur am Mittwoch vor der Sendung zur Generalprobe. Dann wird direkt aufgezeichnet.
Viel Zeit ist das nicht. Bestenfalls haben die Orchestermitglieder vorher ausgiebig die Notenblätter studiert und es muss nur noch an Kleinigkeiten gefeilt werden. Dirigenten, die quasi-diktatorisch den Klangkörper formen, sind Schrader und Rhode nicht. Luft für eigene Vorschläge ist immer. Das unterscheidet die Ehrenfelder vom klassischen Orchester, darauf sind sie stolz. Eigentlich ist es mehr eine Bigband mit Retro-Touch. Vor Rhode und Schrader sitzen 13 ausgebildete Musiker, viele haben einen Jazz-Background, einige kommen aus der Klassik. Hat jemand eine Idee, wird die während der Probe einfach reingerufen. Aufstriche und Abstriche, Halbtöne und Vierteltöne, Synkopen und Crescendos – Musikersprech. Manchmal wird Schrader zum Klassenlehrer und mahnt zur Konzentration. Dann startet wieder das Klick-Metronom für einen neuen Durchlauf: „Noch einmal tutti und dann Mittagspause!“
Die fällt zur Zeit eher kurz aus, weil zum üblichen Showbetrieb noch die Tourvorbereitungen kommen. Eigentlich haben sowohl Rhode als auch Schrader neben dem Rundfunk-Tanzorchester noch Soloprojekte. Die bleiben dieser Tage ein wenig auf der Strecke. Rhode saß am Vortag der Probe bis Mitternacht an den Notenblättern. Dass einige der Musiker die frisch umgestellten Stücke zum ersten Mal vor sich haben, ist kaum zu bemerken. Sie spielen flüssig vom Blatt. Wenn Schrader über das Ensemble redet, betont er, welches „enorme Geschenk“ es ist, mit talentierten Musikern zusammenzuarbeiten. Obendrein solche, die verlässlich zur Probe kommen. Als jemand, der schon mit Pete Doherty zusammengearbeitet hat, weiß er vor allem Anwesenheit zu schätzen.
Zu allem Überfluss soll das Orchester nicht nur funktionieren, sondern kreativ sein. Das ist nicht immer einfach. Als Rapper Fler in der Sendung auftrat, mussten Schrader und Rhode dessen harte Trap-Beats für ihre Besetzung umschreiben. Trap, diese Form des Hip-Hop, deren gewolltes Stilmittel es ist, dass der Beat aus fast nichts besteht. Und das nun für ein 15-köpfiges Orchester? Am besten so, dass bei laufender Kamera niemand untätig herumsteht?
Ab und an haben die beiden aber auch freie Hand. Das kann dazu führen, dass sie sogar den Moderator überraschen. Zum Beispiel als dieser in einer Folge einen Witz über die furchtbar aufgesetzte Werbung des Preisvergleichsportals Check 24 machte. Das Orchester spielte daraufhin kurz, aber erkennbar den darin vorkommenden Song Gonna Make You Sweat mit der bekannten Zeile „Everybody dance now“ an. Das war nicht abgesprochen. Böhmermann kringelte sich, das Publikum ebenfalls. Die Szene blieb in der Aufzeichnung.
Manche Gags sind derartig musikermäßig, dass sie kaum einer bemerkt. Als die neue Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock in die Show kam, entschied sich Rhode für den Song Bareback der 70er-Motown-Band The Temptations als Einlaufmusik. Ein Wortwitz, den nicht einmal die beteiligten Musiker kapierten, aber ein großer Gag für die beiden Arrangeure.
Wer Rhode und Schrader zuhört, merkt schnell: Nur weil die Musiker auf der Bühne meist stumm bleiben, lassen sie sich nicht das Herumalbern nehmen. Als Böhmermann eine musikalische Parodie auf den Polizeigewerkschafter Rainer Wendt anleitete, spielte das Orchester dazu eine Art Marschmusik. Das Publikum dürfte überwiegend auf den Text geachtet haben. In den Zwischentönen sind aber Trompeten zu hören, die die Quinte einer Polizeisirene fürchterlich dissonant nachäffen. „Darüber haben wir damals Tränen gelacht“, sagt Rhode. Schrader ergänzt: „Das ist einfach der ganz große Musikerquatsch.“
Klingt seriös
Damit reiht sich das Rundfunk-Tanzorchester nahtlos ein in das „Prinzip Neo Magazin“: Menschen, die ihr Handwerk gut beherrschen – Mediendesigner, Tontechniker, Redakteure, Schauspieler – und es manchmal so maßlos an die Albernheit verschleudern, dass der Zuschauer amüsiert und verdutzt zugleich ist: So ein Aufwand für ein bisschen Blödelei.
Über drei Staffeln Neo Magazin Royale ist auf diese Weise eine beträchtliche Anzahl Songs zusammengekommen. Genug, um eine Tour zu spielen, mit abendfüllendem Programm. Böhmermann wird dabei sein und seine Songs performen, vom persiflierten Battle-Rap als „Polizistensohn“ bis zur Pop-Parodie Menschen Leben Tanzen Welt als Jim Pandzko. Die vier Konzerte sind ausverkauft, mehr ist erst einmal nicht geplant. Wenn Musiker das Glück haben, Teil einer regelmäßigen Show zu sein, sind Plattenverkaufen und Touren nicht mehr die Brotarbeit. Das ließe sich auch besser den ewig besorgten Eltern vermitteln, meinen Schrader und Rhode. Rundfunkorchester, im Fernsehen, so richtig mit Logo in der Ecke, das klingt für die Generation vor dem Zielpublikum nach seriösem Arbeitgeber, nach fester Anstellung. Dabei könnten beide problemlos solo ihre Brötchen verdienen und müssten sich die wöchentliche Auftragsarbeit nicht antun. Macht aber eben Spaß. Großen Musikerspaß.
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