Schall und Wahn

Schrottrock Timo Büchner arbeitete sich durch 230 Alben von rechtsextremen Bands und fand heraus: Es gibt kaum eine rechtsradikale Gedankenwelt ohne Judenhass
Ausgabe 14/2018

Zu Beginn der 1990er Jahre entdeckten Rechte in Deutschland den Rock. Ihr Vorbild war die britische Band Skrewdriver. Der beachtliche Berg von Archivmaterial, den Timo Büchner für sein Buch Weltbürgertum statt Vaterland rezipierte, zeigt: Damals wie heute ist Antisemitismus das verbindende Element für rechtsextreme Ideologie, egal ob sie mit der Gitarre oder dem Parteibuch vorgetragen wird.

„Aber es gibt keine Antisemiten mehr“, schrieben Horkheimer und Adorno und meinten damit selbstverständlich nicht, dass der Judenhass nach Kriegsende verschwunden sei, sondern dass das verordnete Tabu nur seine offensichtlichen Erscheinungsformen kaschiert. Mit einem Blick auf die zahlreichen von Timo Büchner zitierten Textstellen wird das einmal mehr deutlich: Offener Antisemitismus ist selten, vor allem weil die Musik dann Gefahr liefe, indiziert zu werden. Wenn rechtsextreme Bands antisemitische Botschaften vermitteln wollen, müssen sie codieren. Büchner erklärt detailliert, wie das Verstecken und Entschlüsseln unterschwelliger Botschaften in Texten von Rechtsrock-Bands funktioniert und zugleich die Zugehörigkeit zur Szene stärkt.

Das logische Fundament

Wenn zum Beispiel die Band Act of Violence von der „Millionenlüge“ singt, webt sie dies oberflächlich in den Kontext des Glücksspiels ein. Im Refrain wird dann aber deutlich, dass unterschwellig der Massenmord an den europäischen Juden gemeint ist. Antisemitische Codes funktionieren auch ohne eine direkte Bezugnahme auf Juden: Wenn bei Rechten von geheimen Mächten die Rede ist, von „Eliten“, die sich bereichern und im Verborgenen die Fäden ziehen, ist die antisemitische Verschwörungsideologie vom „internationalen Finanzjudentum“ in greifbare Nähe gerückt – und mit ihr meist der Vernichtungswunsch.

Wo immer Rechte sind, da ist Judenhass. Warum? Der kürzlich verstorbene Historiker Moishe Postone hat in seinem Text Antisemitismus und Nationalsozialismus herausgearbeitet, dass Judenhass in der Nazi-Ideologie nicht irgendeine, sondern die zentrale Rolle spielt. Seine These: Antisemitismus ist nicht zufällig – er ist das logische Fundament, ohne das sich die gesamte wahnhafte Gedankenwelt eines Nazis, von Arbeitsfetisch bis zu verkürzter Kapitalismuskritik, nicht „rational“ halten ließe.

Jede Verschwörungsideologie bietet einen Kanal für das Unbehagen. Der Ärger über weltpolitische Ungerechtigkeit bis zum Frust über den sozialen Status: Alles bekommt ein Gesicht, einen klar benennbaren und bekämpfbaren Feind. Dieser sozialpsychologische Mechanismus ist attraktiv, denn er verhindert die belastende Auseinandersetzung mit sich selbst und projiziert den Ärger auf eine scheinbar homogene Menschengruppe – mit allen Mitteln. Wenn Rechte heutzutage Angela Merkel hassen, ist es für sie kein Problem, „Indizien“ für ihre jüdische Herkunft herbeizufantasieren – das Netz ist voll von derlei Theorien. Am Ende steht immer eine widerspruchsfreie Scheinwelt, die eine komplizierte Realität zugänglich macht.

Die Formel des Soziologen Rainer Erb, den Büchner ebenfalls zitiert, bringt es auf den Punkt: „Der Antisemit weiß nichts, kann aber alles erklären.“ Das gilt auch für den ehemals linksextremen, hart rechts abgebogenen Rapper MaKss Damage, den Büchner ebenfalls bespricht. Hier fällt besonders auf: Weder ist Antisemitismus an ein Genre gebunden, noch verliert er sich irgendwo zwischen rechts und links. Deswegen ist Judenhass auch im Hip-Hop verstärkt ein Thema, selbst wenn Rapper sich wie viele antisemitische Linke nicht mal in der Nähe solchen Gedankenguts sehen wollen, da sie ja im Kern antirassistisch und egalitär sind. So kann nur argumentieren, wer Antisemitismus mit Rassismus verwechselt. Menschen lieben und Juden hassen ist kein Widerspruch, wenn der Jude zum Unmensch dämonisiert wird.

Nun ist es vermessen, ein Buch mit dem Untertitel Antisemitismus im Rechtsrock dafür zu belangen, dass es jenseits von „rechts“ und „Rock“ keine Analyse anstrebt. Gerade für das Fazit wäre es jedoch hilfreich gewesen, die gedankliche Hierarchie dieser Phänomene – Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus – zu klären. Trotz der beeindruckenden Rechercheleistung bleibt Büchners Ausblick eher dünn. Er begreift Rechtsrock als „Einstiegsdroge Nummer eins“ für Jugendliche in die rechtsextreme Ideologie und fordert „eine kritische, zugleich kreative Aufklärung“ dort, wo Jugendliche sind: „im dörflichen Jugendhaus, auf dem Pausenhof oder im lokalen Fußballverein“.

Eindrücklich belegt er jedoch selbst, dass ebenjene Aufklärungsversuche im antisemitischen Verschwörungswahn verpuffen, sofern dieser einmal manifestiert ist, etwa wenn Rechtsrock-Bands davon singen, dass in den Schulen die „Holocaust-Lüge“ verbreitet würde. Effektiver wäre es, die Entstehungsbedingungen von Antisemitismus aufzudecken, bevor mit diesem jedweder Unzufriedenheit ein klares Feindbild zugeordnet werden kann – ganz unabhängig davon, ob der Adressat jemals einen Juden auch nur gesehen hat.

Info

„Weltbürgertum statt Vaterland“. Antisemitismus im Rechtsrock Timo Büchner Edition Assemblage 2018, 112 S., 12,80 €

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