Unser Sterben wird teuer

Streik Der Autozulieferer Neue Halberg Guss will sein Werk in Leipzig schließen. Die Arbeiter wehren sich mit einer beispiellosen Härte
Ausgabe 43/2018

Ironie können sie ja manchmal, diese Großkonzerne: Direkt vor der Einfahrt der Gießerei „Neue Halberg Guss“ in Leipzig wirbt ausgerechnet Amazon mit Jobangeboten. Versandmitarbeiter werden gesucht. Die vorbeilaufenden Schichtarbeiter schauen ungläubig auf die Werbung direkt vor ihrer Zufahrt. Noch sind sie ja nicht arbeitslos.

Die Arbeiter sind auf dem Weg zur „Halberg-Kantine“. Einige der knapp 700 Beschäftigten treffen sich dort zum Essen. Seit einigen Wochen ist hier, vom üblichen Lärm einer Gießerei einmal abgesehen, wieder Ruhe. Ein Pförtner wird unruhig, als Fotos gemacht werden. Dabei waren in den vergangenen Wochen und Monaten ziemlich viele Journalisten und Politiker hier. Sie begleiteten einen monatelangen Streik-Krimi, der in Umfang und Härte für den Osten Deutschlands beispiellos sein dürfte. Leider ist es kein guter Krimi. Der Schuldige stand von Anfang an fest. Und die böse Tat, sie schien sich nicht verhindern zu lassen, was immer die Betroffenen auch unternahmen.

Anfang Januar 2018: Der Großinvestor „Prevent“ übernimmt das Halberg-Werk. Chef des Konzerns ist Nijaz Hastor, einer der reichsten Männer in seinem Heimatland Bosnien. Dort gilt er als Wohltäter, stiftet beispielsweise Studienstipendien und zählt zu den größten Arbeitgebern. In Deutschland ist der Name „Prevent“ ganz und gar nicht wohlklingend. Unter anderem mit VW lieferte sich der Konzern harte Preiskämpfe. Die Taktik ist immer ähnlich: Erst kauft der Investor Zuliefererbetriebe auf, um dann die Preise für Autoteile stark nach oben zu treiben. Springt der Abnehmer ab, werden die Werke zurückgelassen oder gleich geschlossen. „Raubtier-Kapitalismus“ nannte das Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Genauso traf es auch die zwei Standorte von Halberg Guss in Saarbrücken und Leipzig.

Die Ansage: Im Saarland würden von 2.200 Mitarbeitern etwa 300 ihren Job verlieren, das Werk in Leipzig komplett geschlossen werden. Hier stellen die Mitarbeiter unter anderem gusseiserneMotorblöcke und Kurbelwellen für Kraftfahrzeuge her, einer der Hauptabnehmer ist Volkswagen. Prevent kaufte auf und erhöhte die Preise bis auf das Zehnfache. VW will nun nicht mehr kaufen, sondern selbst herstellen.

Blockade, Sabotage

Als die Gießer in Leipzig Wind davon bekommen, gehen sie zum Arbeitskampf über. Für insgesamt 48 Tage steht diesen Sommer im Leipziger Werk alles still. Damit zählt der Ausstand zu den längsten in der Geschichte Ostdeutschlands. Statt der Gießer kommen schon nach kurzer Zeit die Abnehmer ins Schwitzen. In der Autoteile-Zulieferbranche sind extrem kurze Liefertaktungen gängig. Ende Juli wenden sich 22 Konzernchefs in einem offenen Brief an die Streikenden und die Gewerkschafter der IG Metall. Sie flehen, so wörtlich, „dem Wahnsinn ein Ende“ zu setzen.

Es gibt kein Ende. Ganz im Gegenteil. Mit Unterstützung der IG Metall und ihres Leipziger Vorsitzenden, Bernd Kruppa, wird der Arbeitskampf mit aller Härte geführt. Damit nicht heimlich ausgeliefert wird, blockieren die Arbeiter mit einer permanenten Versammlung die Zufahrt zum Werk und wechseln sich in Tag- und Nachtschichten ab. Das Management will mithilfe eines Krans die blockierte Zufahrt räumen lassen, ohne Erfolg. Die Mitarbeiter bleiben, stellen Container und Gabelstapler vor die Einfahrt und kampieren in drei Schichten vor den prall gefüllten Lagern, in denen sich die wertvollen Zulieferteile stapeln. Kurzfristig wird beschlossen, dass Externe keine Maschinen mehr bedienen dürfen. Offiziell aus Arbeitsschutzgründen. Nicht einmal die Polizei will eingreifen. Leipzigs Polizeichef verkündet, dafür seien nicht genug Einsatzkräfte vorhanden.

Während des Streiks meldet sich einer der Halberg-Geschäftsführer, Alexander Gerstung, in einer großen deutschen Boulevardzeitung zu Wort. Er verteidigt die Schließung und zeigt sich erbost über die Forderungen der IG Metall. Die verlangt ein Sozialprogramm für die Beschäftigten, das sich in der Tat sehen lassen kann: dreieinhalbfache Abfindung, zwölf Monate Weiterbezahlung bei 95 Prozent des Nettolohns plus ein Treuhandfonds in Höhe von 700 Millionen Euro zur Abfederung der Kunden. Als „wie aus dem Schlaraffenland“ bezeichnet der Halberg-Chef den Katalog und fügt hinzu: „Da müssen die Streikenden ja nie wieder arbeiten gehen.“ Wie realistisch solche Forderungen sind, scheint zwischenzeitlich völlig irrelevant. Streikführer Kruppa kontert trocken in einem Interview mit dem Leipziger Stadtmagazin kreuzer: „Wenn schon sterben, dann so teuer wie möglich.“

Die Sicht der Geschäftsführung auf den Streik ist ohnehin anders. Sie gibt der Heuschrecken-Taktik der Prevent-Gruppe nicht die Alleinschuld an der Werkschließung. Die Nachfrage nach Dieselmotoren sei gesunken. Volkswagen wäre „froh“ darüber, nichts mehr abnehmen zu müssen.

Als während des Streiks im Werk dann noch der Strom ausfällt, platzt dem Management bald der Kragen. 2.500 Euro Prämie bietet die Chefetage für „Hinweise, die zur Verfolgung der Saboteure führen“. Die Belegschaft bleibt eisern. Von einem Kopfgeld lässt sie sich nicht beeindrucken. Wieder gibt sich Kruppa forsch und meint: „Für 270 Millionen machen wir den Strom wieder an.“

Im Hochsommer erhitzen sich die beteiligten Gemüter weiter. Saarbrückens IG-Metall-Chef Hans Peter Kurtz sagt, er habe eine derartige Auseinandersetzung in seiner 35-jährigen Amtszeit bei der Gewerkschaft noch nicht erlebt. Dann, Ende Juli, kommt die Abkühlung: Ein Schlichtungsverfahren wird einberufen. Halberg Guss liefert wieder aus, die Arbeiter gehen wie gewohnt zu ihren Schichten. Schlichter Lothar Jordan, ehemaliger Arbeitsrichter aus Mannheim, soll den Konflikt lösen. Doch lang hält der Frieden nicht.

Ein unterschriftsreifes Angebot seitens der Gewerkschaft liegt vor. Mitte September erklärt die Geschäftsführung die Schlichtung überraschend einseitig für gescheitert. Schlichter Jordan reagiert angespannt: Es entspräche schon dem allgemeinen Verständnis einer Schlichtung, dass nur der Schlichter diese für gescheitert erklären könne, sagt er. Die Halberg-Bosse machen den harten Arbeitskampf verantwortlich für das Scheitern. Der lange Streik hätte dem Unternehmen bereits so großen Schaden zugefügt, dass eine „zukunftsorientierte Lösung“ nicht mehr möglich sei. Prompt reagiert die IG Metall und ruft erneut zum Streik auf. Pünktlich um sechs Uhr zur Frühschicht steht die Belegschaft Mitte September wieder vor dem Werkstor. Für 24 Stunden geht, einmal mehr, gar nichts in der Leipziger Gießerei.

Der Osten streikt sonst wenig

Um das Ausmaß dieses Arbeitskampfes zu begreifen, hilft ein Schritt zurück. Es ist kein Zufall, dass Streiks in dieser Größenordnung normalerweise eher im Westen Deutschlands üblich sind. Die Neue Halberg Guss ist dafür ein gutes Beispiel. „Neu“ ist das Werk seit 1993, wo es als ehemaliger „Volkseigener Betrieb“ im Zuge der Wiedervereinigung von der Treuhand privatisiert wurde. Die Streikbereitschaft ist im Osten traditionell geringer. In der DDR gab es offiziell keine Streiks, da schon der Klassengegensatz zwischen Geschäftsführung und Belegschaft nicht existieren sollte. Nach der Wende waren viele Beschäftigte froh, überhaupt einen Job zu haben. 2003 scheiterte im Osten der Kampf der IG Metall um die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden, wie sie im Westen für Metaller bereits seit 1995 nach Tarifvertrag üblich ist. Damals war die Arbeitslosigkeit im Osten hoch.

Nun sieht das anders aus. Dieses Jahr gab es Wochen, in denen berichteten Leipziger Zeitungen täglich über Streiks. Neben dem Kampf bei Halberg Guss kam es im Leipziger Siemens-Werk, bei den Maschinenbaubetrieben Kirow Ardelt und Schaudt Mikrosa zu Warnstreiks. Halberg Guss stellt dennoch eine Ausnahme dar. Hier ging es nicht um Arbeitszeitverkürzung oder höhere Löhne, sondern um den bewusst herbeigeführten Tod eines Standortes. Bis zur Investorenübernahme lief das Werk gut, die Lager waren voll. Die Belegschaft kämpft jetzt um menschenwürdige Entlassungen. Zuerst heißt es, das Werk soll Ende 2019 geschlossen werden, dann wird das Ende auf den März vorverlegt.

Doch in den letzten Tagen überschlagen sich die Meldungen: Erst meldet der MDR, die Produktion in beiden Werken, in Saarbrücken und Leipzig, müsse gestoppt werden, weil die Zulieferer des Altmetalls, immerhin der Hauptrohstoff der Gießerei, sowie die Stromlieferanten Bezahlung per Vorkasse verlangten. Dann schlägt Bild Alarm: In Saarbrücken werde schon eine Produktionsstraße ins Ausland verscherbelt! Die Zeichen deuten auf Schließung. Oder ist das nur Taktik, um für einen möglichen Verkauf den Preis in die Höhe zu treiben? Sollte die Unternehmensleitung nicht bald einlenken, droht das Werk wieder stillzustehen. Das Ende des Krimis rückt näher.

Was passiert dann mit den 700 Beschäftigten? Vergleichbare Arbeitgeber gibt es in Leipzig nur noch wenige, längst ist die Stadt kein Standort der Schwerindustrie mehr. Die Saisonarbeit für 12,50 Euro die Stunde, mit der Amazon vor dem Werkstor wirbt, sie könnte für einige der Arbeitnehmer bald bittere Realität werden. „Ohne dich kein Paket“ steht auf der Werbetafel.

Streiks gab es auch bei dem Versandriesen, aber die machen dem Konzern bis jetzt keine wirklichen Probleme. Prophylaktisch stellt Amazon schon Monate vor der Weihnachtszeit billige Saisonkräfte ein. Es greift die Devise des Arbeitsmarktes: Wenn nicht mit „dir“, dann eben mit irgendwem anders.

Am Freitag letzter Woche dann eine Meldung, die fast unglaublich klingt: Es gebe noch einen Käufer für die Neue Halberg Guss, der – mithilfe der saarländischen Regierung – beide Standorte erhalten wolle. Wie bitte: Leipzig lebt weiter? Dann hätte die Belegschaft gewonnen? Der Interessent sei eine Frankfurter Finanzberatungsfirma mit dem Namen „One Square Advisors“, die „große Sanierungserfahrung“ habe, heißt es. Klingt das nach dem nächsten Raubtier? Oder nach einer Lösung, für die sich ein Ende des Streiks lohnen würde?

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