Was ist schon echt?

Musik Rapper Romano feiert auf seinem zweiten Album „Copyshop“ das Billige und Nachgemachte
Ausgabe 37/2017

Seit Edward Norton in der berühmten Szene in Fight Club am Kopierer stand und feststellte, dass sich im tristen spätkapitalistischen Büroalltag alles wie „die Kopie einer Kopie einer Kopie“ anfühlt, hat die Postmoderne ihren popkulturellen Ausdruck gefunden. Fast zwei Jahrzehnte später kommt nun dieser Typ daher, der aussieht, als wäre er das Ergebnis eines Wladimir-Putin-Karikaturenwettbewerbs, und nennt sein Album Copyshop. Darauf verdammt er das Original und feiert die billige Kopie, oder wie er sagt: „Raufasertapeten voll mit echten Beltracchis.“ Ist Nachgemacht jetzt das neue Echt?

Zumindest sind die Zeiten vorbei, in denen schlaue Autoren wirklich erklären konnten, ob oder wer da kopiert wird, wenn skurrile Popfiguren auftauchten. 2015 verirrten sich die Kritiker, als der gebürtige Berliner auf seinem Debüt rappte, er begrüße „alle seine Freunde“ mit einem „Klaps auf den Po“, dazu geflochtene Zöpfe und Trainingsjacken trug und sich zu schnellen Beats auf Pferden räkelte. Ist das noch Dada oder ist das schon Müll? Persifliert Romano die hypermaskuline Gangster-Kultur des gegenwärtigen Sprechgesangs, oder macht er einfach nur, worauf er Lust hat?

Nichts wollte da zusammenpassen – und das sollte es auch nicht. An dieser Erfolgsformel hat sich bei Copyshop wenig geändert. Romano, der eigentlich Roman Geike heißt, kippt Genres zusammen wie Getränkereste nach einer Party, rührt einmal kräftig um und garniert dann mit Grime-Beats aus der Konserve. Hauptsache schmutzig, nichts mit Rockstar oder Goldketten-Gangster. Keine Drogendeals, schnelle Autos oder Waffen interessieren ihn. Romano geht dahin, wo es in Deutschland wirklich wehtut: An die Pferderennbahn (Mutti), auf den Jahrmarkt (Raupe) oder an die Champagner-Bar im Kaufhaus.

Das Soziotop, das er da skizziert, ringt nicht mit Messern und Knarren um Kokaindeals, sondern kämpft eher mit dem Spielautomaten, dem Alkohol oder dem sozialen Abstieg. Die Protagonisten in seinen Videos, so betont er, sind echt. Keiner sei ein Schauspieler, nicht mal er selbst. Aber was ist schon „echt“?

Das Abpausen dieser spelunkigen Szenerien gelingt. Kein Wunder: Bis auf wenige Eskapaden fand er immer zu seinem Köpenicker Kiez zurück. Nachdem Roman Geike in den 1990ern mit einer Crossover-Band an der US-amerikanischen Westküste gescheitert war, faszinierte ihn zunächst Drum ’n’ Bass. Aber dann musste es wieder etwas Krasseres sein: Romano machte ironisch auf Schlager, tourte durch die Republik, nahm 2009 ein Album namens Blumen für dich auf. Schlager, dieser Genre-Endgegner der Popmusik, die ultimative Form der Falschheit. Kennt dieser Mann denn gar keine Grenzen?

Nein. Auf seinem letzten Album rappte er über seine Metalkutte und zitierte im gleichnamigen Song zahlreiche Black-Metal-Koryphäen. Ausgerechnet Black Metal, dieses unheilige Genre, das seinen Hörern so heilig ist, griff er an mit Kirmes-Beats und Sprechgesang. Die Provokation gelang.

Next Exit Witzfigur

Leider gibt es auf Copyshop nicht mehr viele solcher Highlights. Das neue Album ist keine reine Spielerei. Romano stand vor der Herausforderung, nach dem Youtube-Hit Klaps auf den Po nicht zur Berufswitzfigur zu werden. Das versucht er nun mit Ernsthaftigkeit. Zum Beispiel wenn er in König der Hunde über seine Erfahrungen mit der Nachwendezeit reimt, oder im sentimentalen Karl May zusammen mit Dieter „Maschine“ Birr von der Ostrock-Band Puhdys über seinen Vater singt. Ohne Zweifel: Das ist echt, kein Fake, keine Provokation; nicht schlecht, aber schade.

Der Titeltrack sticht als einziger heraus, vor allem, wenn man dann noch das großartige Video dazu sieht. Produziert hat das Jakob Grunert, der zuvor bereits seine Fähigkeit zur Visualisierung von Quatschmusik mit dem dadaesken Friedrich Liechtenstein (Supergeil) bewiesen hat. Copyshop, die Ode an das Billige, das Nachgemachte, gefilmt in der schmutzig-bunten Plastikwelt von Hongkong und ergänzt durch einen Gastauftritt des kantonesischen Rappers MastaMic. Dazu Romanos schräger Tanzstil auf den Straßen der asiatischen Millionenmetropole, der dort unfreiwillig noch viel auffälliger ist, als wenn er durch das ohnehin schräge Berlin tanzt. Das funktioniert auf allen Ebenen – und stellt den Rest des Albums in einen großen Schatten.

Romano zeigt, dass das Zusammenwürfeln vom Nachgemachten zwangsläufig etwas Neues schafft – ein Original, irgendwie, aber nicht unbedingt originell; vervielfältigt, aber nicht vielfältig. Der Großteil von Copyshop geht runter wie ein günstiges Schnaps-Imitat aus dem Discounter. Geht schon, vielleicht für eine Nacht oder zwei. Irgendwann ist der Spaß aber vorbei, dann kommen die Kopfschmerzen.

Info

Copyshop Romano Vertigo/Universal

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