Worüber keiner spricht

Den Haag Indonesien weigert sich nach wie vor, seine Geschichte konsequent aufzuarbeiten. Ein ziviles Tribunal in Den Haag macht vor, wie es geht

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In Jakarta stürmen Studenten die Zentrale der Kommunistischen Partei
In Jakarta stürmen Studenten die Zentrale der Kommunistischen Partei

Foto: Carol Goldstein/Keystone/Getty Images

Es ist gerade mal gut einen Monat her, da war Indonesien Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse. Ein Thema beherrschte dabei besonders die deutschen Feuilletons: Die Massaker von 1965, als mindestens eine halbe Millionen indonesische KommunistInnen, ethnische ChinesInnen und jene, die dafür gehalten wurden, ermordet wurden. Viele weitere wurden gefoltert, vergewaltigt und in Internierungslager gesteckt, von zahlreichen Opfern fehlt bis heute jede Spur.

Enam lima (`65) wurde so einem breiteren, internationalen Publikum bekannt. Das war gut, angesichts der Tatsache, dass selbst in Indonesien die Geschehnisse bis dato nicht umfassend aufgeklärt und die Opfer nicht rehabilitiert, geschweige denn entschädigt wurden. Die Drahtzieher des Massenmords, das Militär unter der Führung des späteren Machthabers General Suharto, wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen und besetzen immer noch hohe Positionen im Staats- und Militärapparat. Stattdessen sehen sich viele der Opfer nach wie vor Stigmatisierungen und Verunglimpfungen ausgesetzt, die 1965 mit der Propaganda des Militärs ihren Anfang nahmen und bis heute anhalten.

Doch dieser mediale Hype war nach der Buchmesse genau so schnell wieder verflogen wie er gekommen war. Anders lässt sich nicht erklären, dass das International People’s Tribunal 1965 (IPT 1965), das vergangene Woche in Den Haag tagte und der Aufklärung der Verbrechen dienen soll, von den deutschen Medien völlig unbeachtet blieb.

Staatlich organisiertes Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Organisiert von einem zivilgesellschaftlichen Kollektiv aus Überlebenden, ehemaligen politischen Gefangenen, AktivistInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, sollte das Tribunal ein erster symbolischer Schritt zur Aufklärung der Verbrechen und zur Rehabilitierung der Opfer werden. „Wir verfolgen zwei Hauptziele: Erstens fordern wir den indonesischen Staat auf, endlich offiziell anzuerkennen, dass damals Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattgefunden haben, die von staatlicher Seite organisiert und durchgeführt wurden. Außerdem wollen wir mit dem IPT helfen zu verhindern, dass solche Dinge wieder passieren“, sagte Irendra Radjawali, Mitglied des Organisationsteams des IPT.

Trotz der fehlenden juristischen Grundlage liefert das IPT einen bedeutenden, wenn nicht den bisher wichtigsten Beitrag zur Aufarbeitung der Verbrechen von 1965. „Dieses Tribunal ist zwar nicht juristisch bindend, aber es findet auf legaler Basis statt und kann uns im Nachhinein als Druckmittel dienen, um Aufklärung von der indonesischen Regierung zu fordern“, so Radjawali weiter. Mit dem Ergebnis des Tribunals wolle man auch auf die Vereinten Nationen Druck ausüben, um eine Resolution zu verabschieden, welche die Morde als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.

Auch der Westen muss sich verantworten

Anders als von verschiedenen indonesischen Medien suggeriert, die das Tribunal als ‚Comedy-Show’ aburteilten und seine OrganisatorInnen — ganz auf Propagandalinie — als ‚Anti-Indonesier‘, ‚Atheisten‘ und ‚neue kommunistische Bewegung‘ bezeichneten, kann die hohe Aussagekraft und Relevanz der Veranstaltung nicht bestritten werden. Die siebenköpfige Jury und die StaatsanwältInnen sind professionelle JuristInnen und ExpertInnen des internationalen Rechts und der Menschenrechte. Die Anklage ist juristisch fundiert, die Beweisführung mit 16 Zeugenaussagen und umfangreichem statistischen Material untermauert. Besonders brisant ist die Aussage Dianto Bachriadis, Vertreter der Menschenrechtskommission der indonesischen Regierung (Komnas HAM). So erklärte er, dass die indonesische Regierung einen bereits 2012 verfassten Bericht der Kommission zu Menschenrechtsverletzungen in 1965 bis jetzt weitestgehend ignoriert.

Neben dem indonesischen Staat, der u.a. des Mordes, der Folter und der Vergewaltigung beschuldigt wird, müssen sich auch die USA, Großbritannien und Australien der wissentlichen Mittäterschaft verantworten. In der Tat ist die Verwicklung westlicher Staaten und deren Geheimdienste in die Massenmorde bis dato ebenso wenig aufgeklärt wie die Morde selbst. Zahlreiche westliche Staaten unterstützten das Militär finanziell und logistisch. Auch die deutsche Regierung unterhielt besonders unter Helmut Kohl enge Beziehungen zum Suharto-Regime. Das Tribunal trifft daher auch im Westen einen wunden Punkt: Der staatlich veranlasste Völkermord an KommunistInnen passt wohl nicht in das westliche Legitimationsnarrativ des Kalten Krieges, wonach die ‚freie Welt‘ die Völker der Erde vor der Ausbreitung der ‚kommunistischen Barbarei‘ zu beschützen hatte.

Historische Zäsur

Die Website des IPT, auf der das Tribunal im Livestream mitverfolgt werden konnte, war in Indonesien, Japan und Australien während der Veranstaltung nicht mehr aufrufbar. Indessen hatte sich der indonesische Vizepräsident Jusuf Kalla zum IPT geäußert und dieses als „Pseudo-Tribunal“ bezeichnet. „Damals wurden Vertreter der Regierung ermordet, unsere Generäle wurden ermordet. Wie kann sich die Regierung entschuldigen, wenn es unsere eigenen Generäle sind, die getötet wurden?“ so Kalla. Auch der indonesische Generalstaatsanwalt, Muhammad Prasetyo, bezeichnete das Tribunal in Den Haag als „irrelevant“. „Das sind unsere eigenen Probleme und wir lösen sie selbst. Wir brauchen keine Einmischung anderer Parteien“, so Prasetyo.

Bisher gestaltete sich diese ‚Problemlösung‘ der indonesischen Regierung allerdings genau so wie der Umgang der deutschen Medien mit dem IPT in Den Haag — keinerlei Beachtung. Und dennoch, das International People’s Tribunal stellt eine historische Zäsur dar in der Aufarbeitung eines der dunkelsten Momente in der Geschichte Indonesiens.

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