Die seltsame Karriere der Habgier

Lamentatio. Galt die Habgier im Mittelalter als verwerflich, wird sie heute als "Gewinnstreben" für eine lobenswerte Eigenschaft gehalten.

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De Avaritia

Héu avarítia, ólim peccátum mortále putáta,
Ét erat túnc interdíctum ut fénerarétur usúris.
Díves a fáucibus Tártari póterat númquam servári,
Nísi ob páuperis préces cleméntia éi dabátur.

Héu, avarítia hódie vírtus praeclára vidétur,
Ét fenerátor susúrrat regéntibus léges in áures.
Díviti lícet dirípere páuperem scrúpulo núllo,
Quía per mánum mercátus malígnum mutátur in bónum.

Sócietátis progréssus miráculum nóbis donávit:
Fácile pótest transíre camélus per ácus forámen.

Gesungene Fassung

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Übersetzung

Ach Habgier, einst für eine Todsünde gehalten, / und es war damals untersagt, dass mit Zinsen gewuchert wurde. / Der Reiche konnte vor dem Rachen der Hölle nur gerettet werden, / wenn ihm um der Gebete des Armen willen Schonung gewährt wurde.

Ach, die Habgier wird heute für als vortreffliche Tugend betrachtet, / und der Wucherer flüstert den Regierenden Gesetze ins Ohr. / Der Reiche darf den Armen ohne Skrupel ausplündern, / weil ja die Hand des Marktes das Böse in Gutes verwandelt.

Der gesellschaftliche Fortschritt hat uns ein Wunder beschert: / Mühelos kann ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen.

Facilius est camelum per foramen acus transire quam divitem intrare in regnum Dei. (Mk 10,25)

Leichter ist es für ein Kamel durch ein Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen in das Reich Gottes zu gelangen.

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