"Verräter. Die letzten Tage" - Premiere Gorki

Theater-Kritik Falk Richter und sein Ensemble reflektieren über ihre Herkunft und unsichere Zeiten.

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Vor allem die erste halbe Stunde bietet starke, klug verdichtete Monologe.

Mareike Beykirch stellt sich die Frage: Ist sie eine Verräterin? Ist es Verrat ihrer Herkunft, dass sie ihren anhaltinischen Dialekt abtrainiert, in die Großstadt zieht, Schauspielerin wird, in Künstlerkreisen verkehrt, bei Akademikernk angesagte Bücher wie „Rückkehr nach Reims“ liest? Ist es Verrat, dass sie mit ihrer Mutter keine gemeinsame Ebene mehr findet und sich mit ihr nicht vernünftig unterhalten kann?

Der nächste starke Monolog gehört Mehmet Atesci, der vom ersten gemeinsamen Urlaub mit seinem Freund Christian in Istanbul erzählt. Freitag Nacht im Juli, als sich die Eilmeldungen über den bis heute ungeklärten Putschversuch überschlagen, geraten sie in Panik. Gemeinsam mit Unbekannten landen sie in einer Wohnung, kauern sich auf den Boden. Atesci zieht die Hand weg, als sein Freund danach greift. Ist es Verrat, dass er in dieser bedrohlichen Situation nicht zu seiner Homosexualität und seinem Partner stehen will, weil er die Reaktionen der türkischen Männer um ihn herum fürchtet?

Die Angst wächst, als Atesci auf seinem Smartphone den Aufruf von Erdogan erhält, dass alle Bürger auf die Straße gehen und die Demokratie verteidigen sollen. Ist es Verrat, dass er und sein Freund schnell zum Flughafen aufbrechen und im Bus, als Polizisten die Ausweise kontrollieren, demonstrativ Deutsch sprechen? Ist es Verrat, möglichst schnell nach Kreuzberg zu fliegen und die Türkei, die Heimat seiner Eltern, ihrem Schicksal und dem autokratischen Kurs von Erdogan zu überlassen?

Falk Richters neuer Abend „Verräter. Die letzten Tage“ hält dieses Niveau nicht. Die Übergänge werden holpriger, die Szenen fahriger. Überflüssig wirkt ein Exkurs von Daniel Lommatzsch, der den Regisseur Jakob mimt, der aus dem Holocaust ein Musical im „La La Land“-Style machen möchte.

Mit zu vielen Längen schleppt sich der Abend weiter, um am Ende eine große Ratlosigkeit zu konstatieren.

Ausführlichere Kritik

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