Mit Klima-Investitionen aus der Krise: Appell für eine Reform der Schuldenbremse

Schuldenbremse Die Schuldenbremse verhindert nicht nur dringend notwendige öffentliche Investitionen – die damit einhergehende Sparpolitik droht auch, die Rezession zu verschärfen und den gesellschaftlichen Rückhalt für Klimaschutz weiter zu gefährden.

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Nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und langwierigen Verhandlungen steht nun endlich eine Einigung für den Bundeshaushalt 2024. Es gehe auch um "Kürzungen und Einsparungen", sagte Bundeskanzler Scholz. Trotz der laufenden finanziellen Belastungen durch den anhaltenden Angriffskrieg gegen die Ukraine, der auch im Jahr 2024 erhebliche Ausgaben mit sich bringen wird, strebt die Ampel an, ihre Ziele mit einem geringeren Budget zu erreichen und die Schuldenbremse einzuhalten. Eingeführt im Jahr 2009, um eine nachhaltige Haushaltspolitik zu gewährleisten, hat die Schuldenbremse zweifellos dazu beigetragen, die Staatsverschuldung zu begrenzen. Wenn wir durch die selbst auferlegte Sparpolitik jetzt jedoch zusehen müssen, wie wir noch tiefer in die wirtschaftliche Krise schlittern und der gesellschaftliche Rückhalt für Klimaschutz bröckelt, wird es höchste Zeit, die aktuellen wirtschaftlichen Prioritäten in Deutschland zu überdenken.

Das Sparparadoxon

Sparpolitik in Rezessionszeiten kann fatal sein: Die nun angekündigten Preiserhöhungen durch die schnellere Anhebung des CO2-Preises, die Einführung einer Plastikabgabe, den höheren Strompreis durch die Streichung der Zuschüsse zu den Netzentgelten und die Rückkehr zum höheren Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie sowie auf Gas und Fernwärme werden die Bevölkerung ab Januar spürbar stärker belasten. Diese Preissteigerungen werden voraussichtlich zu einem Absinken der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führen und damit letztlich die aktuelle Krise verschärfen (Sparparadoxon, s. z. B. Chamley, 2012; Eggertsson & Krugman, 2012). Ein zusätzlicher Aspekt ist, dass staatliche Ausgaben auch Auswirkungen auf zukünftige Einnahmen haben: Sparpolitik kann zukünftige Steuereinnahmen schmälern, insbesondere wenn sie dazu führt, dass die Wirtschaft ausgebremst wird (Calcagno, 2012). In Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs sollte stattdessen auf eine expansive Haushaltspolitik mit erhöhten öffentlichen Ausgaben gesetzt werden (d.h. eine antizyklische Fiskalpolitik), die eine schnelle Stabilisierung und Erholung der Wirtschaft ermöglicht. Mehrere wissenschaftliche Studien belegen, dass staatliche Ausgaben in Rezessionen einen positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben können (z. B. Cashin, 1995; Blanchard & Perotti, 2002; Wu et al., 2010; Ramey & Zubairy, 2018).

45 Milliarden weniger im Klimafonds bis 2027

Eine weitere große Herausforderung unserer Zeit ist die sich verschärfende Klimakrise, die enorme ökologische, soziale und ökonomische Risiken birgt. Deutschland möchte ab 2045 klimaneutral wirtschaften. Hier am stärksten zu kürzen ist ein großer Fehler, besonders da vorher schon große Finanzierungslücken zur Erreichung der Klimaziele klafften (Brand & Römer, 2022; Bär et al., 2023). Die Streichung von 45 Milliarden im Klima- und Transformationsfonds bis 2027 ist daher ein absolut falsches Signal. Zudem kommt ein schneller Ausbau der Erneuerbaren auch der angestrebten Energiesicherheit und -unabhängigkeit zugute, deren hohe Relevanz sich insbesondere seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt hat. Um den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2045 erfolgreich umzusetzen, werden neben dem CO2-Preis insbesondere soziale Ausgleichszahlungen sowie schnelle massive öffentliche Investitionen benötigt (ebd.).

Kein Klimaschutz ist langfristig teurer als Klimaschutz

Häufig wird argumentiert, dass eine höhere Verschuldung zwangsläufig zu einer höheren finanziellen Belastung zukünftiger Generationen führt. Jedoch muss bedacht werden, dass den heute getätigten Investitionen, zum Beispiel in Klimaschutz, zukünftige Erträge gegenüberstehen. So fördern strategische Investitionen in erneuerbare Energien nicht nur den Klimaschutz und die Energiesicherheit, sondern können auch langfristige wirtschaftliche Vorteile generieren (Hepburn et al., 2020). Diese potenziellen Erträge tragen dazu bei, die Belastung durch eine moderat höhere Schuldenquote in der Zukunft abzumildern und können zusammen mit den vermiedenen Klimaschäden in der Zukunft zu deutlich positiven Nettoeffekten führen (Waisman et al., 2012).

Bereits vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gab es große Lücken in der öffentlichen Finanzierung des Klimaschutzes. So berechnete die KfW im Jahr 2022, dass eine Versechsfachung der Klimaschutzinvestitionen notwendig sei, um das Klimaziel bis 2045 zu erreichen (Brand & Römer, 2022). Werden Klimaschutzinvestitionen in die Zukunft verschoben, müssen nicht nur wir, sondern auch zukünftige Generationen später mit deutlich höheren Kosten durch Klimaschäden und Klimaanpassungsmaßnahmen rechnen (Flaute et al., 2022, Luderer et al., 2012). Darüber hinaus hat sich Deutschland im Rahmen des EU-Effort-Sharing zu Emissionsminderungen verpflichtet. Werden diese Ziele nicht erreicht, wie derzeit absehbar, muss Deutschland Emissionszertifikate zukaufen (European Commission, o. J.). Deshalb ist es entscheidend zu erkennen, dass unterlassene Investitionen heute zu einer deutlich höheren Schuldenlast in der Zukunft führen können, die künftige Generationen weitaus stärker belasten würde als ein moderater Anstieg der Schuldenquote heute. Im Sinne der Generationengerechtigkeit sollte daher jetzt massiv in den Klimaschutz investiert werden, um eine zunehmende Verschärfung der Klimakrise und damit verbundene höhere Kosten zu vermeiden.

Ohne Klimageld ist der Rückhalt für Klimaschutz gefährdet

Zudem ist das im Koalitionsvertrag versprochene Klimageld nicht im Haushalt für 2024 eingeplant. Diese Ausgleichszahlung wäre aber zentral, um die Belastung für kleine und mittlere Einkommen abzufedern, den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft fair zu gestalten und damit auch die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen zu fördern. Personen mit geringem Einkommen würden besonders vom Klimageld profitieren, da sie meist einen geringen CO2-Fußabdruck haben, aber der zurückgezahlte Betrag pro Kopf für alle gleich ist. Ohne diesen gleichzeitigen sozialen Ausgleich droht der gesellschaftlich sehr wichtige Rückhalt für Klimaschutz deutlich geschwächt zu werden.

Dringender Investitionsbedarf auch in anderen Bereichen

Zudem ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die notwendigen Klimaschutz-Investitionen und Ausgaben für sozialen Ausgleich zu einem ohnehin hohen Investitionsstau hinzukommen. Das derzeit zu geringe Investitionsniveau in Infrastruktur, Bildung, Verkehr und Digitalisierung ist ein Hemmnis für eine zukunftsfähige Entwicklung der Wirtschaft (Bardt et al, 2020; Felke et al., 2023). Um den Umbau ihrer Industrien zu finanzieren, nehmen fast alle bedeutenden Industrieländer mittlerweile eine erheblich höhere Staatsverschuldung in Kauf (IMF, 2023). Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der bereits erwähnten enormen Herausforderungen sollten die aktuellen wirtschaftlichen Prioritäten in Deutschland überdacht und neu gesetzt werden.

Appell für eine Reform der Schuldenbremse

Aus diesen Gründen sollte eine Reform der Schuldenbremse darauf abzielen, flexiblere Mechanismen zu schaffen, die es der Regierung ermöglichen, ausreichend in nachhaltige Infrastrukturprojekte zu investieren. Die Herausforderungen der aktuellen Rezession und des Klimawandels erfordern jetzt rasches und entschlossenes Handeln. Langfristig braucht es eine umfassende Reform der Schuldenbremse als entscheidenden Schritt, um solchen Herausforderungen in Zukunft schnell und erfolgreich begegnen zu können. Daher sollten im Sinne unserer Umwelt, unserer Wirtschaft, der sozialen Gerechtigkeit und der zukünftigen Generationen jetzt mutige Investitionen in den Klimaschutz getätigt, das versprochene Klimageld eingeführt und so schnell wie möglich eine umfassende fortschrittliche Reform der Schuldenbremse vorangetrieben werden.

Links zu Petitionen und offenen Briefen

Petition von Fridays for Future nach der Haushaltseinigung (16.12.2023):
https://weact.campact.de/petitions/geld-fur-unsere-zukunft-statt-geld-fur-fossile-zerstorung-1

Offener Brief der AWO (November 2023):
https://weact.campact.de/petitions/offener-brief-gegen-die-sparplane-der-bundesregierung

Offener Brief von Jugendorganisationen wie Fridays for Future, BUNDjugend, DGB-Jugend (03.07.2023):
https://fridaysforfuture.de/offener-brief-sparpolitik/

Literatur

Bär, H., Peiseler, F., & Tappeiner, L. (2023). Paying for Paris: Öffentliche Finanzbedarf und -lücken zur Erreichung der Klimaschutzziele 2030. (WWF Deutschland, Ed.). Abgerufen 17. Dezember 2023, von https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Klima/wwf-foes-studie-paying-for-paris-finanzierung-der-transformation.pdf

Bardt, H., Dullien, S., Hüther, M., & Rietzler, K. (2020). For a sound fiscal policy: Enabling public investment. IW-Policy Paper. Abgerufen 17. Dezember 2023, von https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/policy_papers/PDF/2020/IW-Policy-Paper_2020_For-a-sound-fiscal-policy.pdf

Blanchard, O., & Perotti, R. (2002). An Empirical Characterization of the Dynamic Effects of Changes in Government Spending and Taxes on Output. The Quarterly Journal of Economics, 117(4), 1329–1368. https://doi.org/10.1162/003355302320935043

Brand, S. & Römer, D. (2022). Öffentliche Investitionsbedarfe zur Erreichung der Klimaneutralität in Deutschland. KfW Research. Abgerufen 17. Dezember 2023, von https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2022/Fokus-Nr.-395-Juli-2022-Oeffentliche-Investitionsbedarfe.pdf

Calcagno, A. (2012). Can austerity work? Review of Keynesian Economics, 0(1), 24–36. https://doi.org/10.4337/roke.2012.01.02

Cashin, P. (1995). Government Spending, Taxes, and Economic Growth. Staff Papers - International Monetary Fund, 42(2), 237. https://doi.org/10.2307/3867572

Chamley, C. (2012). A Paradox of Thrift in General Equilibrium without Forward Markets. Journal of the European Economic Association, 10(6), 1215–1235. https://doi.org/10.1111/j.1542-4774.2012.01097.x

Eggertsson, G. B., & Krugman, P. (2012). Debt, Deleveraging, and the Liquidity Trap: A Fisher-Minsky-Koo Approach. The Quarterly Journal of Economics, 127(3), 1469–1513. https://doi.org/10.1093/qje/qjs023

European Commission. (o. J.). Effort sharing 2021-2030: Targets and flexibilities. Abgerufen 17. Dezember 2023, von https://climate.ec.europa.eu/eu-action/effort-sharing-member-states-emission-targets/effort-sharing-2021-2030-targets-and-flexibilities_en

Felke, R., Schmitz, S., & Tholoniat, L. (2023). Der Schlüssel für eine zukunftsfeste deutsche Wirtschaft liegt in Europa. Wirtschaftsdienst, 103(5), 336–340. https://doi.org/10.2478/wd-2023-0101

Flaute, M., Reuschel, S., & Stöver, B. (2022). Volkswirtschaftliche Folgekosten durch Klimawandel: Szenarioanalyse bis 2050. Studie im Rahmen des Projektes Kosten durch Klimawandelfolgen in Deutschland (No. 2022/02). GWS Research Report.

Hepburn, C., O’Callaghan, B., Stern, N., Stiglitz, J., & Zenghelis, D. (2020). Will COVID-19 fiscal recovery packages accelerate or retard progress on climate change?. Oxford Review of Economic Policy, 36(Supplement_1), p. 359-381.

International Monetary Fund (IMF). (2023). Staatsverschuldung in den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern im Jahr 2022 in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). In Statista. Abgerufen 17. Dezember 2023, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37070/umfrage/bruttostaatsverschuldung-ausgewaehlter-laender-in-anteil-am-bruttoinlandsprodukt/

Klenert, D., Mattauch, L., Combet, E., Edenhofer, O., Hepburn, C., Rafaty, R., & Stern, N. (2018). Making carbon pricing work for citizens. Nature Climate Change, 8(8), 669–677. https://doi.org/10.1038/s41558-018-0201-2

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Waisman, H., Guivarch, C., Grazi, F., & Hourcade, J. C. (2012). The Imaclim-R model: Infrastructures, technical inertia and the costs of low carbon futures under imperfect foresight. Climatic Change, 114(1), 101–120. https://doi.org/10.1007/s10584-011-0387-z

Wu, S.-Y., Tang, J.-H., & Lin, E. S. (2010). The impact of government expenditure on economic growth: How sensitive to the level of development? Journal of Policy Modeling, 32(6), 804–817. https://doi.org/10.1016/j.jpolmod.2010.05.011

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Laura Schürer

Doktorandin im Bereich Klimaökonomik an der Universität Oldenburg

Laura Schürer

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