"Neue Welt" - Polen als Einwanderungsland

filmPOLSKA Filmkritik: Auf eindrucksvolle Weise zeigt der Episodenspielfilm "Neue Welt” das Leben von drei Immigranten in Polen. Drei Regisseure, drei Geschichten, drei Schicksale.

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Nowy Świat – neue Welt – heißt eine berühmte Straße in Warschau, die den Knotenpunkt dieses Episodenfilms darstellt. Drei junge Regisseure haben drei verschiedene Schicksale von Immigranten in Polen inszeniert, die als einzigen gemeinsamen Nenner ihren Status als Fremde tragen. Auf den ersten Blick ist das interessant, schließlich ist Polen nicht unbedingt als Einwanderungsland bekannt. Die „neue Welt“, in der sie leben, ist eine Chance, erinnert aber auch immer an einen Verlust.

Die erste Geschichte stammt aus der Feder der 28jährigen Elzbieta Benkowsja. Zanna kommt aus Weißrussland; ihr Mann sitzt dort wegen regimefeindlicher Texte seiner Band im Gefängnis. Sie ist mit ihrer Tochter nach Polen geflüchtet und hat mittlerweile eine neue Beziehung. Ihr Freund arbeitet gerade für die Organisation, die sich für die Befreiung ihres Ehemanns einsetzt. Gerade als sie in Polen heimisch wird, wird ihr Mann aus dem Gefängnis entlassen.

Die zweite Episode stammt von Michal Wawrzecki und erzählt von Azzam. Er hat in Afghanistan als Soldat gekämpft. Durch die Hilfe eines anderen Mannes, der Azzam einen Job in seinem Restaurant gegeben hat, muss der junge Afghane nicht zurück in sein Land. Er steht in tiefer Schuld, aber die Gefühle, die sein Arbeitgeber ihm gegenüber zu entwickeln scheint, irritieren Azzam. Auch eine Kollegin interessiert sich für ihn. In seinem Kopf aber spielen sich nur die schrecklichen Szenarien seines Kriegseinsatzes ab. Für Gefühle ist kein Platz.

Die letzte Geschichte ist zugleich auch die stärkste der drei. Lukasz Ostalski erzählt von Wera, die aus der Ukraine nach Polen gekommen ist, um sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. Plötzlich steht Weras Vater mit ihrem kleinen Sohn auf der Bildfläche. Sie habe sich nun zu kümmern, denn die Mutter des Kindes sei kürzlich verstorben. Der kleine Boris erwartet, seinen Vater zu sehen, was Wera in eine missliche Lage bringt. Von der Familie nie als Frau akzeptiert hat sie sich in Polen ein neues Leben aufgebaut. Die leise Beziehung, die sich zwischen Wera und Boris entwickelt, geht ans Herz.

Die drei Geschichten sind jede auf ihre Weise stark. Die Idee, die Straße als Knotenpunkt zu bestimmen, wirkt jedoch im Endeffekt etwas gewollt. Dadurch, dass die drei Geschichten nicht miteinander verzahnt sind, sondern hintereinander gezeigt werden, entsteht schnell das Gefühl, drei Kurzfilme zu sehen. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass sich alle drei Protagonisten am Ende unbewusst zufällig auf einem Zebrastreifen begegnen.

Schon 2005 entstand in Polen der Film „Ode an die Freude“, der sich mit dem Schicksal dreier Protagonisten befasste, die aus Polen emigriert waren. Auch hier hatten drei verschiedene Regisseure mitgewirkt. „Neue Welt“ ist nun, zehn Jahre später, eine indirekte Antwort auf den Film, diesmal aus der Perspektive der Immigranten.

Weitere Vorführungen:

Sonntag, 24.4. 20:00 Uhr, ACUD Kino
Montag, 25.4. 20:00 Uhr, Club der polnischen Versager

Ursprünglich hier erschienen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des 3. deutsch-polnischen Programms für junge Filmkritiker/innen und –journalist/innen der 11. Ausgabe von filmPOLSKA.

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