Der Jan-Fleischhauer-Irrtum

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Eine Retourkutsche von Hartz-IV

Nirgendwo wird so beständig Mitgefühl mit Sentimentalität verwechselt wie in der Spiegel-Online Redaktion. Da kriegt eine neoliberale Intelligenzsparlampe aus falsch verstandener Sentimentalität eine eigene Kolumne. Bislang ging das gut. Weil der "Spiegel" eine reiche Zeitung ist.

Jan Fleischhauers ganzes neueresSchaffen beruht auf einem Missverständnis, nämlich dass es sich bei deutschen Spießern, die sich ein Che-Guevara-Poster ins Zimmer hängen, um Linke handelt. Und so hält Fleischhauer irrtümlich das Linkssein für eine „kulturell dominierende Herrschaftsformation“ während der deutsche Spießer sein Zimmer einfach statt mit röhrenden Hirschen mit den Postern linker Ikonen vollhängt. Und da Fleischhauer in seiner Kindheit auch unter Eltern zu leiden gehabt hat, die ihm Fidel-Castro-Devotionalien statt ein Bild vom Papst ins Kinderzimmer taten, ist es Ehrensache, dass er gegen alles ist, was er für links hält, z.B. Hartz-IV-Empfänger.

Und nicht nur gegen die, sondern auch gegen Journalisten, die sich auf die Seite von Hartz-IV-Empfänger stellen . Wie eine gewisse Kathrin Hartmann, die ein Buch über die „neue Armut“ geschrieben hat. Hartmann zeichnet laut Fleischhauer ein verlogenes Bild von Hartz-IV-Empfängern, indemsie sie als schuldlos an ihrem Schicksal darstellt. Der gemeine Hartz-IV-Empfänger hat gefälligst den ganzen Tag Bier zu saufen und RTL-2 zu gucken, sonst wird der Fleischhauer pampig.

Wie kommt es überhaupt dazu, dass eine wohlsituierte Journalistin so viel Ahnung vom Hartz-IV-Milieu hat. Fleischhauer weiß, was Sache ist: „Die Autoren entstammen zumeist der postmateriell orientierten Mittelschicht und damit einem Milieu, dessen Lebenszuschnitt nicht nur räumlich von dem ihrer Beobachtungsobjekte himmelweit entfernt ist. Ich frage mich gelegentlich, was diese Frauen (und es sind meist Frauen) dazu treibt, zwischen dem Geplänkel über die richtige Kita für Jonas und Marie die Armenviertel in Berlin oder Frankfurt in Augenschein zu nehmen. Vielleicht ist es Langeweile.“ (Für den letzten Satz dürfte Fleischhauer der Ludwig-Börne-Preis mit Laudation von Broder sicher sein. Vor zehn Jahren fand ich solche Formulierungen auch noch witzig, aber inzwischen ist die Luft dann doch etwas raus.) Aber zurück zum Thema! Gute Frage! Wieso berichten Leute über Dinge, mit denen sie persönlich wenig zu tun haben? Ich glaube, das nennt sich Journalismus. Auf die Idee bin ich gekommen als ich den Vorspann von Waldis-WM-Club gesehen habe. Da weigert sich Sportjournalist Waldi Hartmann auch, beim Fußball mitzuspielen. Und auf die Frage „sog mal, spulst auch oder redst nur d’rüber“ antwortet Waldi kackdreist : „i redt nur d’rüber.“ Und genauso ist es bei Kathrin Hartmann: sie redt nur drüber. Sie muss nicht unbedingt selber Hartz-IV –Empfängerin sein, um sich äußern zu dürfen. Genauso wenig wie Antonia Rados beim irakischen Bürgerkrieg mitmachen muss, um aus Bagdad berichten zu dürfen. So ist das im Journalismus.

Aber wenn es Fleischhauer nach ein paar Hartz-IV-Erfahrungen aus erster Hand zumute ist, möchte ich im Rahmen meiner Möglichkeiten ein paar beisteuern. Hartz-IV ist die Hölle. Nicht weil man ausgegrenzt wird, sondern weil man unglaublich viel Zeit hat,die man dann nicht besser zu nutzen weiß, als sich Kolumnen von Jan Fleischhauer durchzulesen. Ansonsten: Bier trinken erst ab 22:00 Uhr. RTL2 kann ich nicht empfangen.Ich achte sogar auf Zahnhygiene – ein anderer Vorwurf, den Fleischhauer den Hartz-IV-Empfängern aufs Brot schmiert.

Fleischhauer sieht eine Hartz-IV-Parallelgesellschaft herauf dämmern , die mindestens so gefährlich ist wie der Muselmane: „Tatsächlich hat sich die Hartz-IV-Welt vom normalen Arbeitsmarkt weitgehend entkoppelt. In der Berichterstattung findet das kaum Beachtung, dabei ist diese Entwicklung zur Parallelgesellschaft für die Zukunft des Landes mindestens so bedeutend wie das Nebeneinander von Deutschen und Muslimen.“ Aha, stellt sich mir natürlich die Frage, wie deutsche Muslime in diesen Gedankengang passen. Die soll es ja angeblich auch geben.

Und dann kommt ein schöner Spruch, für den ich Fleischhauer knuddeln möchte. Hier isser: „Die zerstörerische Wirkung dauerhaften Nichtstuns ist von der Sozialforschung hinreichend beschrieben, daran liegt es nicht.“ Ganz genau! Blöderweise ist die zerstörerische Wirkung dauerhaften Arbeitensauch gut erforscht. Hier ein kleiner Anriss aus Bob Blacks Essay „Die Abschaffung der Arbeit“: „Arbeit ist eine Gesundheitsbedrohung. Arbeit stellt eigentlich einen Massenmord oder gar Völkermord dar. Arbeit wird auf direktem oder indirektem Weg die meisten umbringen, die das hier lesen. Zwischen 14000 und 25000 Werktätige sterben in Amerika jedes Jahr auf der Arbeit. Mehr als zwei Millionen werden versehrt. 20 bis 25 Millionen werden jedes Jahr verletzt. Und diese Zahlen gehen von einem sehr konservativen Begriff von Arbeitsunfall aus. Daher wurden die jährliche halbe Million Fälle von Berufskrankheiten nicht mitgerechnet. Ich fand ein medizinisches Lesebuch über Berufskrankheiten, daß 1200 Seiten dick war. Auch das kratzt gerade an der Oberfläche. Die verfügbaren Statistiken zählen die offensichtlichen Fälle wie die 100000 Bergarbeiter, die an Lungen-Tbc (black lung disease) erkrankt sind, von denen jedes Jahr 4000 daran sterben, eine wesentlich höhere Sterblichkeit als bei AIDS beispielsweise, obwohl das die viel höhere Aufmerksamkeit bekommt. Hier spiegelt sich die unreflektierte Annahme wieder, daß von AIDS nur Perverse betroffen sind, die ihre Mängel auch in den Griff kriegen könnten, während Kohlebergbau eine heilige Tätigkeit jenseits aller Infragestellung ist. Was die Zahlen in jedem Fall verschweigen, ist der Umstand, daß die Lebenserwartung von Millionen von Leuten durch die Arbeit verkürzt wird. Man denke an die Ärzte, die sich in ihren Fünfzigern zu Tode arbeiten. Man denke an die zahllosen Workaholics.

Auch wenn man nicht direkt beim Arbeiten verkrüppelt oder getötet wird, kann das genauso gut auf dem Weg zur oder von der Arbeit geschehen, bei der Arbeitssuche oder bei dem Versuch, die Arbeit zu vergessen. Die große Mehrzahl der Opfer von Autounfällen erledigen gerade einer dieser arbeitsnahen Beschäftigungen oder fallen einem zum Opfer, der sie erledigt. Zu dieser erweiterten Leichenzählung kommen auch die Opfer der auto-industriellen Verschmutzung und von Alkoholismus und Drogensucht als Folge der Arbeit hinzu. Sowohl Krebs als auch Herzkrankheiten sind moderne Heimsuchungen, die sich mehr oder weniger direkt auf die Arbeit zurückführen lassen.“

Sorry Dude! Aber dann setze ich mich doch lieber der Zerstörung durch Nichtstun aus.

Aber Rettung naht. Denn Deutschland wird sich zukünftig den Sozialstaat zukünftig nicht mehr leisten können. 50 Milliarden werden laut Fleischhauer für Hartz-IV ausgegeben. Das hört sich erstmal nach viel an, aber ca. 50 Milliarden zahlt Deutschland auch jedes Jahr an Schuldzinsen und das Geld geht direkt ans Geldgesindel. Und von den 50 Milliarden, die Deutschland jedes Jahr für Hartz-IV ausgibt, geht nur ein kleiner Teil direkt an die Hartz-IV Empfänger. Den ungleich größeren Teil greift nämlich die üppige Hartz-IV Industrie ab.Denn die Illusion, dass die Massenarbeitslosigkeit eine Folge individuellen Versagens ist, lässt sich die Bundesregierung richtig was kosten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

lebowski

Ein Leben zwischen Faulenzerei und Leiharbeit.

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