Ein paar Szenen aus dem beschädigten Leben

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Die letzten drei Monate musste (durfte) ich in einem Callcenter arbeiten. Hier sind ein paar Szenen in und um die Arbeit.

Szene 1: Callcenter-Agent! Um diesen Job, der hohe Arbeitsdichte, Stress und schlechten Lohn bedeutet, zu ertragen, muss man die Zumutungen der Lohnarbeit schon voll internalisiert haben. Ich hab das nicht! Auf jeder Anfahrt zum Arbeitsplatz verfalle ich in Depression und Wut. Wieso tue ich mir das an? Man wird ausgeplündert, benotet, überwacht. Und verdienen tut man gerade mal 300,- € mehr als ein Hartz-IV-Empfänger. Durch die Spätschichten ist das ganze soziale Leben zum Erliegen gekommen. Aber wozu ein soziales Leben, wenn man sich ohnehin kaum noch die Miete leisten kann. Aber einer macht auf mich Eindruck. Ein Bosnier, an dem der ganze Stress abzuperlen scheint. Ihn scheint das alles nicht zu beeindrucken. Er wird nie laut oder hektisch. Bewundernswert! Ich verurteile mich schon als wohlstandsgeschädigt, als jemand, der nichts aushalten kann.

Bis ich ihn eines Tages in der Kantine treffe."Ich hatte gerade Streit mit meiner Freundin." erzählt er. Wir haben wieder mal Spätschicht. "Sie beschwert ich, das wir wegen meiner Arbeitszeiten nichts mehr zusammen machen können. Es kommt ihr so vor, als ob ich nur bei ihr wohnen will. Sie fühlt sich ausgenutzt. Ein Sch..leben ist das. Man muss nur noch funktionieren."

Tja, war wohl nichts mit überlegener Geisteshaltung. Eine Hoffnung weniger.

Szene 2: Im Cafe. Ich warte auf den Anfang meiner Schicht in einem Frühstückscafe in Münsters Innenstadt. Eines morgens setzt sich ein junges Ehepaar an den Tisch neben mir. Das Smartphone des Mannes klingelt. Er nimmt ab. Es ist ein Dienstgespräch. Der Mann arbeitet anscheinend in einer Großwäscherei und irgendwas läuft schief an diesem Morgen. Er faltet einen Untergebenen zusammen.

"Es ist mir scheißegal, ob der krank ist. Dann nehmen Sie jemanden anderen. Die Wäsche muss heute noch raus. Sonst müssen wir eine hohe Vertragsstrafe zahlen."

Der Mann legt leicht verärgert auf und will sich wieder dem Frühstück und seiner Frau widmen. Aber die Umstellung von Vorgesetzter auf Ehemann funktioniert nicht schnell genug.

Die Frau: "Ich muss heute noch die Sachen kaufen, die Du mir gestern aufgeschrieben hast."

Der Mann stellt die Frau zur Rede: "Wieso ist das noch nicht passiert? Du solltest die Dinge gestern einkaufen."

Darauf die Frau pampig: "Pass mal auf,wenn Du glaubst, Du bist hier auf der Arbeit und kannst mich behandeln wie irgendeinen Deiner Untergebenen, dann bist Du schief gewickelt. Ich bin kein Befehlsempfänger."

Rückzugsgefecht des Manns. Er hat Unrecht, aber das kann ein Alpha-Männchen ohne Autoritätverlust nicht zugeben.

"Ich muss mich darauf verlassen können, dass Du dich um deinen Teil im Haushalt kümmerst."

Schon wieder schwerer Fehler: Vorgesetzenjargon garniert mit latenten Vorwürfen.

Die Stimmung ist versaut. Die Frau sagt etwas wie, dass sie sich die Ehe dann doch etwas anders vorgestellt hat.

Ich erwische mich dabei, wie ich klammheimliche Schadenfreude empfinde.

"Tja Mädchen, du wolltest doch bestimmt einen Macher und erfolgreichen Manager als Ehemann. Jetzt sieh zu, wie du klar kommst."

Schäme mich meiner Schadenfreude.

Nichtsdestotrotz. Die Ehe wird wohl nicht lange halten.

Szene 3: Zug nach Rheda-Wiedenbrück. Muss zur Arbeit pendeln. Mein Luxusloft mitr 40 qm musste ich aufgeben und vorübergehend wieder bei meiner Mutter einziehen. Der Schaffner unterhält sich mit einem Pakistaner.

Der war wohl schon mehrmals in Deutschland.

"Ich weiß nicht, ob ich nochmal komme. Für das was ich hier verdiene lohnt es sich nicht mehr, rüberzukommen."

Aha, denke ich, sogar für Pakistaner sind wir wirtschaftlich uninteressant geworden.

So viel zum Wirtschaftwunder in Deutschland.

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Geschrieben von

lebowski

Ein Leben zwischen Faulenzerei und Leiharbeit.

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