Gedankensplitter zur Leiharbeit

Im Hamsterrad Nach einem halben Jahr Leiharbeit macht sich bei mir der erste psychische Verschleiß bemerkbar. Hier ein paar Gedanken zu einem Leben als Zeitarbeiter.

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- nach sechs Monaten bin ich wieder im selben Betrieb gelandet, in dem ich mit meiner Zeitarbeit begonnen habe. Es sieht alles gut aus in diesem Betrieb: Kaffee umsonst, alles pikobello sauber, Betriebsrat und eine eigene Mitarbeiterzeitung. Und noch diverse Zeitungen, die dem Gewerke nahestehen. Auf dem Titelblatt einer solchen Zeitung ist der sauertöpfisch lächelnde Wolfgang Clement zu sehen, der den Betrieb gerade als einen der fairsten Betriebe für Leiharbeiter -sorry- Zeitarbeiter ausgezeichnet hat. Man ist stolz auf diese Auszeichnung.

Man ist auch in Mitarbeiterkreisen stolz, wie ich der Mitarbeiterzeitung entnehmen kann. Besonders der Betriebsrat ist auf die erbrachten Leistungen stolz. Je mehr Leistung desto Arbeitsplatz. Inzwischen unterscheidet sich eine Betriebsversammlung in nichts mehr von einer Vorstandssitzung.

-am Anfang gefiel mir die Leiharbeit sogar. Da es jede Menge demotivierter Zeitarbeiter gibt, die den Unternehmensleitungen Probleme machen, lässt man diejenigen, die ihren Job halbwegs ordentlich machen, in Ruhe. Und in Ruhe gelassen werden, ist in dieser Arbeitswelt schon ein seltenes Privileg.

-Fair ist eins der neue Lieblingswörter im Zeitarbeitsgewerbe.

Faire Arbeitszeiten, faire Löhne, ein faires Miteinander, so viel Fairness wie heute war nie.

-Zeitarbeit ist die doppelte Entfremdung. Werden die Festangestellten für ihre monotone Arbeit wenigstens noch mit Konsumteilhabe belohnt, so wird Zeitarbeitern nicht einmal mehr dieser Anreiz geboten. Es ist die vollendete Sinnlosigkeit. Man macht sinnlose und anstrengende Arbeit und kriegt nicht einmal mehr genug zum Leben dafür.

Man läuft im Hamsterrad und der einzige Gewinn, den man für die Zukunft erwarten kann, ist der, dass man auch weiterhin im Hamsterrad bleiben kann.

-als Zeitarbeiter fühlt ich mich wie der Josef K. in Kafkas "Prozess", der eines morgen ohne etwas Unrechtes getan zu haben verhaftet wurde. Von da wird die Welt für Josef K. zu einem großen Freiluftgefängnis.

- man gibt sich auf Arbeitgeberseite große Mühe, Leiharbeiter freundlich zu behandeln. Aber es funktioniert nicht, denn über allem steht die Tatsache, dass man wie ein Gegenstand ausgeliehen wurde und dass man sich zu rechnen habe. Diese Tatsache verwandelt jede Freundlichkeit in Spott und Herablassung.

Wenn ein Marktleiter mir mitteilt, ich habe einen guten Job gemacht, enpfinde ich das als Beleidigung und als Mangel an Widerstand

- nirgendwo ist die Formatierung des Arbeitsleben nach betriebwirtschaftlichen Gesichtspunkten so schlimm wie in Callcentern. Arbeitszeit muss gleich Produktivzeit sein. Sobald man sich vom Telefon wegbewegt, muss man sogenannte Idle-Codes eingeben. Für jeden Anlass gibts einen Idle-Code: Nachfrage bei Vorgesetzten, Meeting, Leitung gestört usw. . Sogar fürs Schiffen gibts einen Idle-Code. Aber Toilettengänge werden auch weiterhin nicht mit Lohnabzug bestraft. Danke dafür an den Betriebsrat!

Die Stasi müsste bei solchen Verhältnissen eigentlich neidisch sein. Die Überwachung ist perfekt und das Ganze läuft ohne großes Aufhebens ab. Verglichen mit der Überwachung in einem Callcenter nimmt sich die Stasi wie das Amt für informationelle Selbstbestimmung aus.

Bundespräsident Gauck würde mein letzes Statement als unsäglich albern und geschichtsvergessen bezeichnen.

-vor einigen Jahren habe ich bei einer Behörde gearbeitet. Es gab oft genug nichts zu tun. Es spielte aber eigentlich keine Rolle, denn wenn es nichts zu tun gab, trank man eben Kaffee oder surfte im Internet. Wenn es bei der Zeitarbeit nichts zu gibt, ist man wieder gezwungen das unsäglich dämliche "Ich tu so, als ob ich was zu tun habe"-Spiel zu spielen.

- eine Politisierung der Zeitarbeiter findet nicht statt. Wie auch: zum einen ist man nach der Arbeit zu müde und zum anderen geht jeder Widerstand ins Leere, da man ja einen Zweifrontenkrieg führen müsste - einen gegen den Arbeitgeber und einen gegen den Verleiher.

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Geschrieben von

lebowski

Ein Leben zwischen Faulenzerei und Leiharbeit.

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