Immer da, immer nah

Münster Die Provinzial-Allianz-Posse. Der geplante Kauf der Provinzial-Versicherung durch die Allianz AG liefert prima Lehrmaterial für regressiven Antikapitalismus.

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Wenn sie in der letzten Woche in Münsters Fußgängerzone waren, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie von Menschen in gelben Leibchen angesprochen wurden, die von Ihnen eine Unterschrift gegen den Verkauf der Provinzial Versicherung an die Allianz AG erbaten. So kamen insgesamt 165.000 Unterschriften zusammen, die dem Chef des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), Wolfgang Kirsch, überreicht werden sollten. Der LWL ist ein Anteileigner der Provinzial-Versicherung. Kirsch ließ sich aber beim anvisierten Übergabetermin für die Unterschriften blöderweise wegen eines anderes wichtigen Termins entschuldigen, so dass die ganze Aktion ziemlich ins Leere lief.

Auf einer Großkundgebung sprachen dann NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider und der CDU-Landesfraktionschef Karl-Josef Laumann und argumentierten gegen den Verkauf der Provinzial.

Laumann wandte sich mit folgenden Worten ans geneigte Publikum:

Vor zwei Wochen hat eine Debatte begonnen, mit der ich nicht gerechnet habe. Die Leute, die diese Debatte begonnen haben, die mögen studiert haben. Schlau sind sie nicht. Eine Kuh, die gute Milch gibt, verkauft man nicht wegen des Fleisches.

Daraufhin soll es warmen Beifall für Laumann gegeben haben. Dass ein führender Politiker einer Partei, die Menschen angeblich in den Mittelpunkt ihrer Politik stellt (ROFL), ebensolche mit Nutzvieh vergleicht und dafür auch noch Applaus vom Pöbel kriegt, wundert mich in diesem Land keine Sekunde.

Übrigens ist das Kaufen und Verkaufen von Unternehmen konstitutiver Bestandteil des Kapitalismus und wer sich darüber aufregt, sollte sich demnächst auch darüber aufregen, dass er beim Schwimmen nass wird. Mir ist auch nicht ganz klar, wieso man sich neuerdings gegen Investoren -denn so wird die Allianz bezeichnet- verteidigen soll. Investoren sind doch sonst die Typen, die man unbedingt anlocken will.

Alles in allem ist sich die ganze Region aber einig: die Provinzial darf nicht verkauft werden. Nun bin ich von den Leuten nicht um eine Unterschrift gebeten worden, ich wüßte allerdings auch nicht, wieso mich das interessieren soll, auf welchen Namen die Versicherung hört, die mich durch den Rettich zieht.

Wenn sich also eine ganze Region samt angeschlossener Medien und der Anteilseigner der Versicherung inklusive gegen den Verkauf einer Versicherung wendet, fragt man sich unweigerlich, wer denn eigentlich dafür ist. Irgendjemand muss es da geben.

Ich musste lange bei Google suchen, um einen Artikel zu finden, der mich mit den nüchternen kapitalistischen Fakten vertraut macht. Aber bevor die Financial Times Deutschland Opfer des Wirtschaftssystems wurde, das sie immer verteidigt hat, war sie gerade noch in der Lage, einige klärende Worte zu Papier zu bringen: Die Münchener Allianz AG schwächelt in ihren Kernsparten und Allianz-Chef Diekmann möchte durch eine Übernahme des Konkurrenten Provinzial die Position der Allianz stärken.

Vor knapp drei Wochen, am 13. November, reiste Diekmann nach Münster, um den wichtigsten Eignern der Provinzial sein Angebot zu überreichen: Rolf Gerlach, Präsident des Sparkassenverbandes Westfalen-Lippe, Reinhard Boll, der dem Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein vorsteht, und Wolfgang Kirsch, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).

Aber die regionale Einheitsfront gegen den Verkauf der Provinzial steht! Oder vielleicht doch nicht? Auch hier weiß die FTD mehr:

Die treibende Kraft aufseiten der Eigner ist Gerlach. Der ebenso mächtige wie trickreiche Westfale fürchtet, dass die Probleme der Lebensversicherer die Sparkassen in einen ähnlichen Verluststrudel ziehen könnten wie die Krise der Landesbanken. Seine Sparkassen und der LWL halten je 40 Prozent an der Provinzial Nordwest, die Sparkassen in Schleswig-Holstein 18 Prozent, die ostdeutschen zwei Prozent.

Folge der Spur des Geldes! Aber wenigstens der Rest Einheitsfront steht, oder?

Der LWL dagegen ziert sich. Direktor Kirsch, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen DZ-Bank-Chef, ist Gerlach in herzlicher Feindschaft verbunden. Er dementiert die Gespräche mit der Allianz zwar nicht, sagt aber: "Wir planen derzeit nicht, unsere Anteile an der Provinzial Nordwest zu verkaufen." Wie lange das "derzeit" gilt, sei eine Frage des Preises, heißt es in der Versicherungsszene.

Das Problem des LWL ist nämlich, dass er einen Berg Schulden vor sich herschiebt; kein Wunder, er kümmert sich vornehmlich um Kranke und Behinderte und mit denen lässt sich im Kapitalismus keine Kohle verdienen. Eine Finanzspritze könnte Kirsch also gut gebrauchen.

Im Moment ist aber Gerlach der Watschenmann für die Demonstranten:

Ich weiß nicht, was Herrn Gerlach geritten hat. Vielleicht waren es ja die Karriereabsichten, die sich nicht erfüllt haben“, orakelt Schneider und spricht von einer Steilvorlage zur Privatisierung. Die Landesregierung sei klar dagegen. „Man kann uns beim Wort nehmen!

Man fragt sich bei der Gelegeheit immer, wie es Psychopathen wie Gerlach in gehobene Positionen schaffen. Schließlich dürfte auch bei der Ernennung von Sparkassen-Präsidenten die Politik ihre Griffel im Spiel haben.

Leute wie Schneider, die noch streng zwischen raffendem und schaffendem Kapital unterscheiden, brauchen immer einen sinistren Bösewicht, den sie für die Auswüchse des Kapitalismus verantwortlich machen können. Die Logik dahinter ist folgende: die Marktwirtschaft funktioniert prima, nur wenn einige Leute es mit dem Eigeninteresse übertreiben, wirds schlimm. Der Gedanke, dass dieses Wirtschaftssystem ganz ohne schwarzgekleidete Halunken auskommt, würde diesen Leuten nie in den Sinn kommen. Aber was macht der Gerlach eigentlich anderes, als die ihm übertragene Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen. Denn der Gedanke, dass gerade Lebensversicherungen demnächst ein Riesenverlustgeschäft werden, ist so abwegig nicht. Und Gerlachs Politik ist in diesem Sinne geradezu vorausschauend.

Spinnen wir die Sache noch ein wenig weiter. Angenommen die Übernahme scheitert und die Allianz ihrerseits müsste Leute entlassen, dann wären Politiker am südlichen Ende der Republik schnell mit Schuldzuweisungen gegen Diekmann bei der Hand.

Was einem aber ganz zuwider sein muss, ist die alberne Protestfolklore, die mit solchen Vorgängen verbunden sind und die kritiklose Anbiederei lokaler Medien. So verkleideten sich ein Haufen Demonstranten als Schutzengel, denn als Schutzengel der Versicherten sieht sich die Provinzial selber.

Und was die Anbiederei anbelangt, liest sich das in den Westfälischen Nachrichten so:

Kim Karhof interessiert sich nicht für Strippenzieher im Hintergrund. Sie kämpft um ihren Ausbildungsplatz. „Wir haben den superstarken Willen, diesen Kampf zu gewinnen“, sagt sie. Denn: „Engel sollen Engel bleiben.“ Janina Friedrich, Maria Grüter, Anna Lena Eickholt und Caroline Lüke erleben wie Kim einen turbulenten Berufsstart. „Bei der ersten Betriebsversammlung war noch alles gut. Und dann kamen die voll krassen Schlagzeilen“, sagt Maria. Sie reden viel mit ihren Ausbildern. „Die Situation ist großer Mist“, wird Janina deutlich. So wie die Auszubildenden denken alle Provinzial-Mitarbeiter. „Die letzten Tage waren furchtbar“, eine seelische Katastrophe für mich“, gibt Sonja Kaup offen zu. Sie ist seit 25 Jahren bei der Provinzial, schlaflose Nächte hat sie deshalb zum ersten Mal.

Alles war gut, aber dann wurde es krass. Sehr subtil argumentiert! Allein das Geseiere dieser Damen ist das allerbeste Argument für einen Verkauf an die Allianz. Vielleicht gibt es da ja ein paar Ladies, die sich intelligenter ausdrücken können.

Junge Damen, für die das Leben ein großer Ponyhof ist; der Protest vorgezogener Karneval mit prima Verkleidung und das Interesse an wirtschaftlichen Fragen reicht nie weiter als bis zur Naht des eigenen Portemonnaies. Man interessiert sich einfach nicht für die Strippenzieher im Hintergrund, sondern möchte weiter glücklich hinter den sieben Bergen bei den siebenZwergen leben.

Auch sonst gaben insbesondere die "Westfälischen Nachrichten" alles, um den Eindruck zu vermeiden, es handele sich bei ihr um unabhängige Presse. Denn im nationalen und internationalen Standortwettbewerb weiß auch Münsters führende Zeitung, auf welcher Seite sie zu stehen hat. Um den Affen noch einwenig Zucker zu geben, legte die WN dann auch noch da, wie elementar wichtig auch das kulturelle Engagement der Provinzial ist:

Wie wichtig die Provinzial für die Kultur Westfalens ist, zeigte erst kürzlich die drei Millionen Euro schwere Beteiligung an der neuen Annette-von-Droste-Hülshoff-Stiftung. Sie wurde zum Zwecke errichtet, aus Burg Hülshoff und Haus Rüschhaus einen literarischen Begegnungsort mit nationaler Ausstrahlungskraft zu machen. Die Kulturstiftung der Provinzialversicherung ist mit fünf Millionen Euro ausgestattet und wirft pro Jahr etwa eine knappe Viertelmillion Euro Zinserträge ab.

Mit Millionen-Stiftungen ist die Provinzial auch am Westfälischen Landesmuseum, an der Sparkassen-Stiftung Pablo Picasso und am Westfälischen Museum für Klosterkultur in Dalheim beteiligt. Ein Blick auf die Spenden und Mitgliedsbeiträge für Kulturinstitutionen, Schulen, Universitäten und Initiativen zeigt zudem, was wegbrechen könnte.

Literarische Begegnungsorte mit nationaler Ausstrahlungskraft. Wow! Diese Leute sprechen große Worte gelassen aus. Tatsächlich dürfte die Ausstrahlungskraft dieser Begegnungsstätte maximal lokaler Natur sein. Ich wohne seit 10 Jahren ununterbrochen in Münster und höre von dem Schuppen zum erstenmal.

Ich bin mir übrigens sicher, dass auch Allianz-Chef Diekmann etwas Kohle springen lassen würde, um die westfälische Kultur am Leben zu halten. Alles eine Marketing- und PR-Frage.

Man sollte sich aber trotzdem Gedanken darüber machen, was das für eine Kultur ist, die von der Gnade von Versicherungskonzernen -mögen sie nun Allianz oder Provinzial heißen - abhängig ist.

Fazit: Die Provinzial muss gerettet werden und es muss garantiert werden, dass für Provinzial-Mitarbeiter die Marktwirtschaft weiterhin ein Ponyhof mit Auto, Urlaub und i-Phone ist, während Niedriglöhner, Leiharbeiter und sonstige Pauper sehen können, wo sie bleiben, denn schließlich kann man nicht mit jedem solidarisch sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

lebowski

Ein Leben zwischen Faulenzerei und Leiharbeit.

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