Alles wird besser, wenn wir mehr arbeiten: Mehr Arbeit bedeutet mehr Sinn und mehr Selbstverwirklichung. Auch die eigene Gesundheit wird sprichwörtlich durch mehr Arbeit erhalten, denn: Wer rastet, der rostet. Das sagen auch führende Manager wie der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer und Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft. Es brauche „einen unbedingten Willen, zu arbeiten“, sagt Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Finanzminister Christian Lindner (FDP) wirbt für steuerliche Anreize für Überstunden. Und Markus Lanz diskutierte vergangene Woche empört mit der Grüne-Jugend-Chefin Katharina Stolla darüber, dass die Deutschen so wenig arbeiten wie noch nie! Stolla fordert eine Vier-Tage-Woche für alle.
gend-Chefin Katharina Stolla darüber, dass die Deutschen so wenig arbeiten wie noch nie! Stolla fordert eine Vier-Tage-Woche für alle. Lanz zitierte dagegen eine OECD-Studie, nach der die Deutschen nur 1.343 Stunden Jahresarbeitszeit leisteten.Das viel größere Problem ist: Die Deutschen können keine Statistik. Am selben Tag, an dem Lanz mit Stolla stritt und die Bild-Zeitung titelte: „Wirtschaftsbosse fordern Mehrarbeit: Sind wir etwa nicht fleißig genug?“, wurde eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlicht. Ihr Ergebnis: In Deutschland wird so viel gearbeitet wie noch nie! Die Studie zeigt für das Jahr 2023, dass die abhängig Beschäftigten in Deutschland 55 Milliarden Stunden gearbeitet hätten. Der höchste Wert seit der Wiedervereinigung. Wer hat recht?Ein erster Schritt bestünde darin, Statistiken lesen zu lernenDie OECD-Statistik umfasst „die regulären Arbeitsstunden von Vollzeit-, Teilzeit- und Saisonarbeitskräften, bezahlte und unbezahlte Überstunden sowie die in Nebentätigkeiten geleisteten Stunden“. Erstens sind diese Anteile in jedem Land unterschiedlich. Zweitens zählt bei der Berechnung des Durchschnitts „ein Erwerbstätiger in Vollzeit genauso viel wie einer, der nur 15 Wochenstunden arbeitet“, wie das Leibniz- Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) schon im August 2023 aufgrund immer wiederkehrender Fehlinterpretationen erklärte. Dabei würde es ausreichen, wenn man die OECD-Website gründlich genug läse. Dort steht: „Die Daten sind für Vergleiche von Trends im Zeitverlauf gedacht; aufgrund unterschiedlicher Quellen und Berechnungsmethoden eignen sie sich nicht für Vergleiche der durchschnittlich geleisteten Jahresarbeitsstunden für ein bestimmtes Jahr.“ Und damit auch nicht für Ländervergleiche. Die Statistik erfasst zum Beispiel auch jene Tage nicht, an denen aufgrund von gesetzlichen Feiertagen, Jahresurlaub, Krankschreibungen oder Streiks nicht gearbeitet wurde.Laut DIW-Studie ist das Gesamtarbeitsvolumen vor allem deshalb gestiegen, weil immer mehr Frauen arbeiten. Allerdings fast zur Hälfte nur in Teilzeit. Dieser Fakt verzerrt die OECD-Statistik, worauf auch das DIW hinweist. Ein Beispiel: In einem Haushalt leben zwei Erwachsene im erwerbsfähigen Alter. Arbeitet Person A 36 Stunden in 45 Arbeitswochen im Jahr und Person B gar nicht, ergibt das eine durchschnittliche Jahresarbeitszeit von 1.620 Stunden. Erhöht Person A die Arbeitszeit auf 40 Stunden und Person B nimmt eine Beschäftigung mit 20 Stunden auf, kommen durchschnittlich nur 30 Stunden in 45 Arbeitswochen zusammen: insgesamt 1.350. Obwohl mehr gearbeitet wird, ergibt das statistisch weniger Stunden. Würden alle Teilzeitbeschäftigten ihre Arbeit niederlegen, stünde Deutschland im OECD-Durchschnitt besser da.Das Zauberwort? Produktivität!Das Zauberwort ist Produktivität. Man kann eine Stunde benötigen, um ein Esszimmer zu wischen, indem man jeden Stuhl anhebt, wenn man mit dem Wischeimer bei ihm angekommen ist. Man kann das aber auch in 15 Minuten schaffen, indem man erst alle Stühle verkehrt herum auf den Esstisch stellt und dann durchwischt. Deutschlands Arbeitsproduktivitäts-Index je Erwerbstätigenstunde lag 2022 bei 106,55 und im G7-Vergleich damit auf Platz zwei hinter den USA. Die solide Produktivität der Deutschen reicht aber nicht, um den Mangel an Arbeitskräften auszugleichen. Auch nicht, wenn alle Frauen in Vollzeit arbeiten.Wenig überraschend zeigt der OECD Better Life Index außerdem, „dass lange Arbeitszeiten die Gesundheit beeinträchtigen, die Sicherheit gefährden und den Stress erhöhen“. Das kostet die Wirtschaft jährlich Milliarden. Mehrarbeit macht nicht produktiver! Alle, die große Reden in der Öffentlichkeit schwingen, wissen das und halten dennoch am Mythos der faulen Deutschen fest. Wer rastet, rostet nicht. Wer rastet, regeneriert.