Plane hoch, möglichst mit den Böen, schon fünfundzwanzig Zentimeter, dick genug? Oder blüht obenauf bereits eine Krone, und der Stängel ist wertlos? Feine Sandwolken über dem Acker, den Rücken beugen oder die Knie. Beim Schnitt nicht zu tief gehen, Weiß, sagt der Vorarbeiter, mag die Produktion gar nicht. Nicht den nächsten Stängel anritzen. Plane über die Bügel, Handkarren voran, ein Rad, Gestell, Plastikkiste darauf, Handgriff: Die erste Woche muss man durchhalten. Beate Gebauers Stimme ist leiser geworden hinter dem Schreibtisch, sie hat eine Wette laufen, es geht um 30 Bewerber, die Gebauer, Leiterin des Hofladens und der Gastronomie, finden will, finden muss. 30, die die Saison schaffen.
Ein glasklarer, trockener Tag nach Ostern, drei Grad am Morgen. Jetzt, kurz nach neun, ist es wärmer geworden, aber das Thermometer bleibt einstellig. Kalter Wind greift streng durch Hosenbeine. Von 500 Bewerbern sind heute 40 da, Einsammeln der Arbeitspapiere noch auf dem Hof, ein paar Worte, die Mut machen sollen, Autokolonne, dann stehen wir am Feld. Die Muskeln, hat Frau Gebauer so von unten herauf gemeint, müssten sich in der ersten Woche gewöhnen. Vor uns flattern Planen über flachen Dämmen, darunter Xenolim. Die Firma, die ihn züchtet, zählt die Vorteile der Sorte auf: 100 Prozent männliche F1-Hybride, sehr hohes Ertragspotenzial, einheitliche Sortierung, hohes Stangengewicht, sehr guter Kopfschluss. Die erste Woche der Spargelernte, Gebauer hat gezögert, ist scheiße.
Plane hoch, Länge abschätzen, Dicke. Die ausgebrochenen, zu langen, schon holzigen Stangen abschneiden, sieben Zentimeter wächst Spargel am Tag. Stängel stehen eng beieinander, drängen aus dem Wurzelgeflecht in der Erde durch den Damm zum Licht. Also Vorsicht mit dem Messer. Nirgends wird so viel Spargel geerntet und gegessen wie in Deutschland: Das Bundeslandwirtschaftsministerium wusste 2019 von 23.200 Hektar Anbaufläche, 130.000 Tonnen Ernte, Pro-Kopf-Verbrauch etwa 1,42 Kilogramm. Jedes Jahr bei der Spargelernte: Zeitungen und Fernsehen. Vorabberichte, Meinungen, das Wetter, zu nass, zu trocken? Vielleicht, weil Spargel nach Frühjahr schmeckt, Weißwein, jungen Kartoffeln, Butter, Sonne. In Kremmen, am Feld an der Alten Hamburger Poststraße, ist ein ZDF-Team dabei, die Reporterin erntetypisch angezogen: College-Jäckchen, schwarze Stretch-Jeans, weiße Turnschuhe, Ansteckmikrofon. Nach ein paar Minuten im Feld haben sie die Bilder im Kasten, fahren über die Staubpiste zum Hof, später lassen sie eine Kameradrohne steigen.
Der Lohn in Rumänien
Spargelstechen ist stumpfer Akkord. Wenn man Glück hat, ist es nicht zu heiß, regnet es nicht und der Rücken ist geduldig, gewöhnt sich rasch. Handkarren vorweg, eine Reihe hinauf: Nachdenken, darüber, ob dem Spargel in Covid-Zeiten nicht ein Imageproblem zuwächst. Gerade hat die um saftige Vereinfachung selten verlegene Margarete Stokowski bei Spiegel Online kolumniert, dass er „Symbolgemüse einer menschenverachtenden Krisenpolitik“ sei. Balanciert dabei auf Spargel zwischen Saisonarbeitern und Geflüchteten; nach kurzen Verhandlungen gingen geschlossene innereuropäische Grenzen kurz auf, 80.000 Saisonkräfte aus Rumänien dürfen einreisen, müssen in Quarantäne, arbeiten also in Kontaktgruppen.
Dagegen: Wer nichts mit Spargel zu tun hat, aber mit Krieg und Vertreibung, landet an der EU-Außengrenze in Lagern. Jedoch wird hier die Symbolkraft, die Stokowski der mal nussigen, mal leicht bitteren Frucht ankolumniert, dünn: Arbeitsmigration aus ärmeren Ländern der EU ist ein Teil ihrer Konstruktion. Das soll so bleiben, versprechen Politiker und werden gewählt. Vielen in der CDU sind schon die 50 Kinder, die aus Lagern auf griechischen Inseln nach Deutschland gebracht wurden, ein schlimmes Signal. Nach Kremmen, Landkreis Oberhavel, 7.657 Einwohner, kommen manche seit Jahrzehnten, bringen Leute aus ihrem Dorf mit, Familienmitglieder. Mindestlohn 9,35 Euro in der Stunde. Für jedes Kilo, jede Kiste mehr als eine pro Stunde gibt es Aufschlag. Später wird der Chef vorrechnen, dass ein guter Spargelstecher nach zwei Monaten 6.000 Euro mitnimmt. Er nennt solche Arbeiter: sehr fleißig. In Rumänien lag der Durchschnittslohn 2019 bei 640 Euro, in der Landwirtschaft werden oft nur 200 gezahlt. 2020 kommen nur 170 Erntehelfer nach Kremmen, wegen Covid schlafen sie in den Unterkünften höchstens zu zweit auf dem Zimmer, schaffen 30 Tonnen Spargel am Tag. Wenn es warm wird, reicht das nicht.
Beim Spargelhof bewarben sich Kurzarbeiter, Arbeitslose; Beate Gebauer schaute durch Schreiben von Studierenden, deren Jobs in der Gastronomie ausfielen, fragte sich, wie die morgens um sieben Uhr aus Berlin-Kreuzberg nach Kremmen zu den Feldern kommen wollen. Einer ist mit dem Motorrad gekommen, 30 Kilometer, Kellner im Hauptberuf, erst mal bis Mai will er hier ran, das Restaurant hat zu, Touristen erwartet er auch im Mai nicht, zu Hause wird er wahnsinnig. Der Wind nimmt zu. Kurze Unterhaltung, dann geht es weiter, er strafft noch einmal den Rücken, „Mensch, denk mal an, was unsere Eltern alles machen mussten“, beugt sich wieder, Folie hoch, Folie runter, man kann das zu Ende denken, was sind dagegen schon zwei Monate im Spargel?
Eine seltsame Stimmung macht sich in diesem Jahr um den Spargel breit. Unter den üblichen Hype mischt sich in Artikeln ein wenig Lust daran, dass jetzt vielleicht auch mal den Partyboys aus der Stadt der Rücken schmerzt, ungeübte Erntehelfer im Oberhavel-Landkreis richtig ranmüssen. Wenn es um niedrig bezahlte, monotone Tätigkeiten der Kategorie Ernten, Säubern, Entsorgen geht, ist nie ganz klar, ob Journalisten, Verwandte und Warteschlange-Nachbarn die Nase eher darüber rümpfen, dass immer mehr Leute keine Lust darauf haben. Oder darüber, dass wir andere dafür bezahlen.
Bücken, schneiden, sortieren. In der Reihe nebenan raunt einer, Käppi, Sonnenbrille, dass wir jetzt „Aushilfspolen“ seien. Der Mann hat auf sein hinteres Autofenster groß den Schriftzug eines Erstligafußballclubs aus Berlin-Köpenick geklebt. Am Feldende umdrehen, die nächste Reihe hinab, Stängel so in die Plastikkiste, dass die Köpfe nicht an der Seitenwand scheuern, halb voll schon, Handarbeit.
Spargelernte, sagt Malte Voigts, ist harte Arbeit. Zwei Monate lang immer acht Stunden am Tag, eine Stunde Pause vormittags, eine am Nachmittag, 160 Hektar müssen geerntet werden, größtenteils Bleichspargel, der anstrengender ist, weil man ihn erst ausgraben, im Boden stechen muss. Heute eben grüner, Xenolim, eigentlich wächst der gerade, krümmt sich aber doch auf dem Damm. Voigts, Jahrgang 1977, groß wie die Türrahmen im alten LPG-Gebäude, CDU Kremmen, Brandenburger Hunting Club, kariertes Hemd, Button-down-Kragen, blonde Haare zurückgelegt, Prokurist der Rhinland-Agrargesellschaft Kremmen, spricht in klaren, kurzen Sätzen. Schon beim Vorgespräch am Telefon hat er sich geärgert, dass die Landwirtschaftsministerin jetzt zu Solidarität und zum Anpacken aufrief, aber kein Wort für die fand, die seit Jahrzehnten aus Polen und Rumänien anreisen, monatelang von der Familie getrennt den Rücken krumm machen. Voigts ist in achter Generation Landwirt, aus der Lüneburger Heide, seit 2007 in Kremmen. Neben Spargel gibt es Heidelbeeren, Kürbisse und Gänse, auch Getreide, das Milchvieh haben sie abgeschafft. Daneben machen sie in Landmaschinenverleih, das Restaurant mit Terrasse ist jetzt notdürftig durch einen Spargel-Drive-in ersetzt. Ein paar Ansagen ins Nebenzimmer, es geht um die niedrigen Temperaturen, dann setzt er sich an seinen Schreibtisch, zwei große Bildschirme, kurzes Telefonat noch.
Der Hof ist aus der LPG gewachsen, nach einer Pleite übernahmen Voigts und ein Partner, jetzt arbeiten hier 70 Festangestellte, Traktoristen, Mechaniker, Küchenpersonal, Verwaltung. Im Frühjahr kommen eigentlich mehr als 600 Saisonkräfte dazu: Gastronomie, Ernte. Wenn man Voigts fragt, ob das System, das hier 1.000 Tonnen Spargel in der Saison aus der Erde klaubt, wäscht, schält, kühlt und verkauft, nicht auf heftige Unterschiede in Lohn und Lebensumständen baut, antwortet er, dass es schwer sei, die eigenen Verhältnisse auf andere zu projizieren. Erzählt von seinen Besuchen in Rumänien, Polen, der Ukraine, auch von sich, als er in den Semesterferien statt zu VW ans Band lieber in die Ernte ging. Davon, dass die Erntehelfer gerne zurückkämen, Ziele hätten, ein Häuschen, ein Stück Land, einen Trecker, dann würden sie sagen: Schönen Dank für die Jahre, hab’s jetzt erreicht, und nun ist es genug. Draußen auf dem Feld fragt der Fußballfan den Vorarbeiter, wie es mit einer Zigarette wäre. Na ja, auf dem Acker ist sowieso Rauchverbot, wegen der Brandgefahr. Und wenn Nikotin an die Stange und die ausgerechnet in die Qualitätskontrolle käme, wäre es fatal. Der Fußballer rückt an seinem Basecap, sehr braune Gesichtsfarbe, fast weiß gewaschene Jeans. Also keine Zigarette.
Vor zehn Jahren arbeiteten drei Viertel polnische Arbeitskräfte für den Hof, Malte Voigts erzählt, dass es dort jetzt aber mehr Möglichkeiten gäbe, Geld zu verdienen. Nun kämen vor allem Rumänen. Bald wohl Ukrainer. Bauer Voigts’ Geschichte ist die der wirtschaftlichen Entwicklung, wenn man so will, eine der großen Erzählungen der EU: Transfer von Kenntnissen und Technik, steigender Wohlstand. Dass es darunter immer eine Hierarchie, einen Vorsprung gibt, sagt er nicht. Wenn Voigts vorausschaut, sieht er in vielleicht fünf oder zehn Jahren Technik, die Menschen ersetzen könnte. Dieses Jahr, mit weniger Arbeitern und unausgereifter Technik, wäre er über 800 Tonnen Spargel froh, jede weitere würde ihn glücklicher machen. Auch der Vorarbeiter schaut voraus. Streicht durch seinen blonden Bart, auch seine Haare sind hell und länger, mit dem blauen Pullover sieht er aus wie ein Seemann. Lacht, hat nichts Seemännisch-Maulfaules, keine dieser Stadtschichten antrainierter Coolness. Ist zufrieden mit den Kisten, die wir vom Feld bringen. Wendet das Gesicht in den Wind, kneift die Augen zu, sagt, das sei nun das Naturpeeling. Böen greifen nach Sand, zerren an Planen, die wir unter die Bügel geklemmt haben.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.