Am schwarzen Loch

Chemnitz Im August wurde hier ein Mensch erstochen, dann marschierten die Rechten. Jetzt kommt Angela Merkel
Ausgabe 46/2018

Eine große Platte. Fleisch steht bei uns im Mittelpunkt. Lamm, Kalb, Hähnchen, schön verziert, Beilagen, Vorspeisen, zuoberst Früchte.“ Mehmet Ali Tulasoglu, Haare akkurat, graue Schläfen, zieht an seiner Zigarette, reibt sich die Hände, die Sonne steht noch auf der anderen Straßenseite.

Tulasoglu, die Weste so dunkelblau wie Pullover, Hose, Schuhe, greift zum Telefon, wippt mit den Füßen. „Ist das eine politische Frage?“ Nein, ist es nicht: Was er Angela Merkel in seinem Restaurant vorsetzen würde, wenn sie Chemnitz besucht, an diesem Freitag? Tulasoglu schaut auf den Wintergarten, neue Zigarette, sein „Mangal“, gehobene Küche aus Anatolien, an den Wochenenden lief hier nichts ohne Reservierung. Selbst aus Dresden sind sie gekommen, dabei gibt es da fünf türkische Restaurants. Sogar jetzt noch rufen welche an, um zu reservieren.

Tulasoglu ist Gastgeber, will, dass sich die Leute wohlfühlen, satt werden, glücklich. „Mangal-Spezialplatte“ also, „Frau Merkel kommt ja nicht allein, da ist für jeden was dabei“. Tulasoglu wippt mit den Füßen. „All das, worauf wir hingearbeitet haben, hat hier geklappt.“ Blickt auf den Wintergarten, Zigarette, die Türen zum Restaurant stehen offen, beißender Geruch liegt in der Luft. „Selbst vier Wochen später“, er legt das Feuerzeug wieder hin, sucht nach Worten, Ruß an den Händen: „Also, meine Frau und ich haben das noch nicht realisiert.“

Dass da welche in der Nacht die Tür aufbrachen, Benzin über die Sitzgruppe schütteten. Nicht nur ein paar Liter, habe der Brandsachverständige erzählt, sondern 100. Tulasoglu geht voran, leuchtet mit dem Telefon, alles schwarz, verbrannte Polster, Leuchter aus Eisen sind geschmolzen. Er macht einen Schritt, schaut auf die Wand. „Wo sind die hin?“ Wendet sich zu etwas, das eine Sitzbank war, darauf ein Haufen. „Das war ein großer Spiegel.“ Zeigt quer durch den Raum, an der Theke vorbei, rußige Gläser, an Zapfhähnen geschmolzene Schilder, die Kupferfront am Ofen ist schwarz: Auf der anderen Seite hat die Verpuffung die Wand eingedrückt, im Laden daneben kann keiner arbeiten, in der Wohnung drüber hat sich giftiger Rauch ins Zimmer des Kleinkindes gepresst. Die Explosion hatte die Eltern geweckt. Glück.

Abends fangen die Gedanken an

Das Mangal, Straße der Nationen 120, ist hinüber, Tulasoglu hat ein kräftigeres Wort dafür, mit der Spezialplatte für Angela Merkel wird es nichts. In Chemnitz gab es seit Ende August vier Brandanschläge: auf Tulasoglu. Das jüdische Restaurant Schalom. Auf zwei persische Restaurants. LKA und Terrorismusabwehrzentrum ermitteln.

Mehmet Ali Tulasoglu, verheiratet, zwei Kinder, sitzt so auf der Terrasse, dass er durch die Türen in das schwarze Loch schaut. Unter seiner Gesichtshaut arbeitet es. Vor 24 Jahren kam er nach Ostdeutschland, wollte sehen, wie das war, nach dem Sozialismus. Hat immer gearbeitet, Gewerbesteuern gezahlt. Jetzt rufen viele an, reservieren Tische, wollen ihn aufmuntern, von weit her kommen, wieder bei ihm essen; Politiker melden sich, bieten Hilfe an. Zigarette, Schulterzucken. Wieder aufmachen?

So einfach ist das nicht. Mit ein paar Eimern Farbe und ein paar Freiwilligen ist es nicht getan. Vielleicht nicht einmal mit Spezialfirmen. Tulasoglu lehnt Spendenaufrufe ab, weil er eine Versicherung hat. Wippt mit den Fersen, reibt sich die Hände, Feuerzeug. „Wenn abends der Kopf im Kissen liegt, fangen die Gedanken an.“ Dann steht er wieder auf, setzt sich in die Küche, raucht. „Was fehlt, ist, dass die gefasst werden. Was fehlt, ist Klarheit.“

Klarheit. Zehn Wochen nachdem ein bunter Strauß rechter Gruppen aufmarschierte, den Tod eines Menschen für sich vereinnahmte. Zeigen wollte, „wer in der Stadt das Sagen hat“. Das zeigen konnte, weil die Polizei kurzzeitig öffentliche Sicherheit nicht verteidigen konnte. Oder wollte. Weil Hans-Georg Maaßen keine Hetzjagden sehen, Horst Seehofer Migration als „Mutter aller Probleme“ ausmachen wollte. Wo soll da Vertrauen herkommen, dafür, dass die Polizei diesmal ordentlich arbeitet? Klarheit?

Das Mangal liegt an der Grenze zum Sonnenberg, einem komplizierten Viertel, in dem es Armut gibt, Geflüchtete, Eingewanderte, Zugezogene. Und Rechtsradikale. Der Chemnitzer FC hat sein Stadion hier. Wenn man fragt, wie die Dinge so stünden, schlagen alle zunächst Bögen in die Vergangenheit. Sagen, dass sich einiges gebessert hatte, Stadtpolitiker aufmerksamer geworden waren. Vielleicht hatten sie deshalb übersehen, wie gut organisiert rechte Gruppen waren?

„Das hat uns richtig hart in den Magen getroffen.“ Es ist längst spät und dunkel, Franz Knoppe hat noch Geduld, er meint die geballte Machtdemonstration der Rechten. Schon in den 1990er Jahren hatten sich rechtsradikale Gruppen um den Chemnitzer FC gegründet, dienten sich als Bürgerinitiativen an. Gegen Flüchtlingsheime, für Heimat. Organisierten Feste, Konzerte, Hausaufgabenhilfe, wurden Jugendkultur.

Wir sitzen auf dem Fenstersims des Lokomov am anderen Ende des Sonnenbergs, Treffpunkt für Linke, Alternative, Studenten, Künstler. Zwei Sprengstoffanschläge gab es in den letzten Jahren. Knoppe, groß, längere Haare, Nickelbrille, kennt jeden, grüßt jeden, argumentiert genau, widerspricht vorschnellen Urteilen. Erzählt von der autoritären Haltung, die in Sachsen vielleicht tiefer verankert sei als anderswo, bis in Schulen wirke, Knoppe ist Vater. „Man muss das Umfeld bespielen, in dem rechte Organisationen wirken“, sagt er. Sich Themen, Nachbarschaften gezielt vornehmen, beharrlich sein. Franz Knoppe ist einer der Organisatoren des politischen Kunstfestivals, sie versuchen es mit Theater, sozialen Plastiken, Seminaren.

In Chemnitz braucht so ein Festival ein Sicherheitskonzept. Die Polizei schickt regelmäßig eine Streife. Dann zieht ein Golf am Lokomov vorüber, offenes Fenster, laute Musik, drohender Blick, gereckter Mittelfinger. Keiner, der das Kulturzentrum in die Luft jagen wollten, wurde gefasst. Ermittlungen eingestellt.

Dumm sind die Rechten nicht

Man kann von Chemnitz, einer der am schlechtesten zu erreichenden Großstädte in Deutschland, immerhin nach Zwickau fahren, hat dann zwei zentrale Orte in der NSU-Geschichte beieinander. Orte, an denen Polizei und LKA nicht so richtig hinschauen wollten. Zwar rüttelte die Mordserie einige wach. Aber richtig verstehen, dass Chemnitz und die Region ein massives Problem haben, wollten längst nicht alle. Und, sagt Knoppe – wir unterhalten uns über den Tanz der Redner auf Demos hier um harte rechte Symbolik, Provokationen, Ermunterungen zum Widerstand, Referenzen, die 1989 meinen können, aber auch 1933 –, „wir dürfen nicht denken, dass die dumm wären. Weder die Redner noch die meisten, die da mitlaufen.“

Es geht um Gefühle. Also das Gegenteil von Klarheit. Einen Wutrentner, der seinen Namen nicht nennen will, treibt am Freitagabend sein Gefühl, vom Staat und von „denen da oben“ bestohlen zu werden, neben organisierten Kameradschaftlern auf die Straße. Hinterher betet er, Karl-Marx-Kopf im Rücken, eine lange Liste politischer Entscheidungen herunter, erzählt von abgerissenen Häuserblocks, steigenden Preisen, Anwohnerbeiträgen für Straßensanierung, Unternehmern, die Arbeitsschutzgesetze umgingen. Seine Kinder arbeiten, könnten aber den Enkeln von der glitzernden Warenwelt zu wenig bieten. „Und denen gehmse es umsonst.“ Er meint Geflohene.

In einer bald sanierten Straße hinter dem Bahnhof geht die freundliche Kneipenwirtin abends nicht mehr auf die Straße. Angst vor Jungsgruppen, sie nennt sie der Einfachheit halber „die Marokkaner“. Wenn man vorsichtig erwidert, dass ihr sicher viele Männer Komplimente machen, wenn sie durch die vom DDR-Modernismus gut behandelte Innenstadt laufe, sagt sie sehr fest: „Aber nich’ so. Die ziehn ein’ ja fast aus mit den Blicken.“

Banner reichen halt nicht

Was soll man denen, in die sich das Gefühl eingefressen hat, der Staat hätte sich von ihnen abgewendet, erwidern? Die Druck und Schikanen bei Sozialleistungen kennen. Sanierte Straßen? Entlastungen für Banken und Gutverdienende? Dass sich die Zahl der Sexualstraftaten in Chemnitz nicht erhöht hat?

Nadine Rothe, Projektkoordinatorin beim Kunstfestival, hat eher freitagabends Angst auf der Straße. Da kommen Jungsgruppen von der Demonstration der „besorgten Bürger“, wollen noch ein bisschen prügeln. „Ich komme mir lächerlich vor, aber ich klemme mir Schlüssel zwischen die Finger.“ Um wie viel krasser, sagt sie noch, muss das für jemanden sein, der nicht weiß ist?

Immerhin, vielleicht sei der August auch ein Wendepunkt gewesen. Zu Planungstreffen und Veranstaltungen kämen viele, auch Institutionen, die Kunstsammlungen, das Archäologie-Museum, Gruppen, Verbände. Kleine Dinge machen Mut, Arbeitskollegen fahren jemanden mit dem Auto nach Hause, weil der in der Türkei geboren ist. „Seit den Anschlägen kann niemand mehr sagen, dass es ihn nichts anginge. Und Empathie kann man lernen.“

Initiativen gibt es. Im Zentrum kommt man nicht weit, ohne auf Banner zu blicken. „Wir (alle) sind das Volk“ steht da. Klammern und „Volk“ dünsten onkelhaft. Eine Kampagne ruft „Chemnitz ist weder grau noch braun“. Kann man vorbeilaufen, ohne an den Adjektiven zu zweifeln? „Banner reichen halt nicht“, sagt Knoppe, er kennt die Budgets: viel Marketing, wenig Struktur. „Wir müssen hier richtig Geld ausgeben, Stellen schaffen, Dinge grundsätzlicher angehen. Sonst ist das nur Imagepflege.“ Rothe hat für das Kunstfestival zwei Ladenlokale am Sonnenberg betreut. Banner gibt es im Viertel nicht. „Wir müssen viel mehr in Nachbarschaften gehen, Räume zurückerobern. Sonst ist das nur leere Symbolik.“

Im Stadion des Chemnitzer FC liegen Stoffbahnen: Demokratie, Miteinander. Von der Südtribüne schauen Ultras und eingefleischte Fans darauf. Grinsen, rauchen. Reden gleich los, brauchen keine Ich-bin-Reporter-Einleitung, sind überzeugt, dass Fußball und Politik nichts miteinander zu tun hätten, „meine Meinung“. Einer, CFC-Schriftzug in den Hals gestochen, Vereinswappen auf dem Handrücken, sagt, dass viele „von denen“ im Stadion seien. Er meint die Organisatoren verbotener Hooligan-Trupps. Macht einen rabiaten Schwenk, er habe ja nichts gegen jene, die arbeiten würden. Aber solche, die herkämen, um Sozialleistungen abzugreifen: „Gleich ab ins Flugzeug.“ Gerade würde doch Gewerbetreibenden die Bude angezündet? Kopfschütteln, Rauchen. „Ja. Ich kenn die sogar, die das waren. Wollten ’ne Welle schieben.“ Grinst. „War natürlich übertrieben.“

Mehmet Ali Tulasoglu erzählt von der Angst. Die steckt in Sätzen, die anfangen mit „Was wäre“. Wippt mit den Fersen. Solche Sätze hören nicht auf, bis die Täter gefasst würden. Was wäre, wenn beim nächsten Anschlag noch Gäste am Tisch sitzen? Wenn sein Sohn da herumläuft? Hätten Nachbarn auch diesmal Glück? Zigarette. Ein Lokal kann man sanieren. Wie geht man mit dem Schrecken um, wenn da einer käme, der vielleicht so aussähe wie der Reporter, keine Haare auf dem Kopf, unbekannt? „Ich will, dass sich die Leute bei uns wohlfühlen, essen, einen schönen Abend haben. Ohne Klarheit, wie soll das gehen?“

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