DAS MINSK: Ein weiteres Imitat von Hasso Plattner für Potsdam
Museum Kunst, Architektur und Nostalgie: Hasso Plattners Kunsthaus DAS MINSK in Potsdam befindet sich im ästhetischen Replikat eines Gebäudes mit Geschichte. Das passt grandios zu dieser Stadt
Wir müssen über Kunst und Architektur, Stadtraum, Mäzenatentum, Aktivismus und Privatisierung sprechen. Und über die Rolle von Nostalgie. All das kann einen auf einer Terrasse über Potsdam als seltsames Gefühl beschleichen. Die Terrasse gehört zu DAS MINSK in Potsdam, das schreibt sich genau so und ist nach Zerfall und langem Streit Ende September als privates Museum wiederauferstanden.
Bleiben wir erst einmal auf der Terrasse. Hier stehen gute, schwere Metallmöbel, man kann aus dem Café mit der wunderschön gekachelten Bar Espresso mitbringen und ihn auch trinken – in Brandenburg ist so was eine Erwähnung wert. Dann mit der Hand über die Oberfläche der schweren Kunststeinplatten fahren, die die Terrasse begrenzen: Sie si
en: Sie sind poliert und feinporig, schlicht, teuer, von deutlich besserer Machart als im Original. Da wären wir dann bei dem seltsamen Gefühl, man sitzt hier nämlich in zwei Gebäuden gleichzeitig: dem höchstens ästhetischen Replikat eines Gebäudes mit Geschichte.Das ist für sich genommen überhaupt kein Problem und passt ganz hervorragend zu Potsdam: einer Stadt, die unter den Hohenzollern zu Residenz und Garnisonssitz ausgebaut wurde und viele militärische Einrichtungen mit hübschen Fassaden italienisch verkleidete. Dazwischen streute sie norddeutschen Barock, wie etwa die Garnisonkirche, ausgeschmückt mit Beutefahnen von besiegten Truppen.Denkmalschutz gab es nichtIm Zweiten Weltkrieg wurden etliche der oft politisch vereinnahmten Bauten zerstört, dann nahm der Weg zur „sozialistischen Bezirksstadt“ heftige Kurven: In den 1950ern ließ die politische Leitung noch einige Bürgerhäuser penibel wiederherstellen, brach im nächsten Jahrzehnt mit alldem und verordnete Typenbau, um wie auch Frankreich und die BRD alles zur modernen, autogerechten Stadt umzudrehen.In alldem herrschte immer größerer Mangel, an einheitlicher Linie, an Respekt vor Altbauten und Baumaterial. In der Nachwendezeit richtete sich viel Zorn gegen DDR-Bauten, die Stadtregierung ließ sie verfallen, riss ab, schaute lieber zurück: Die Warnung vor dem preußischen Disneyland wurde vielen zur Verheißung.So in etwa kann man auf der Terrasse von DAS MINSK zusammenklöppeln, was sich da vor einem ausbreitet: Zu sehen gibt es allerdings wenig. Denn genau an den Fuß des Brauhausbergs, der obenauf den „Kreml“ trug, die ehemalige Königlich-Preußische Kriegsschule, später Sitz der SED-Bezirksleitung, dann Landtagssitz bis 2013, hat sich ein Riegel geschoben, der mit der Imitationslust Potsdams bricht: Wo einmal eine geschwungene Schwimmhalle stand und bewies, dass DDR-Moderne auch spielerisch leichte Gebäude hinbekam, liegt jetzt ihr viel größerer Neubau in Form und Farbe eines etwas ranzig gewordenen Butterstücks. Den Rest der Sicht verbarrikadiert der zum Einkaufszentrum überbaute Bahnhof. Bis auf das Hotel Mercure, das den Abrissfuror überlebt hat, ist fast alles, was sich über diese Riegel erhebt, Kirchtürme und Kuppeln, Säulen und hochgezogene Firste, Imitat. Genauso wie DAS MINSK.Placeholder image-1Das Minsk war ein Terrassenrestaurant, von dem bis auf ein paar Säulen, etwas Blendwerk aus Metall, einigen Deckenstreben und Fundamenten nichts übrig ist. Es war ein Stahlbetonskelettbau mit Flachdach, helle Sichtbetonbänder markierten das Dach und vorkragende Brüstungen über dunkelrot geklinkerten Mauern. Drinnen ein Restaurant, ein Café und eine Selbstbedienungs-Gaststätte, gestaltet von einem belarussischen Kollektiv, komplett mit Kupferlampen, Wandbespannungen, Mooreiche-Schnitzereien, Tischdecken und Kristallglaseinsätzen in den Fensterflächen.Das Terrassenrestaurant war einerseits eine „Protokollgaststätte“, ein Ort für die Feiern der Nomenklatura, eine Folkloregaststätte, die Küche lieferte für Empfänge außer Haus. Andererseits erinnern sich viele Potsdamer*innen gern, dass sie hier ein Eis bekamen. Der Bau war kühn, ostmodern, sparsam, aber auch ein Unikat, für dessen Eingang die Sowjetunion geflammten Marmor lieferte. Eingeweiht wurde das Minsk 1977 zur Ehrung der Oktoberrevolution. Sieben Jahre früher öffnete in Minsk bereits das Restaurant Potsdam, die Städte hatten den Austausch eingefädelt. Dass die Planungen kaum 30 Jahre nach dem Krieg begannen, in dem die Deutschen Minsk und Weißrussland zermalmten wie kein anderes Land, gehört zum Kontext, der heute fast vergessen ist.All das erfährt man nicht hier, am Brauhausberg, dafür muss man eine kleine Ausstellung in der Stadt besuchen, im Rechenzentrum nämlich, dem vom Imitat-Neubau der Garnisonkirche bedrängen Hort all der kleinen Vereine und Gruppen, die langsam aus dem Stadtbild von Potsdam gewichen sind. Hier liegen Pläne aus, stehen alte Lampen, man kann die recht lapidare Erklärung der Postwende-Stadtverwaltung lesen: Für das Terrassenrestaurant gab es keinen Denkmalschutz. Hier lernt man, dass es nie für politische Unterstützung all der chaotischen, feierfreudigen, gern auch mal anarchistischen Strömungen reichte, die sich unter dem abgenudelten Begriff „zivilgesellschaftliche Gruppen“ sammelten und sich nach der Wende im Terrassenbau ansiedeln wollten. Jetzt ist DAS MINSK ein weiteres Privatmuseum von SAP-Gründer Hasso Plattner.Und damit hinein: Der Grundriss der oberen Etage ist erweitert, von belarussischer Folklore ist nichts übrig, ein Museum ist auch kein Restaurant, braucht also andere Lüftungsanlagen, Sicherheitstechnik, anderen Brandschutz. Der Innenausbau könnte auch zu Hamm passen.Placeholder image-2Paola Malavassi, Kunsthistorikerin und Gründungsdirektorin, kam von der Berliner Dependance der Julia-Stoschek-Sammlung und freut sich immer noch: Es gehe ihr um „Kunst aus der ehemaligen DDR“, sagt sie, konform oder nicht konform, jetzt gerade hängen in der unteren Etage die wundersamen, subtil kritischen Bilder von Wolfgang Mattheuer, oben Stan Douglas, der Mitte der 1990er mit einem Stipendium Berlin und Potsdam besuchte, Schrebergärten fotografierte und den etwas verschnurpselten Film Der Sandmann in den Babelsberger Studios drehte.Douglas, erzählt Malavassi, habe eine „Spannung“ in der Stadt beobachtet, große Investment-Ideen bedrohten Schrebergärten, er streifte mit der Kamera hindurch, hielt sie zunächst für Armutssiedlungen. Auch wenn man die Aufnahmen als Exotismus eines Zugereisten sehen kann, liegt in ihnen prognostischer Gehalt: Douglas ahnte, was sich vielen Potsdamer*innen heute eröffnet – ohne Genaueres darüber zu wissen, fotografierte er die Datschen als Rückzugsräume, weil ein Streit darüber, wie man leben wollte, in der Stadt kaum geführt werden konnte. Seine Fotografien halten den Blick von hier auf die Stadt fest. Er ahnte, dass hier bald eine „Resort Town“ entstehen sollte.Der Kleingarten ist auch bei Mattheuer ein Thema, aus dem will der Nachbar fliegen, verwandelt sich in einen Ikarus, der im nächsten Moment die Technikgläubigkeit der DDR kommentiert, Absturzszenarien in den Blick rückt. Daneben Mattheuers industriell vernutzte Landschaften, er speiste Bilder für den Preis der Wachstumsideologie, der sich auch der real existierende Sozialismus verschrieben hatte, in den Kunstbetrieb ein. Der privilegierte Künstler zeigt an, wie der vorzügliche Katalog formuliert, dass schon damals deutlich wurde, „dass wir fossile Brennstoffe nicht weiter in der Geschwindigkeit verbrennen können, wie wir es bisher getan haben“. Das Unbehagen, das er in den 1970ern festhielt, wuchs. Die Regierung Honecker beantwortete es mit stärkerer Repression.Dass Mattheuers durchpflügtes Gelände, Douglas’ Erinnerung an Schrebergärten jetzt hier hängen, ist eine weitere Drehung an der Komplexitätsschraube. Fotografien von Komposthaufen oben, unten Malerei, bei der Silos, Schornsteine, Kraftwerke den Horizont markieren, Autoscheinwerfer nachts heller als der Mond leuchten und ein alter Genosse gleichsam übrig gelassen hinter einem Zaun um die Datsche steht. Das berührt sich nicht nur im Motiv des Kleingartens, sondern auch darin, dass sie die Privatisierung von Raum ahnen, den Verschleiß von Ressourcen und der Welt. Damit hat Hasso Plattner Geld verdient und Potsdam ein weiteres Imitat gebaut.Placeholder infobox-1
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