Die Dinge des Lebens

Familie Vom Bluestanzen bis zum Roman über die Großmutter und wie sie den Kommunismus sah. Ein Tag mit Zora del Buono
Ausgabe 44/2020

Missverständnis, im Café in der Akademie der Künste sitzt sie nicht. Wohl deshalb: Zora del Buono, geboren 1962 in Zürich kam nach einem Auslandssemester an der Fakultät für Architektur in Amsterdam 1987 nach Berlin. Und zwar in den Westteil der Stadt. Beendete ihr Studium, arbeitete als Bauleiterin, ging auf in der Lesben- und Schwulenszene, gründete mit Freunden das Mare-Magazin, wurde Redakteurin, Autorin, Bluestänzerin und wohl noch vieles mehr – und bei all dem waren die Akademie und ihr Café nun mal im Hansaviertel. Der Reporter wohnt im Prenzlauer Berg, kurzer Blick ins Hauptgebäude am Pariser Platz, Telefon, tja, noch einmal aufs Rad.

Zora del Buono lacht, so tief stecke Westberlin in ihr, und gar nicht als bleierne Zeit der Michael-Schmidt-Fotografie, sondern als Aufbruch. Aufatmen nach dem Zwingli-Protestantismus Zürichs, Weite nach der Kleinteiligkeit Amsterdams. Ihr fröhliches Lachen zeigt: Damit wird Zürich nichts genommen und Amsterdam auch nicht.

Ein Portrait kann aus verschiedenen Gründen kompliziert werden. Wenn sich das Gegenüber zurückzieht, nichts preisgibt, jeden Millimeter unter Kontrolle haben will, Misstrauen über das Gespräch kippt. Gleichermaßen schwer, aber viel vergnüglicher wird es am anderen Ende der Skala: Zora del Buono sitzt da und ist ganz und gar sympathisch, zugewandt, interessiert, lacht, erzählt dem Bluestanz-unerfahrenen Reporter vom Bluestanz, seltsames Hobby nämlich, wenn man die Ursprünge bedenkt, immerhin heiße es nun nicht mehr „Mann“ und „Frau“, sondern geschlechterfrei „Führen“ und „Folgen“. Tatsächlich hat jemand mal gefragt, ob weiße Mitteleuropäer ihn überhaupt tanzen dürften. Beantwortet sie lächelnd mit „Ja“.

Großmutters Heroe: Tito

Und Zora del Buono fragt viel, wie der freie Reporter einer wurde (aus Mangel an festen Alternativen), wie er sich dabei schlägt (schlecht); erzählt von ihrer Zeit als Bauleiterin, in der ihr Herz mit den Handwerkern schlug und nie mit den Bauherren (schwierig), von der Mare-Gründung und ersten Büchern (toll). Das klingt kurzweilig und leicht. Allerdings: Für die Flüge zur Universität nach Zürich ging sie putzen. Auffallend: Ihr vorbehaltloser, ironischer Blick auf sich selbst, auf Positionen, die sie einmal vertrat, heute anders formulieren würde. Oder so etwas: Zora del Bueno erzählt vom Glück, das Westberlin für sie war, mit dem sie 1989 längst nicht fertig sein wollte und das ihr durch die Maueröffnung, all die Aufregung, die sich rasch zerstreuenden Milieus, ein wenig verhagelt wurde. Ganz grundsätzlicher Eindruck – es gibt nicht viele Autor*innen, die mit so unaufgeregter Freude über ihre Arbeit sprechen. Nicht selten herrscht in solchen Gesprächen eine nah-suizidale Stimmung, Themen sind Bezahlung (so lala), Lektorate (hastig oder fehlend), das Regelkorsett von Markt und PR, die Nischen, in denen man gefangen sei, das Gockelspiel der Kritik. Del Buono dagegen scheint ihre Bücher als Versuche zu sehen, Ideen, Experimente. Schaut auf sie zurück wie auf Jahresringe.

Hier sollte es langsam um Die Marschallin gehen, Zora del Buonos vierten Roman, gerade bei C. H. Beck erschienen. Aber sie fragt nach Theater, wir schweifen ab, über ihre Erfahrungen beim Film, nach der Architektur studierte sie noch Film-Szenografie in Rosenheim (nicht einfach), merkte bei ihrer einzigen Produktion, dass sie für die Eitelkeiten im Gewerbe keinen Sinn hatte. Es ist eine ganz interessierte Unterhaltung, ein Erkunden von Territorien des jeweils Anderen, ein Austausch über Erfahrungen. Und überhaupt stellt Zora del Buono nach rund zweieinhalb Minuten ihre Kaffeetasse ab und die entwaffnende sowie portrait-verunmöglichende Frage: „Wollen wir uns nicht duzen? Wenn es für das Interview besser ist, können wir es lassen, aber es wäre doch sehr anstrengend.“

Anstrengend wird es sowieso nicht, ein paar konzentrierte und gelassene Stunden, nur wenn ihr Hund auf der Caféterrasse vor irgendjemandem Reste seiner Teichnässe auszuschütteln droht, hält sich Zora del Buono die Hände vors Gesicht, weil ihr das sehr un-berlinerisch peinlich ist. Nun aber, Die Marschallin. Tatsächlich die Geschichte ihrer Großmutter, eine Frau von einiger Energie und einigen Ecken. Hieß ebenfalls Zora Del Buono, das große D hatten sie ändern lassen, kleingeschrieben wird in Italien der Hinweis auf aristokratische Abstammung, die Großmutter wollte mit dem Nachnamen Nähe zum Proletarier suggerieren. „Kommunismus ist Aristokratie für alle“, den Satz des spanischen Dramatikers Ramón Maria del Valle-Inclán legt ihr die Enkelin in den Mund, die Großeltern sind Mitglieder der Kommunistischen Partei Italiens, vereinen das mit einem großbürgerlichen Lebensstil. Nur echt mit ausschweifenden Empfängen, Personal, sicher auch Diskussionen, aber vor allem eine romantische Vorstellung von Kommunismus und, später, Partisanenkampf.

Es müsse eine Art Polit-Theater gewesen sein, sagt die Enkelin heute. Die Großmutter steht im Zentrum der Erzählung, an die sich die Enkelin mit dem Handwerkszeug der Recherche annäherte, aber auch dem Verständnis, dass es hier nicht um Journalismus geht. Sondern um Familie, weshalb Fiktionalisierung auch einen schützenden Mantel über manches werfen kann. Jedenfalls ging Enkelin Zora ursprünglich der Familienschnurre nach, dass ihr Großvater als Arzt und Radiologe Josip Broz Tito – einer der Heroen der slowenischstämmigen Großmutter – das Leben rettete, sogar nach Moskau eingeflogen sei, als Tito bei Stalin weilte und um sein Leben fürchtete. Bei der Recherche verschoben sich die Dinge, die Tito-Anekdote verlor an Gewicht.

Und so wechseln die Farben im Text, wir blicken aus verschiedenen Perspektiven auf die Großmutter, hüpfen durchs Zeitgeschehen. Der Roman besteht aus zwei Teilen, ein Zeitraum von Mai 1919 bis zum September 1948, von den Nachwirkungen der Schlachten im slowenisch-italienischen Isonzotal bis zum Ende dessen, was Historiker den Abschluss einer „Wiederherstellung der Demokratie in Italien“ nennen. Der zweite Teil ist ein Monolog im Februar 1980, Rückblick der Großmutter aus einem Altersheim in Nova Gorica auf das Familienunglück. Die dräuenden Hinweise des Prologs lösen sich auf, wobei das Ereignis selbst einer Art Implosion aller Werte gleichkam: Zora del Buono hat bei der Recherche einen misslungenen Banküberfall durch einen Kader der Kommunistischen Partei Italiens ausgegraben. Ihm kommen Angestellte in die Quere, er erschießt sie mit der Waffe von Zora senior, die Polizei verhaftet Unschuldige, die Familie der Unschuldigen zerbricht, eine junge Frau begeht Selbstmord – Scham, Ruin, Vertreibung.

Mit ihr durch die Zeit

Eine kolossales, persönliches Unrecht also, eine Prüfung für possierliche Vorstellungen der „freudvollen, egalitären, kommunistischen Gesellschaft“. Die Konsequenzen lassen sich metaphysisch deuten oder als bürgerliche Ängste. Jedenfalls ist die Figur der Zora Del Buono ein Zeitbild, in der Ethos viel mit Abenteuerfantasie zu tun haben konnte. Romantische Bilder vom Kommunismus ließen sich damit kombinieren, das Personal schlecht zu behandeln, unempathisch über Sorgen von Familienmitgliedern hinwegzusehen. Und auf die Probe gestellt, war es nicht weit her mit dem Anspruch an Gerechtigkeit: Die Großeltern Del Buono und wer immer vom Mord in der Bank wusste schwiegen aus Selbstschutz. In seinem Innern dreht sich der Roman um den unausgefüllten Anspruch, vielleicht ist er ein Erkunden dessen, was zu unserer utopielosen Gegenwart führte. Noch im Altersheim hält Zora Del Buono an der Loyalität zu Tito fest, dagegen wirkt ihre Erkenntnis, Unrecht zugelassen, sogar befördert und vor der Gewalt gekuscht zu haben, fast schizophren. Geblieben ist ihr die Mäkelei an der Ästhetik des Kleinbürgersozialismus, und mit Blick auf Italien ist die schlechte Laune auch biografisch begründet: 1948 schmiss die KPI die Del Buonos hinaus, der Mörder war zur einflussreichen Figur aufgestiegen, drangsalierte die Familie, schielte auf das von der Großmutter entworfene Haus in Bari. Zora del Buono macht es uns leicht, mit den Figuren durch ihre Zeit zu gehen. Manchmal ballt sich einiges an Referat, die Werturteile der Großmutter, aber auch anderer Personen sind kräftig, nicht selten schimmert die auktoriale Autorin durch. Zora del Buono erschrickt kurz, sympathisches Nachdenken: „Vielleicht bin ich selbst so.“ Der Reporter rudert zurück, Urteile erscheinen ihm als Teil von Diskussionsfreudigkeit und nicht dogmatisch. Del Buono zuckt mit den Schultern: „Aber ein schöner Charakterzug ist es nicht.“ Und die Urteilsfreude passt zur Großmutter, die Schwiegertöchtern und Frauen im Allgemeinen misstraut, verschwenderisch ist, wohl auch herrisch. Der Roman spielt in einer Zeit, in der persönliches Verhalten kaum gegen politische Moral gerechnet wurde. Wie sehr die Enkelin ein Gegenbild ist, zeigt sich, wenn sie auf kompositorische Anmerkungen ernsthaft eingeht – ursprünglich hatte sie die Struktur anders geplant, ließ sich von Freunden, Agentin, Lektoren beraten –, reagiert weder defensiv noch hellhörig auf mögliche Kränkungen: Sagt, dass man in all dem auch „die Unsicherheit einer Autorin“ erkennen könne. Dann, auf dem Weg zum Parkplatz, sprechen wir unvermittelt über unsere Mütter, die Notwendigkeit, früh Zeichen des Alters ernst zu nehmen. Der Reporter denkt an Die Marschallin, Selbstgespräch, Nova Gorica 1980: „Sie sagen, das Alter habe seine Vorzüge, wie jede Lebensphase ihre Vorzüge habe. Man behauptet, Weisheit trete ein und erweitere dein Denken. Was eintritt, ist aber nur die Gewissheit, dass die Fehler, die du begangen hast, sich nicht wiedergutmachen lassen. In jüngeren Jahren kannst du dir einreden, du könntest irgendwann, später, im Laufe der Zeit, eigentlich jederzeit, die Dinge wieder geraderücken. Im Alter weißt du: Das war eine Illusion.“ Verabschiedung, Zora del Buono dreht sich auf dem Absatz, feine Ironie im Gesicht, fragt: „Sicher, dass du genug Material hast?“

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