Unterm Pflug

Beschädigung Ein Spaziergang mit Autor Zoltán Danyi ist auch ein Ritt durch die blutige Geschichte des Balkans
Ausgabe 49/2018

Und dann ist da noch die Frage nach den Rosen. Wir sind zurück in der Einfahrt des prächtigen Literarischen Colloquiums in der Villenkolonie am Berliner Wannsee, und tatsächlich, Zoltán Danyi, 1972 in Senta geboren, hager, Resthaare kurz, schmale, fast zarte Figur, lächelt. Vielleicht ist es sein erstes ausgiebiges Lächeln, wir sind über eine Stunde gelaufen, Danyi macht langsame, kurze Schritte, dreht die Fußspitzen ein wenig nach außen, tritt eher auf die Ferse: Es geht nicht um die Strecke, sondern um Gehen als Grundlage für Nachdenken, Erzählen.

Zoltán Danyi ist Lyriker und eben Rosenzüchter, ernstes Gesicht, versinkt fast in seinem schwarzen Armee-Parka, denkt nach über die Fragen, wendet sie, kommt auch noch einmal auf etwas zurück, das er vorhin gesagt hat, oder vielleicht am Tag davor, da saß er auf der kleinen Bühne vor Schmucksäulen im LCB, sein Roman Der Kadaverräumer wurde vorgestellt ... und man konnte merken, dass ihm nicht ganz wohl auf seinem Platz war.

Heute morden

Sehr wohl aber ist ihm mit seinem Roman-Debüt. Dabei sei es beinahe nebensächlich, dass der Roman veröffentlicht, gelesen und sogar mit Preisen behängt wurde, das Schreiben selbst habe ihn entschädigt, Danyi erzählt vom Experimentieren, Improvisieren, selbst wenn ihm in den fast sechs Jahren die Lyrik abhandenkam, wenn er kaum Literatur lesen konnte, nicht einmal Péter Nádas, den er tief verehrt. Höchstens Proust und Beckett. Dichten konnte er auch nicht mehr, an die Stelle der Lyrik, des ausgefeilten Schreibens, hatte sich ein rauschhafter Sog gesetzt, ein Spiel mit Rhythmen, Tönen. Wir gehen langsam, Danyi beschreibt die Jahre als hellwache, aufgeregte, entrückte Phase. Kurze Schritte, dann sagt er, dass er sein Leben in der Zeit geliebt habe, sich manchmal danach sehne.

Wenn man jetzt anfügen würde, dass Der Kadaverräumer ein drastischer, auch bitterer, mit Gewalt und Sexualität aufgeladener Roman über „jene alles verwüstenden, alles ausbeinenden Jahre“ des Jugoslawienkrieges ist, hätte man eine gute Pointe. Allerdings träfe die nicht den Kern, Danyi wiederholt das, er wollte keinen Roman über den Krieg schreiben, nicht über die Beschädigung und Neuordnung der Region. Sondern eine Liebesgeschichte. Und, das ist dann tatsächlich eine noch bessere Pointe, eine Liebesgeschichte zwischen einer Kroatin und einem Serben. Nüchtern, minimalistisch. Nur ist davon nicht viel übrig geblieben: „Ich war wohl verurteilt dazu, über den Krieg zu schreiben.“

Zur Person

Zoltán Danyi wurde 1972 in Senta/Jugoslawien geboren. Er studierte Philosophie und Literatur in Novi Sad und Szeged. 2003 debütierte er als Lyriker und veröffentlichte Gedichte und Kurzgeschichten. Nach einer Promotion arbeitete Danyi als Lektor und Hochschullehrer. Sein erster Roman Der Kadaverräumerwurde von Büchner-Preisträgerin Terézia Mora ins Deutsche übertragen und erschien 2018 im Suhrkamp Verlag (251 S., 24 €). Danyi, der zur ungarischen Minderheit in Serbien gehört, lebt als Rosezüchter in Senta

Senta liegt in der Vojvodina, Schlachtfeld im großen Türkenkrieg, Königreich Ungarn und Teil von Habsburg, nach dem Ersten Weltkrieg Königreich Jugoslawien; deutsche und ungarische Truppen nahmen die Region 1941 ein, errichteten ein brutales Regime, massakrierten vor allem Juden und Serben, bis die Rote Armee und Titos Partisanen kamen, Nebengeräusche waren Übergriffe auf Donauschwaben und Ungarn. Eine Geschichte also, in der unter hin und her wogenden Standarten gemordet, geplündert, vergewaltigt wurde, und wenn Zoltán Danyi sagt, dass der Boden in der Region hart sei wie Beton, dann denkt man, dass auch das mit der Geschichte zu tun hat.

Und weil das alles noch nicht genug oder einfach zu viel war, fuhr Zoltán Danyi selbst, nachdem er ein paar Jahre im ungarischen Szeged den serbischen Militärdienst hatte umkurven können, eines Tages zurück nach Serbien, marschierte mitten im Krieg in die Behörde, um sich zum Militärdienst zu melden, „eine Art Wahn vielleicht“, erzählt er, Laub zu unseren Füßen, er habe sich unwohl gefühlt, fehl am Platz in der geordneten ungarischen Stadt, in der es den Menschen gut und immer besser gegangen war und in der ihm selbst sein Leben stillzustehen schien. Das hatte ihn unruhig gemacht, eine Spannung hatte sich aufgebaut, irgendwann hielt er es nicht mehr aus, wollte den Krieg hinter sich bringen; wenn es sein musste, eben als Soldat.

Welchen Pass hat der Ćevap?

Nur saß in der Behörde ein kleiner Mann mit stechendem Blick und sagte so etwas wie: „Sie können hier nicht einfach hereinkommen und Soldat werden“, er solle in drei Monaten zurückkommen, dann gäbe es eine Musterung. „So lange hat dieser Wahn dann nicht angehalten.“ Danyi ging nicht zur Musterung. Er grinst. Über die Frage, ob der Wahn und die Spannung, die ihn in die Behörde und fast in die Armee trieben, der Phase ähnelten, in der er schrieb, denkt er eine längere Weile nach, er lächelt fast.

Und so ist nicht ein Krieg Kern des Romans, sondern Fragen von Moral, Gewalt, Macht, sind prekäre zivilisatorische Übereinkünfte seine ästhetischen Elemente, die durch einen riesenhaften Fleischwolf gepresst werden, an dessen hinterem Ende Textflächen herauskommen, mäandernde Sätze des namenlosen Protagonisten, gedacht, gemurmelt, ins Glas mit Eiswürfeln oder gegen das Lenkrad eines Wagens im Stau gesprochen, Beobachtungen, Enttäuschungen, irrsinnige Vorstellungen; eine Zerrissenheit, in der sich die Region selbst und die Unmöglichkeit, Kriege zu beenden, spiegeln; ein Gemenge, Danyi denkt eine Weile im furztrockenen Berliner Herbst nach, das dazu geführt habe, dass für viele Menschen auf dem Balkan irgendwie die Zeit stehen geblieben sei: „Auf eine seltsame Weise sind wir keine richtigen Kinder, aber auch keine richtigen Erwachsenen.“

Im Rhythmus der Schritte muss man unbedingt an die Beischlaf-Fixiertheit des namenlosen Protagonisten denken, oder den kindischen Streit über den Ćevap: ob der türkisch sei, serbisch, ob die Bosnier ihn versaut hätten – ein bedrohliches Spiel, unterspült von Aggression und Nationalismus, ein Geplänkel, unter dessen Oberfläche sich schon die Bewaffnung abzeichnet.

Den Roman durchpflügen Traumata, Wunden, existenzielle Leere, zerhäckseln jeden Versuch einer These und eines Überblicks, die Splitter beschleunigen sich im Wirbel von Interessen, Machtverschiebungen – und reißen den Leser mit. Danyi kaut an einer fast banalen Erkenntnis, wir gehen hinter der Wannsee-Anlegestelle an friedlichen Ruderclubs vorbei: „Von einer bestimmten Perspektive aus sind sich Menschen sehr ähnlich. Im Jugoslawienkrieg hätte jeder Opfer sein können, oder Täter. Er hätte getötet werden können, er hätte aber auch töten können.“ Später wird er sagen, dass diese Sätze vollkommen falsch seien, dass viele unter keinen Umständen hätten töten können. Geblieben ist ihm der Verdacht, dass Ruhe, vielleicht Herbstsonnenschein, eine stabile Ordnung fragil sind. Er sucht nach einem Wort, das all das beschreiben könnte, Fußspitzen nach außen. Schicksal? Zu schwach.

Das Ergebnis sind atemlose Selbstgespräche des Protagonisten, gewesener Benzinschmuggler und eben Teil eines Entsorgungskommandos für Tierkadaver, Soldat, Beobachter und Gelegenheitsarbeiter für einen kunstsinnigen Kriegsgewinnler. Irgendwann landet er an einem morastigen Abgrund, im Bach Säcke mit entsorgten Leibern, der Gestank des Todes, der Schlick der Geschichte versaut die Hose, und ihm müssen alle Versuche, Fäden zu entwirren, die sich quer durch die Region ziehen, Wahrheiten gegeneinanderzustellen, heillos vorkommen: „... und so wird er vermutlich nie erfahren, was es genau war, in das er da hineingeraten war, was für Zielen, was für Interessen er in Wahrheit diente (...), so weit war er sich ganz sicher, dass während des Krieges die Benziner die Armee mit Kraftstoff versorgt hatten, gleichzeitig schien es auch recht offensichtlich zu sein, dass die Armee regelmäßig verlässliche, erprobte Männer zu den Kadaverräumern delegierte, die dafür dann natürlich der Armee einige Gefallen erwiesen, und da die Mehrheit der Fäden zum Krieg führte, hätte er sich auch leicht vorstellen können, dass gerade der Krieg selbst die größte Schiebung war, denn was, dachte er, wenn es bei diesem Ganzen gar nicht um auf Wände und Panzer gemalte Wappen ging, sondern um etwas ganz anderes, zum Beispiel um die Engel, die heruntergestiegen waren zu ihnen, um zu zeigen, wie das ist, wenn das Himmelreich einen Turbo bekommt … es ist natürlich eine andere Frage, was diejenigen dazu sagen, die vergewaltigt, gedemütigt und gefoltert wurden, dachte er, und es ist wieder eine andere Frage, was die sagen würden, wenn sie sprechen könnten, die man erschlagen, ermordet oder hingerichtet hatte, nur, weil sie Serben, Kroaten oder Bosnier waren, wenn nämlich der Krieg nicht um die Wappen geführt wurde, sondern um etwas anderes, dann sind sie nur versehentlich, wegen eines dummen Missverständnisses gestorben … aber wenn das wirklich so ist, wenn also wirklich nur die Engel ihre Späße mit ihnen getrieben haben, dann hat die Wirklichkeit sicherlich verschiedene Schichten, und in dem Fall hat jede Schicht ihre eigene Wahrheit, und es kann sein, dass diese aufeinander aufbauenden Schichten und aufeinander aufbauenden Wahrheiten die sogenannte Wirklichkeit ergeben, die man gerade wegen dieser vielen Schichten nicht ganz durchschauen kann, und deswegen kann man sie in ihrer Gesamtheit auch nie verstehen, dachte er und blieb stehen, um einen trockenen Zweig abzuschütteln ...“

Und dann stehen auch wir, vor dem Literarischen Colloquium, Zoltán Danyi hat eine Weile nachgedacht, erzählt, dass Rosenzüchten im Familienbetrieb seiner Eltern eine Art rationale Lösung für ein Dilemma war, in das sein Leben geriet. Und ein Kampf mit dem Boden, dem Wetter, den Umständen. Er lächelt noch einmal über das ganze Gesicht. Deshalb sei Rosenzüchten nicht nur ein Verlegenheitsjob, sondern ein ganz guter Ausgleich zum Schreiben.

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