Afrikas Kunst verschwindet immer noch

Zwischen Durban und Dakar Unsere Kolumnistin erlebt in Windhoek eine berechtigte Wut
Ausgabe 09/2020
Afrikanische Kunst, ausgestellt im Auktionshaus Sotheby’s in London
Afrikanische Kunst, ausgestellt im Auktionshaus Sotheby’s in London

Foto: Tristan Fewings/Getty Images for Sotheby’s

Nicht länger dürfe das kulturelle Erbe Afrikas Gefangener europäischer Museen sein. So sprach der französische Präsident Emmanuel Macron und stieß damit eine Debatte über die Restitution kolonialer Raubkunst an. Um die Rückgabe von Kulturschätzen drehte sich auch eine panafrikanische Konferenz in Windhoek, an der ich vor ein paar Monaten teilgenommen habe. Aber dabei ging es nicht nur um Kunstschätze der Vergangenheit.

„Wir müssen uns fragen, wer vom Boom zeitgenössischer Kunst des Kontinents profitiert“, meinte Valerie Kabov, als wir uns in der Kaffeepause treffen. Wir sind uns schon mehrmals begegnet, auf Kunstmessen und in Harare. Ausgerechnet in der simbabwischen Hauptstadt führt Kabov eine Galerie, trotzt Hyperinflation und Repression zugleich. Sie ist eine ausgewiesene Kennerin des Kunstmarkts Afrikas. Der krankt noch immer an einem Nord-Süd-Gefälle.

„Die wichtigsten Kunstsammler leben nicht auf dem Kontinent“, bemängelt Kabov. Auch die „größten und repräsentativsten Sammlungen“ zeitgenössischer afrikanischer Kunst fände man nicht etwa in Museen in Kapstadt, Nairobi oder Dakar, sondern in der Tate Modern in London und im Smithsonian Museum in Washington. Zwar wird diese Kunst mittlerweile nicht mehr geraubt, sondern rechtmäßig erworben. Das Resultat jedoch bleibt: Afrika erlebt auch heute, in der postkolonialen Ära, einen Kunst-Schwund.

Das sei gleich in mehrerlei Hinsicht problematisch, führt Kabov nach der Kaffeepause bei einem Workshop mit Künstlern, Museumsmachern und Wissenschaftlern aus. Zustimmendes Nicken. Viele Werke sind in der Heimat der Künstler nie zu sehen. Damit verpassen ihre Landsleute nicht nur wichtige gesellschaftskritische Kommentare, sondern verlieren langfristig auch ein Stück Kulturgeschichte. Dazu kommt: Künstler orientierten sich oft an den Wünschen des Marktes, auf Kosten der Authentizität.

Die Euphorie über den globalen Siegeszug afrikanischer Kunst, fährt Kabov fort, verschleiere, wie es um lokale und regionale Kunstförderung sowie Kulturinstitutionen bestellt sei. Obwohl neue Galerien und Museen entstehen, bestehe großer Entwicklungsbedarf. Das ist nicht nur eine Kritik am Westen, an der es bei dieser Konferenz ansonsten nicht mangelte. Die meisten afrikanischen Museen krankten nicht nur an winzigen Budgets, kritisiert Kabov, sondern ebenso an einer fehlenden Strategie für Neuerwerbungen.

Auch Regierungen setzten falsche Prioritäten. Etwa: Die Teilnahme Simbabwes an der Biennale in Venedig. „Das war Geldverschwendung“, sagt die Galeristin scharf. Ein Raunen geht durch den Saal. Kabov führt aus: Simbabwe habe für den prestigeträchtigen Pavillon etwa einhundert Mal so viel ausgegeben wie für die Kunsterziehung im Land.

Es muss sich wohl noch einiges ändern, wenn auch der afrikanischen Gegenwartskunst der Ausbruch aus ihrem europäischen Gefängnis gelingen soll.

Leonie March, freie Korrespondentin im südlichen Afrika, schreibt diese Kolumne im monatlichen Wechsel mit Odile Jolys (Dakar), Sarah Mersch (Tunis) sowie Andrea Jeska (Ostafrika)

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