Noch vor der Gleichstellung in Deutschland erklärte der taiwanesische Oberste Gerichtshof im Mai 2017 das Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen für unrechtmäßig. Da hatte die deutsch-chinesische Regisseurin Lucie Liu die Dreharbeiten zu ihrem Film Taipeilove* fast abgeschlossen. Der Dokumentarfilm zeigt ein breites Panorama der LGBT-Community in Taipeh, der Hauptstadt Taiwans. Anhand der Geschichten ihrer Protagonisten Sarah, Kevin und David und mithilfe von einigen Experten zeichnet Liu ein umfassendes Bild der Situation am nunmehr wohl LGBT-freundlichsten Ort in ganz Asien.
der Freitag: Frau Liu, Sie sind 2017 nach Taiwan gereist, um einen Dokumentarfilm über LGBT zu drehen. Wie sieht die Situation nun konkret aus?
Lucie Liu: Die jüngere Generation kann sehr offen schwul und lesbisch sein. Natürlich gibt es familiäre und traditionelle Hindernisse. Allerdings ist man nirgendwo in ganz Asien so frei in seiner Sexualität wie in Taiwan. Man hat nirgends die Möglichkeit, einfach so offen Händchen zu halten, sich zu küssen oder im Freundeskreis schwul oder lesbisch zu sein. Es ist ein guter Zeitpunkt für den Film, weil ich so die Möglichkeit habe, Menschen, die noch nie in Taiwan waren, die Situation nahezubringen.
Warum hat Taiwan diese Sonderrolle in Asien?
Das ist eine exzellente Frage. Ich würde sagen, es liegt daran, dass Taiwan eine Bottom-up-Demokratie ist. Bis 1987 stand das Land unter Kriegsrecht. Ab 1986 gab es Bestrebungen, eine Oppositionspartei zu gründen, was damals noch nicht erlaubt war. In den Zeitungen wurde der Wille der Bevölkerung abgebildet, in eine Demokratie überzugehen. Im Zuge dessen wurden beispielsweise auch Frauenrechte immer mehr thematisiert. Das Bedürfnis nach Demokratie und Offenheit ist sehr stark in dieser Gesellschaft. Weil die Menschen dafür gekämpft haben. Ich glaube, dass daraus auch die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe resultiert.
Wie kamen Sie dazu, diesen Film zu machen?
2016 habe ich in Taiwan gelebt und war auf der Gay Pride Parade, der größten in ganz Asien. Dort habe ich einen jungen Koreaner und einen jungen Japaner kennengelernt. Sie haben mir erzählt, dass die paar Tage, die sie auf der Pride sind, die einzige Zeit ist, in der sie wirklich sie selbst sein können, was ihre Sexualität und Identität angeht. Und das hat mich inspiriert, weiterzuforschen. Ich würde die beiden unglaublich gerne mal wiederfinden, um ihnen zu sagen, was sie da ausgelöst haben. Ich bin dann nach Berlin zurückgekehrt und habe überlegt, wie man das für ein westliches Publikum, das noch nie in Taiwan war und nichts davon weiß, aufbereiten könnte.
Und dann?
Ich habe mich einen Monat lang gefragt, was ich da eigentlich mache. Dann habe ich meine Freunde gebeten, mir jeden vorzustellen, der schwul oder lesbisch ist, und habe angefangen, mich mit sehr vielen Leuten zu treffen. Die haben dann recht ähnliche Dinge erzählt: Probleme mit der Familie, mit Traditionen. Ein krasser Fall war ein schwuler Mann, der mit einer Frau verheiratet war, weil die Eltern es wollten.
Zur Person
Lucie Liu, geboren 1993 in München, studierte in Freiburg Politikwissenschaften und derzeit an der Berliner UdK Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Sie hat in Taiwan, Spanien, China und Deutschland gelebt
Im Film wird über sehr intime Themen gesprochen. Wie sind Sie an die ProtagonistInnen gekommen?
Ich hatte sehr viele Leute, die gepasst hätten, aber die haben abgelehnt, weil sie ihr Coming Out ihrer Familie gegenüber noch nicht hatten oder Repressalien fürchteten. Schließlich hat mir eine Bekannte eine Liste von fünf Leuten gegeben, unter denen war Sarah, meine Hauptprotagonistin. Die hat mir dann Kevin und David, die anderen beiden Protagonisten vorgestellt. Und so kam eins zum andern. Die Experten und Expertinnen habe ich gefunden, weil sie einfach von den Interviewpartnern immer wieder erwähnt wurden.
Wie haben Sie vor Ort Leute gefunden, die bei der Produktion mitarbeiten konnten?
Es gibt auf Facebook Gruppen, da habe ich reingeschrieben und dann die Spreu vom Weizen trennen müssen. Aber irgendwann hatte ich einen großartigen Kameramann. Wir haben mal im Team über unsere Motivation gesprochen, und er hat gesagt: Ich will, dass meine Tochter in einer Gesellschaft aufwächst, wo es völlig egal ist, wen sie liebt. Das fand ich extrem rührend. Auf der anderen Seite hat er mir erzählt, dass er, als er jung war, selber schwule Jungs in seiner Schule gemobbt hat. Der hat das auch ein bisschen als Wiedergutmachung verstanden.
Das klingt alles ziemlich improvisiert.
Total! Jeden Schritt, den ich gemacht habe, habe ich zum ersten Mal gemacht. Nichts war routiniert, sodass ich sagen konnte: Okay, sowas geht schief, ist in Ordnung. Jedes Mal war die Frage: Was kann ich jetzt tun? Wo kann ich mir Hilfe holen? Wie kann ich damit umgehen? Aber diese Naivität war auch ein Vorteil! Dass man nicht weiß, wie schlimm es eigentlich werden kann, hilft einem dabei, solche Dinge zu machen.
Im Film werden Demonstrationen christlicher Gruppen gezeigt, die massiv gegen die Ehe für alle mobilisiert haben. Christen machen allerdings nur zwei bis vier Prozent der Bevölkerung Taiwans aus. Bei einem Referendum sind aber sieben Millionen Stimmen gegen die Öffnung zusammengekommen. Worauf basiert im Rest der Bevölkerung diese große Ablehnung?
Die Frage muss man zweifach beantworten. Zum einen ist es so, dass diese Christen auf sehr viele Ressourcen zurückgreifen können, weil sie von amerikanischen Kirchen Geld bekommen. Die haben wahnsinnig viel Propaganda betrieben. Andererseits ist ein ganz großer Faktor die Bildung. Das Verständnis dafür, dass es Homosexualität gibt, war lange überhaupt nicht da. Das Thema Homosexualität wurde mit schwulen Männern, die Party machen und Drogen nehmen assoziiert – und Aids. Das war die direkte Assoziationskette. Ressentiments sind leicht zu bedienen, wenn schon Unsicherheit und Unklarheit da sind.
Welche Rolle spielt die Familie in der Gesellschaft Taiwans?
Die Idee, dass schwule oder lesbische Paare nicht dazu in der Lage wären, Kinder zu bekommen, ist sehr präsent. Kinder sind die Menschen, die für ihre Eltern sorgen, weil es teilweise kein soziales Netz wie in Deutschland gibt. Und natürlich die Familienlinie: Der Name muss weitergetragen werden.
Wie wird es jetzt weitergehen mit dem Film?
Er wird bei einem Filmfestival in Taiwan gezeigt und ich reiche ihn auch bei vielen anderen Festivals ein. Mein persönliches Anliegen ist allerdings, ganz viele Universitätsscreenings zu machen, weil Filmfestivals wahnsinnig exklusiv sind. Ich baue gerade Kontakte auf mit Universitäten, hauptsächlich in Südasien und Südostasien, und will meinen Film da zeigen. Wenn auch nur einer dieser Studierenden merkt, man kann was verändern, dann ist das Soll schon erfüllt. Dieser Film wird mir kein Geld einspielen, darum geht es schon lange nicht mehr. Er soll eine Form sein, anderen asiatischen Ländern zu zeigen, „change is possible“. Und meine große Hoffnung ist, dass er irgendwann vielleicht mal Einfluss auf Schwule und Lesben in China haben wird. Das wäre so schön.
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