„Ihr Gegner ist Amerika“

Sachbuch Spezial Die Neue Rechte marschiert getrennt und schlägt vereint zu, sagt Volker Weiß. Der Historiker hat ein extrem beunruhigendes Buch zum Thema veröffentlicht
Ausgabe 12/2017

Die Neue Rechte agiert smart. Sie hat die Subkultur, einst Ausweis linken Protestes gegen das Establishment, geschickt gekapert und bietet sich als die „neuen 68er“ an. Der Historiker Volker Weiß arbeitet in seinem Buch heraus, aus welchen intellektuellen Quellen sich rechtsradikales Denken heute speist.

der Freitag: Herr Weiß, warum dieses Buch, warum gerade jetzt?

Volker Weiß: Die Neue Rechte ist natürlich schon sehr lange ein politischer Faktor, aber sie wird nun relevant, was aber weniger an der Neuen Rechten liegt als an den äußeren Umständen. Die Flüchtlingskrise ist zwar nicht vom Himmel gefallen, aber offensichtlich waren so viele Menschen doch so überrascht, dass es zu einer Schockreaktion kam, die jetzt zu Buche schlägt in Wahlergebnissen, auf der Straßen, bis hin zu brennenden Flüchtlingsheimen. Es gab einen regelrechten Contenance-Verlust des Bürgertums.

Was ist so neu an der Rechten?

Zunächst nicht viel. Die Neue Rechte war der Versuch eines Neustarts der extremen Rechten unter den Bedingungen der Kriegsniederlage. Das begann bereits in den späten 40er Jahren. Eines der Markenzeichen ist die Bezugnahme auf Denker der 20er Jahre. Man versuchte systematisch, das Dritte Reich zu umschiffen.

Es war die berühmte „Konservative Revolution“. Was ist da dran?

Diese „Konservative Revolution“ gab es nicht. Armin Mohler versuchte Ende der 40er Jahre in seiner Dissertation, diese Strömung zu konstruieren, um das rechte Denken vom Nationalsozialismus zu bereinigen. Dafür fasste er aber einen Kanon von Autoren zusammen, der in sich völlig widersprüchlich war. Es gibt verschiedene Strömungen innerhalb der deutschen Rechten, aber viele der Strömungen waren auch mit dem Nationalsozialismus verbunden.

Wer waren in der Nachkriegszeit die Akteure, die dafür sorgten, dass die Ideologie weiterlebt?

Armin Mohler war eine Schlüsselfigur. Wir haben im Hintergrund dann vor allem noch Carl Schmitt. Der war akademisch zwar kaltgestellt, aber er gab immer wieder Impulse. Ernst Jünger war wichtig, nur lange nicht so relevant wie Schmitt. Die Arbeit als Privatsekretär von Ernst Jünger war für Armin Mohler ein Türöffner. Es waren zudem Kontakte, die auf alte SS-Strukturen zurückgingen.

Zu welchem Zeitpunkt entstand die Neue Rechte?

Das Schlüsselereignis war die sozialliberale Koalition. In dieser Phase fing die Rechte an, sich auszudifferenzieren. Da haben wir einerseits die in den früher 60er Jahren gegründete NPD, in den 70er Jahren bildeten sich die ersten militanten Strukturen von richtigen Neonazis. Auf der anderen Seite kam die Intellektualisierung, der Generationswechsel. Die Geburtsjahrgänge der 1940er Jahre sind nicht mehr durch die Institutionen des Dritten Reiches gegangen.

Zur Person

Volker Weiß, Jahrgang 1972, ist ein deutscher Historiker und freier Publizist. Er forscht zur extremen Rechten in Deutschland sowie zur deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Weiß lehrte in Hamburg, für Jungle World berichtet er seit Jahren über die extreme Rechte in Deutschland

Foto: Annette Hauschild

Durch den gesellschaftlichen Wandel geriet die Rechte in die Defensive. Helmut Kohl kündigte dann eine „geistig-moralische Wende“ an. Witterten die Rechten ihre große Chance?

Ja, aber es wurde eine bittere Enttäuschung. Man hatte zwar Kohls Avancen gegenüber Ernst Jünger und den skandalösen Besuch in Bitburg auf dem Soldatenfriedhof. Aber gleichzeitig bedeutete Kohl die bedingungslose Angliederung an die NATO-Strategie, an die USA.

Und die Wiedervereinigung? Freudentaumel? Endlich wieder ein Volk?

Natürlich hatte man die Hoffnung, die Nation wieder in die Spur zum Selbstbewusstsein setzen zu können. Aber auch dieser Frühling endete relativ schnell, weil die Wiedervereinigung in Rot-Grün mündete, nicht in der Neudiskussion um die deutsche Ost-Grenze.

Trotzdem ist mit der Wiedervereinigung und später mit der Weltmeisterschaft 2006 der Nationalstolz zurückgekehrt.

Statt der selbstbewussten Nation gab es die gut gelaunte Nation. Gewissermaßen waren das die Paradigmen von Rot-Grün. Diese Nation, die jetzt die eigene Verantwortung, die eigene Geschichte reflektiert hat, die sich das Shoah-Denkmal baut. Die Westbindung wurde nicht in Frage gestellt, man war proeuropäisch. Die Neue Rechte hat diese Form von Patriotismus nicht unbedingt goutiert.

Heute sind die Rechten auf dem Vormarsch. Was ist passiert?

Die Sarrazin-Debatte war der Moment, wo zum ersten Mal die Semantiken mit Theorien der Neuen Rechten gesellschaftlich in der Breite wirksam wurden. Das konnten sie nur, weil Sarrazin ein Sozialdemokrat ist. Mit Sarrazin brachen die Dämme, auch vom Habitus her. Sarrazin inszenierte sich als Opfer, schaffte es, trotz höchster Auflagen, trotz Zugang zu allen relevanten Medien, trotz eines riesigen Konzerns im Rücken, sich immer wieder als Zensuropfer darzustellen. Er hat die Nachrichten beherrscht, mit dem Gestus, er sei ein Partisan, im Widerstand. Das sehen wir heute wieder.

Wer sind die zentralen Akteure, die da auf den Plan treten?

Wir haben ab den 80er Jahren die Junge Freiheit, die sich im Laufe von drei Jahrzehnten aber nicht unwesentlich entradikalisiert hat. Wir haben um die Jahrtausendwende die Gründung des Instituts für Staatspolitik. Götz Kubitschek ist ein ganz zentraler Akteur, und Karlheinz Weißmann. Dann ist da die Spaltung. Kubitschek und Weißmann haben sich im Prinzip überworfen. Im IfS sammeln sich Leute um Kubitschek, wie dessen Partnerin Ellen Kositza. Dazu gehören der Antaios-Verlag und die Zeitschrift Sezession. Auf der anderen Seite ist die Junge Freiheit um Dieter Stein. Das ist „getrennt marschieren“ und dann „vereint schlagen“. Das findet sich in der AfD, wobei die Partei nicht deckungsgleich mit der Neuen Rechten ist.

Woher kommt die AfD?

Die Debatten um die Neugründung einer rechten Partei wurden schon oft in der JF geführt. Im dazugehörigen Universum wurden auch die letzten Versuche gestartet, die sich liberalisierende CDU noch mal nach rechts zu wenden. Als das gescheitert ist, wurde die Debatte erneut geführt und die AfD war davon ein Produkt. Die JF ist so etwas wie die heimliche Parteizeitung der AfD. Aber auch da findet ein Flügelkampf statt.

Nicht der erste.

Natürlich, die JF hat Bernd Lucke unterstützt, dann wurde Lucke rausgedrängt. Jetzt unterstützt sie den Petry-Flügel, hat auch einen Draht zu Gauland, die JF ist sehr kritisch gegenüber Björn Höcke, der wiederum eng mit dem Institut für Staatspolitik verbunden ist.

Das klingt unübersichtlich.

Es gibt mindestens zwei Strömungen: den völkisch-nationalen Flügel um Poggenburg, Höcke und Gauland, der sich dahin entwickelt hat; und auf der anderen Seite Pretzell und Petry. Dann Jörg Meuthen, der ein ganz merkwürdiges Spiel spielt, weil er anfangs als letzter Vertreter des Lucke-Flügels wahrgenommen wurde, aber überhaupt keine Berührungsängste bei den Völkischen hat. Das ist eine Spaltung, die sich innerhalb der Neuen Rechten fortsetzt, nämlich eben zwischen Sezession, die eher bei Höcke und Poggenburg ist, und der JF, die zu Petry hält.

Mit der AfD haben wir den parlamentarischen Flügel. Jetzt gibt es eine in letzter Zeit stark mit medialer Aufmerksamkeit gesegnete Bewegung: die Identitären. Ist das die rechte APO?

Das wären sie gern. Inklusive der Bezeichnung einer ihrer führenden Figuren als „neuer Rudi Dutschke“. Das sind Propagandaphrasen. Das ist keine Jugendbewegung. Es ist eine Gründung von oben. Und der Glaube, dass plakative Aktionen ein linkes Monopol seien, der ist Quatsch. Das ist einfach nur Marketing. Die Identitäre Bewegung hat sich sehr lange vor allem im Netz aufgehalten, dann hat man sich langsam in die nichtvirtuelle Realität vorgearbeitet.

Wie sieht es mit den Studentenverbindungen aus?

Die spielen eine sehr große Rolle, weil die meisten Kader aus diesem Milieu kommen. Kubitschek und Weißmann kommen aus der Deutschen Gildenschaft, einen sehr elitären akademischen Verbindung. Gleichzeitig sind diese Verbindungen eine Zielgruppe, wie die Offiziersanwärter bei der Bundeswehr. Man möchte die zukünftigen Führer der Nation erreichen.

Welche Rolle spielen hier die Querfrontbewegungen?

Die Querfront hat historisch einen klaren Ort. Der Begriff kommt aus zwei Quellen. Die eine Quelle ist der Versuch des Reichswehrgenerals von Schleicher 1932, eine autoritäre Regierung mit einer Massenbasis in den nichtmarxistischen Gewerkschaften herzustellen. Die andere Begriffsquelle liegt im Nationalbolschewismus, in den Versuchen der radikalen Linken, in den 20er Jahren beginnend, mit nationalen Inhalten auf Kundenfang in den Mittelschichten zu gehen.

Die Linke ist anschlussfähig?

Sie muss dann nur aufhören, links zu sein. Die inhaltlichen Übereinstimmungen gehen nicht weit. Wer sich mit Akteuren wie Ken Jebsen einlässt, hat keinen Anspruch mehr auf das Etikett „links“, weil da nicht mehr historisch-materialistisch analysiert, sondern personalisiert wird. Seitenwechsler gibt’s immer. Das wird auf der linken Seite zu wenig reflektiert. Da ist Jürgen Elsässer der Hauptprotagonist, der genau das vormacht.

Welche Rolle spielt Europa, das ja eine antinationale Idee ist?

Man strickt heute stark an einer europäischen Identität, die sich – auch wenn es grob ahistorisch ist – abendländisch definiert. Es gab solche Anläufe schon früher. Der Faschismus hatte eine stark europäische Seite. Das waren die Versuche, diese Identität als Bollwerk gegen Fremdeinflüsse, vor allem gegen die USA und die Sowjetunion, zu schaffen.

Woher kommt dieser Mythos vom Abendland?

Er ist eine Schöpfung der Romantik. Schlegel wäre ein Stichwort, ein anderes Novalis. Politisch relevant wurde er eigentlich erst in der Abgrenzung gegen die Sowjetunion. Da kam aus dem katholischen Bereich eine Ideologie, die die abendländische Geschichte im Konflikt mit dem Morgenland liest. Das hatte aber nicht den gewünschten Erfolg. Dann tritt an die Stelle der Abendland-Debatte die Europa-Debatte. Dass heute sogenannte Abendländer auf den Straßen von Dresden sich zu Putin hinwenden, das ist absurd.

Wer ist jetzt der Feind? Der Islam, die Liberalen oder die Linken?

Der absolute Gegner ist der Liberalismus. Er schafft die Voraussetzungen, durch die erst die anderen Gegner einbrechen können. Er greift in Form der „allgegenwärtigen Dekadenz“ die „Abwehrkräfte der Nation“ an. Man findet rechte Autoren, die sagen: Mit dem Islam haben wir keine Probleme, im Gegenteil. Wir wollen den nur nicht hier haben. Der eigentliche Gegner sind die USA. Das ist tief eingedrungen, da brauchen wir eine umfassende Kulturrevolution. Schauen wir uns die Dresdner Rede von Björn Höcke an. Da steht etwas vom „induzierten Irrsinn“ der Antifaschisten. Es sind die Narrative, die alles einen: „Wir müssen zurück zu uns selbst“, die kommen dann mit Martin Heidegger um die Ecke.

Apropos Martin Heidegger. Wie intellektuell ist diese Rechte wirklich?

Die deutsche Rechte hatte immer ihren intellektuellen Flügel. Das ist eine Scheindebatte. „Wird die AfD eine bürgerliche Partei?“, werde ich permanent gefragt. Seit wann schließen sich denn Bürgertum und rechtes Denken aus? Die deutsche Philosophie hatte immer ihre Rechtsausleger, eher waren die Linksausleger die Seltenheit. Aber so wahnsinnig tiefsinnig sind die nicht. Letztendlich enden sie immer wieder beim nationalen Mythos, bei Befindlichkeiten.

Welche Rolle spielt der Antisemitismus? Manche Rechte biedern sich ja regelrecht an Israel an.

Ich bin immer sehr vorsichtig, diesen angeblichen Pro-Israelismus für bare Münze zu nehmen. Sobald wir in den Bereich der vergangenheitspolitischen Debatten kommen, hat das alles sofort ein Ende. Aber Antisemitismus ist etwas, das sich über alle politischen Lager verteilt. In der Rechten wurde er allerdings wesentlich stärker zu einem Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Weltanschauung.

Stellen wir uns mal vor, bald regieren in Moskau, Ankara, Paris, Berlin und Washington Rechte. Sind dann alle glücklich?

Ja, wenn es keine Einwanderung mehr gibt, wenn es eine Protektion der nationalen Wirtschaft gibt und wenn es ein Wiedererstarken der deutschen Nation als Führungsmacht in Europa gibt, dann sind diese Leute zufrieden. Die eher realistisch gestimmten Neuen Rechten sind relativ nüchtern und sagen: Putin ist ein vernünftiger Verhandlungspartner, die Franzosen werden auf längere Dauer keine Rolle mehr spielen, die kleineren östlichen Länder können keine Rolle spielen, die Engländer ziehen sich raus, die Amerikaner gehen auf ihre Position vor 1917 zurück – wer ist dann die Führungsmacht, um Europa zu reorganisieren? Deutschland! Und mit diesen östlichen Staaten, die ja sowieso teilweise auf Territorien sind, über die man noch mal sprechen müssten ... da wird man sich dann schon einigen. Und dann kann man schön nach Carl Schmitt endlich seine Hegemonialtheorie durchführen. Das sind die großen Orientierungspunkte. Und das ist leider kein Konzept für einen Frieden in Europa.

Info

Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes Volker Weiß Klett-Cotta 2017, 304 S., 20 €

Die Bilder des Spezials

Nadine Kolodziey, Jahrgang 1988, zählt zu Deutschlands talentiertesten Illustratorinnen. Ihre Perspektive ist laut, grell und rätselhaft: „Ich mag es, wenn meine Arbeiten einen schmutzigen, leicht punkigen Stil haben“, sagte die Grafikdesignerin dem Magazin Page. Für Salto Magazine bereist Kolodziey in jeder Ausgabe eine neue Stadt und dokumentiert ihre Beobachtungen grafisch und mit Texten. Dabei legt sie nicht nur die Zeichnung in vielen Ebenen übereinander – auch der Text der Kurzgeschichten ist zur Hälfte in Deutsch, zur Hälfte in Englisch gehalten und kann einzeln wie zusammen gelesen werden. Erschienen, in limitierter Auflage, sind: Salto #1 Berlin und Salto #2 Tokyo. Für das kommende Salto #3 ging es nach Osaka. Mehr Informationen auf nadinekolodziey.com

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