So schnell kann’s gehen: Erst im März ist Christian Krachts Eurotrash erschienen, im November steht der Stoff bereits auf der Bühne. Jan Bosse inszeniert den Roman des Schweizer Schriftstellers an der Berliner Schaubühne als Zwei-Personen-Stück mit Joachim Meyerhoff und Angela Winkler. Die Handlung ist knapp erzählt: Der Schriftsteller Kracht besucht seine in einer Zürcher Villa mit Wodka, billigem Weißwein und reichlich Arzneistoffen hausende Mutter. Gemeinsam gehen sie auf einen Roadtrip, zuerst ins Berner Oberland, dann nach Saanen, in die Gegend von Krachts Kindheit. Im Gepäck haben sie 600.000 Schweizer Franken, Alkohol und Psychopharmaka. Plus einen Vorrat an Stomabeuteln für Mutters künstlichen Darmausgang.
Das Buch war auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und wurde von den meisten Rezensenten gelobt. Es zeichnet sich durch die typische Kracht’sche Ironie und die autofiktionale Spielerei des Autors aus, der so viele Merkmale seiner selbst auf den Protagonisten überträgt, dass man als Leser Gefahr läuft, das Erzählte für allzu bare Münze zu nehmen. Doch es ist die Mutter – die wohl erste starke Frauenfigur in einem Kracht-Roman (was sicherlich kein Zufall ist) –, die sich als heimliche Heldin des Buchs entpuppt.
Bissiges Ringen
Jede Inszenierung steht angesichts dieses Romans vor drei zentralen Schwierigkeiten: Die Macht des Textes ist so groß, Krachts Deutsch so schön, dass jede Bearbeitung droht, zum ästhetischen Unfall zu geraten. Was im Buch einem Roadmovie ähnelt, will auf der Bühne zum Kammerspiel werden. Die Handlung dient im Roman nur als Gerüst für eine Vielzahl von Introspektionen, Erinnerungen und Reflexionen des Autors, die zum Monolog eignen, für die sich auf der Bühne also nur zwei Möglichkeiten anbieten: show or tell!
Über diesen Formproblemen thront obendrein das so aufgeladene Thema „Mutter-Sohn-Beziehung“, dessen Komplexität in Krachts Roman durch ein geschicktes Spiel aus Schuldzuweisungen und -eingeständnissen, Ironie und Ernst durchaus so zur Geltung kommt, dass die Mutter zwar nicht aus der Verantwortung entlassen wird, das Buch dennoch als Hommage an sie gelesen werden kann.
Mit der Wahl eines erstaunlich detailgetreu gebauten Segelbootes als Kulisse (Stéphane Laimé) beweist die Inszenierung grundlegendes Gespür für diese Schwierigkeiten und nicht zuletzt für die feine Ironie des Originaltextes: Denn welches Verkehrsmittel wäre unwahrscheinlicher in der Schweiz als ein Boot?
Man kann dort höchstens auf den Seen im Kreis fahren (und wer es sich leisten kann, tut das auch), aber raus kommt man nicht. Das Motiv des Kreises, aus dem man nicht ausbrechen kann, ist ein zentrales und untergründiges in Krachts Roman. Der Kreis steht für die Familie als einen Schicksalszusammenhang, an dem sich jeder abzukämpfen hat. „Es ist kein Zeichen seelischer Gesundheit, sich an eine total gestörte Familie anpassen zu können“, die Variation eines Diktums des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti, von dem ein anderes Zitat übrigens dem Roman vorangestellt ist, ist also nicht zu Unrecht ein zentraler Satz in Buch und Stück. Krachts Großvater mütterlicherseits war überzeugter Nationalsozialist, sein Vater wiederum Verlagsmanager bei Axel Springer. Neureich auf der einen, nazistisch auf der anderen – eine familiäre Mischung, angereichert mit Missbrauch, Sucht, Krankheit und Trennung, an der man vielleicht nur verrückt werden kann. An einzelnen Stellen wird die Thematik durchaus geschickt aufgefangen: So lacht der Zuschauer nicht zuletzt über die eigene Blindheit, als der Bühnen-Kracht feststellt, dass der braune Wollpullover, den er zu Beginn am Stand einer Kommune in Zürich gekauft hat, ein eingestricktes Hakenkreuz aufweist. Die Kommune erweist sich nämlich als Ansammlung von Hippies mit Germanen-Fetisch und der Pullover gerät zum durchaus gelungenen Bild für das DIY-Wohlfühl-Ambiente in der postnazistischen Gesellschaft. Außerdem gibt es intensive, durchaus starke Dialoge, die zu einem Schlagabtausch werden und der Form des bissigen, aber nicht böswilligen Ringens zwischen Sohn und Mutter durchaus gerecht werden.
Ansonsten wirkt es, als hätten sich Regie und Dramaturgie (Bettina Ehrlich, Christian Tschirner) nicht entscheiden können zwischen Zwei-Personen-Kammerspiel und Ein-Mann-Monolog-Stück. Immer wieder rezitiert Meyerhoff – durchaus gekonnt – den Kracht’schen Originaltext. Von diesem wird nur manchmal abgewichen, und auch das wirkt irgendwie unentschieden. Der Figur der Mutter wiederum fehlen die Verschmitztheit, das Augenzwinkern und die Ironie, die im Buch dafür sorgen, dass man als Leser am Ende gar nicht mehr sicher ist, ob tatsächlich sie die Verrückte ist. Ob das an Winklers Spiel oder an Bosses Regie liegt? Auf jeden Fall bleibt die Mutter eindimensional die Schuldige, die wie bei der Skulptur von Louise Bourgeios spinnenhaft das Kind nicht entkommen lässt.
Trotz einiger guter Ideen gerät Bosses Inszenierung zu einer unentschlossenen Aneinanderreihung von Bildern. Es fehlt der Aufführung, die immerhin zwei Stunden und zwanzig Minuten dauert, an ebenjener Tiefe und Zugkraft, die Krachts Text(e) so lesenswert machen. Man wünscht, Bosse hätte sich getraut, dem Text mehr Eigenes beizumischen, sich weiter davon zu entfernen, mehr darüber hinauszugehen – oder ihn eben einfach rezitieren zu lassen.
Eurotrash Regie: Jan Bosse Schaubühne Berlin
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