Konservative sollen sich eindeutig nach rechts abgrenzen, fordert die Publizistin Liane Bednarz. Das bringt ihr Ärger ein, vor allem in den eigenen Reihen. Unser Autor fürchtet: Die Mühe ist vergeblich, denn Konservative treibt ihre eigene ideelle Tendenz nach rechts. In der Büchergilde in Hamburg trafen sie sich zum Gespräch. Bednarz gilt den sozialen Medien als geharnischte Diskutantin. Im Gespräch ist sie freundlich, hört zu, spricht mit Überzeugung.
der Freitag: Frau Bednarz, wer war der größere Konservative: Otto von Bismarck, Erich Honecker oder Helmut Kohl?
Liane Bednarz: Wenn man das Konservative reduziert auf etwas Starres, das man unbedingt erhalten will, notfalls mit totalitären Methoden, dann sprengt das den Begriff und das Konzept, also insofern war Honecker sicherlich nicht konservativ. Und Bismarck – das war eine andere Zeit, schwer zu sagen. Der Kulturkampf gegen die Katholiken, das ist eigentlich nichts, was man als konservativ bezeichnen würde. Auch eine derart starke Fokussierung auf den Nationalstaat ist innerhalb des Konservativismus umstritten.
Also Kohl?
Er hat sich selber nicht so etikettiert, aber er war jemand, der die wesentlichen Prinzipien des liberal-konservativen Denkens nach 1945 vertrat: klare Westbindung, Einbindung in die EWG, später dann die Europäische Union, Demokratie und Pluralismus bei gleichzeitig bewahrender Grundhaltung. Die (neu)rechte Bewegung war übrigens recht schnell enttäuscht von ihm. So hat sich die Junge Freiheit 1986 unter anderem deshalb gegründet, weil die von Kohl versprochene „geistig-moralische“ Wende aus ihrer Sicht ausgeblieben ist.
Vor einigen Wochen kam heraus, dass Kohl als junger Politiker lange Zeit Geld für SS-Veteranen spendete. Eine irritierende Unschärfe zwischen Konservativem und Rechtem, oder?
Das ist natürlich etwas, was mich sehr irritiert, ja schockiert, gar keine Frage. Zumal es dabei ja nicht „bloß“ um (neu)rechtes Denken, sondern um Veteranen der Waffen-SS geht. An sich war Kohl jemand, der die deutsche Schuld nie beschönigt und außerdem immer darauf geachtet hat, dass die CDU nicht nach rechts driftet und eine pragmatische Partei der Mitte bleibt. Auch die „Stahlhelm-Fraktion“ wusste er stets so einzuhegen, dass sie den Kurs der Partei nicht bestimmen konnte. Also: Ich habe keine Erklärung dafür.
Zur Person
Liane Bednarz , Jahrgang 1974, ist Publizistin und Juristin, sie selbst verortet sich als „liberal-konservativ“. Ihr jüngstes Buch heißt Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern (Droemer Knaur)
Foto: Presse
Na gut, gehen wir ans Eingemachte: Was heißt konservativ?
Es gibt, das ist ja das Spannende daran, tatsächlich seit 1945 einen Streit darüber, was „konservativ“ bedeutet. Bis heute versucht die Neue Rechte permanent, sich als konservativ zu etikettieren. Es gibt einen sehr prägnanten Ausspruch von Armin Mohler, der die Neue Rechte nach dem Krieg bekanntlich stark geprägt hat: „Die Definition, was konservativ sei, ist bereits ein politischer Akt.“ Ideengeschichtlich aber ist der Unterschied zwischen konservativ und rechts nach 1945 klar konturiert.
Ja?
Es hat recht lange gedauert, bis sich in der Bundesrepublik der Inhalt des Konservativen herausbildete. In den 50er Jahren war es noch so, dass auch Leute wie Konrad Adenauer im Grunde mit dem Begriff nichts zu tun haben wollten, weil er durch die Rechtsintellektuellen der Weimarer Zeit, die sich ebenfalls für konservativ hielten, kontaminiert war. Die Neuprägung hat sich deshalb erst sukzessive entwickelt. Man kann sagen – wie schon in Bezug auf Kohl angedeutet –, dass der bundesrepublikanische Konservativismus im Wesentlichen aus drei Hauptelementen besteht: Er gründet sich auf die Westbindung, er steht für die liberale, pluralistische Demokratie, und er ist insgesamt skeptisch gegenüber übermäßigem Fortschrittsdenken. Im Prinzip geht es ihm darum, dass sich das Neue erst einmal gegenüber dem Alten bewähren muss.
Das klingt so, als verbinde den Konservativismus nach 1945 mit dem alten Konservativismus einzig die Fortschrittsskepsis. Ein traditionsloser Konservativismus also?
Der alte Konservativismus ist oftmals gerade nicht bewahrend, sondern will wie der Weimarer Rechtsdenker Arthur Moeller van den Bruck erst diejenigen Dinge schaffen, die zu erhalten sich lohne. Was das bewahrende Element im bundesrepublikanischen konservativen Milieu betrifft: Gewiss spielen dort bestimmte Topoi eine große Rolle. Der Konservativismus ist also keine inhaltsleere Hülle, die einfach nur verlangsamen will. Grundthemen wie „Familie“ und „Heimat“ sowie Tradition und Brauchtum sind natürlich wichtig. Aber auch ganz konkrete Dinge wie zum Beispiel die Wehrpflicht hatten beziehungsweise haben für Konservative einen hohen Stellenwert.
Der entscheidende Punkt ist doch: Was passiert mit dem Konservativen, wenn diese Punkte passé sind? Will er an diesen inhaltlichen Fixpunkten festhalten, muss er zum Reaktionär werden, weil er dann die Zeit zurückdrehen muss.
Nur, wenn ein antipluralistisches Element ins Spiel kommt. Grundsätzlich weiß der Konservative, dass er mit seiner Haltung gesellschaftlich relativ marginalisiert ist. Nehmen Sie zum Beispiel die Abtreibungsdebatte. Bei vielen, die jetzt ins reaktionäre, rechte Denken abgerutscht sind, stieß schon der Abtreibungskompromiss 1992 auf große Vorbehalte. Da dachten sie bereits, die CDU habe den Lebensschutz aufgegeben. Dann kam 2007 die Stammzellenentscheidung der Partei hinzu, die ebenfalls Empörung bis hin zur Wut auslöste.
Also habe ich recht?
Sie haben insofern recht, als man sehen konnte, wie ein Teil des konservativen Milieus im Zuge dieser, aber auch diverser anderer Richtungsentscheidungen der CDU hin zur Mitte zunehmend zornig und ressentimentgeladen geworden und in eine Opferhaltung geflüchtet ist. Eigentlich ist das aber keine konservative Haltung, weil man als Konservativer nun einmal versucht, die eigenen Werte gesamtgesellschaftlich zu bewahren, aber nicht beleidigt ist, wenn das nicht funktioniert. Dann versucht man, andere politische Möglichkeiten zu finden. Grundsätzlich hätte sich dafür eine konservative neue Partei angeboten, für die viele die AfD vor allem anfangs hielten. Hier allerdings zeigt sich, dass Ihre Sachthese auch einen richtigen Kern hat: Vielen, die sich für konservativ halten, ist schlichtweg nicht klar, wo konservatives Denken aufhört und rechtes Denken beginnt. Bei der AfD war Letzteres von Anfang an auch präsent.
Konservative entstehen, wenn Transformationsprozesse einsetzen. Ihre große Niederlage war in dieser Hinsicht das Jahr 1918. Insofern ist es doch kein Wunder, dass sie antiliberal, antidemokratisch, autoritär und antisemitisch waren. Betrachtet man dieses Denken, muss man doch feststellen: Die geistigen Erben sind die „Neurechten“.
Hier muss man differenzieren: An sich wendet sich das konservative Denken gegen die Revolution. Edmund Burke, der große Ahnherr der westlich-liberal geprägten Konservativen dies- und jenseits des Atlantiks, hat sein Werk als Gegenreaktion auf die Französische Revolution begonnen. Er stand für eine Art liberalen, damals freilich auch aristokratischen Staat, war aber kein Reaktionär, anders als die unter vielen Rechten auch heute noch beliebten französischen Gegenaufklärer wie Joseph de Maistre. Nach 1918 hatte der Konservativismus à la Burke in Deutschland allerdings kaum noch eine Chance. Ähnlich wie heute schwenkten viele Konservative mehr und mehr auf die Ideenwelten der damaligen illiberalen, rechten Vordenker ein. Auf genau diese beruft sich auch die heutige Neue Rechte: Carl Schmitt, Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler und Edgar Julius Jung. Arthur Moeller van den Brucks Buch Das dritte Reich liest sich in signifikanten Teilen wie eine Art Blaupause für die Reden diverser heutiger Rechter.
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