Von Charlie lernen

Laizität Ein bisschen mehr Blasphemie täte Deutschland gut. Religion hat im öffentlichen Leben nichts verloren.

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In der „Charlie Hebdo“-Ausgabe zum Jahrestag des Attentats vom 7. Januar findet sich eine Karikatur der Zeichnerin Coco mit der Überschrift: „Charlie Hebdo fickt alle Religionen in den Arsch.“ („Charlie Hebdo encule toutes les religions“) Darunter ein alter Mann mit Bart im Gesicht und Auge und Dreieck über dem Kopf, der sich mit entsetztem Blick eine Pistole an den Kopf hält und sagt: „Lieber verrecken, als als Schwuchtel enden.“ Humor den man mögen muss. Bekanntlich missfällt die Art und Weise, wie man sich bei Charlie über Religion lustig macht, manchen so sehr, dass vor einem Jahr ein Massaker in den Redaktionsräumen angerichtet wurde. Absurderweise steht die Zeitung seitdem so gut da, wie noch nie zuvor: fast 200.000 Abonnenten lesen wöchentlich Charlie. Wer davon wirklich Charlie ist und wer die Zeitung nur nachbarschaftswirksam aus dem Briefkasten holt und dann auf einem Stapel einstauben lässt, sei dahingestellt. Jedenfalls lesen plötzlich Hunderttausende - auch in Deutschland -, was bei Charlie schon seit Langem gemacht wurde: Sich schamlos über das Zeitgeschehen lustig machen, vor allem über Religion. Womit wir beim Thema angelangt wären. Natürlich war der Anschlag vom 7. Januar einer auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Damit können sich die meisten auch noch identifizieren. Doch vor allem war es ein Schlag gegen das Recht auf Blasphemie, gegen die französische Laizität, kurz: gegen die Antwort, die man in Frankreich auf die Frage, welche Stellung Religion im öffentlichen Leben haben sollte, gegeben hat.

Im Eifer und Zorn der Revolution wurden jenseits des Rheins Kirchen attackiert und Angehörige des Klerus gejagt. Noch heute sieht man beispielsweise am ehemaligen Papstpalast in Avignon reihenweise Statuen und Figuren, die symbolisch enthauptet wurden. Das Volk hatte seinem Zorn gegen die Unterdrücker aus Kirche und Königshaus Luft gemacht, bekanntlich wurde auch die Königsfamilie enthauptet.

Erst 1905 wurde die Trennung von Kirche und Staat gesetzlich festgeschrieben. Die Kirchen müssen alleine zurechtkommen, öffentliche Einrichtungen müssen neutral sein, das Zeigen von religiösen Symbolen ist dort nicht gestattet. Das bedeutet nicht, dass Religionen abgewertet werden, sie werden schlicht ins Private verbannt.

In Deutschland ist das Verhältnis zur Religion ein gänzlich anderes. Der Staat treibt Steuern für die Kirchen ein, Parteien, die zumindest vom Namen her christlich sind, dominieren das politische Leben und wenn in bairischen Klassenzimmern ein Kruzifix abgehängt wird, dann ist das ein kleiner Skandal. Theologen beraten in Ethikkommissionen verschiedene Institutionen bis hin zur Bundesregierung. Das ist alles nur mitteltragisch, wenn einem eine progressive Gesetzgebung in Sachen Homosexualität, Vergewaltigung und Fortpflanzung nicht so wichtig ist (denn vor allem da bremsen auch die ach so moderaten Christen). Christliche Fundamentalisten gibt es kaum noch und wenn, dann sind sie so alt, dass sie keine Bombe sehen könnten, weil sie das an 1944 erinnert, geschweige denn eine Kalaschnikow halten könnten. Doch das Christentum ist längst nicht mehr die einzige Religion in Deutschland (in Frankreich natürlich auch nicht). Und der Islam hat offensichtlich ein etwas schwerwiegenderes Extremismus- und Terrorismusproblem. Gewiss, die meisten Muslime leben friedlich vor sich hin und tun keiner Fliege etwas zu leide. Die Frage, die wir uns stellen müssen ist daher nicht: Gehört der Islam zu Deutschland? Sondern: Gehören Religionen in die Politik, in das öffentliche Leben?

Auf den Kulturkampf folgte ein fauler Kompromiss, seitdem hat der deutsche Staat die Kirchen an der Backe. Finanziell und auch politisch. Zwar ist der Einfluss der Religion auf die Politik zurückgegangen, aber welche öffentliche Gedenkveranstaltung kommt ohne Gottesdienst aus? Was machen das Oberhaupt der katholischen Kirche und der Dalai Lama im Bundestag, dem Kernstück parlamentarischer Demokratie? Warum darf man überhaupt „Gottes Hilfe“ in seinem öffentlichen Amt erwarten? Ist es nicht beunruhigend, wenn jemand den Rückhalt eines imaginären Freundes braucht, um ein anständiger Regierungschef zu sein (ganz abgesehen davon, dass es ja auch nichts bringt)? Das Problem ist: Sobald wir akzeptieren, dass es eine Verbindung von Politik und Religion geben darf, öffnen wir auch Extremisten das Tor. Das heißt nicht, dass es genauso schlimm ist, Menschen mit einer Kalaschnikow hinzurichten, wie eine liberalere Abtreibungspolitik zu blockieren. Aber Menschen, die ihre moralischen Richtlinien aus jahrhundertealten Büchern ableiten, die obendrein vielfach nach politischem Kalkül modifiziert wurden, auf die Ordnung unseres politischen Lebens loslassen? Da brauchen wir uns nicht wundern, wenn Menschen anderen Glaubens uns in die Luft jagen wollen, wenn sie das so in irgendeinem alten Buch angeblich gelesen haben wollen.

Natürlich hat politischer Extremismus soziale und (geo-)politische Ursachen. Aber es ist auch unser Kuschelkurs zur Religion der uns dafür anfällig macht. Man möge einwenden, dass ja Frankreich mit seiner Laizität besonders getroffen wurde. Die Replik darauf ist so einfach wie naheliegend: Die Laizität wird längst nicht mehr durchgesetzt. In Krankenhäusern weigern sich muslimische Frauen, von Männern behandelt zu werden, Islamisten können vor Schulen straflos ihren Schmarrn verbreiten und ein ekelhaft starker FN (und nicht unwesentliche Teile der Republikaner auch) wollen die angeblich „jüdisch-christlichen Wurzeln“ Frankreichs verteidigen. Was dabei herauskommt? 2012 wurden in Frankreich zum ersten Mal seit Ende der Besatzung jüdische Kinder ermordet, weil sie jüdisch waren. Charlie Hebdo wurde schon 2011 in Brand gesetzt, 2015 dann die Tragödie. Und dann der Horror vom 13. November. Frankreich hat versagt, sozial- und arbeitspolitisch, weil es sich massenweise perspektivlose Jugendliche heranzüchtet, aber auch religionspolitisch, weil es nicht durchsetzt, was gilt.

Wenn wir uns gegen religiös motivierten Terrorismus behaupten wollen, dann müssen wir den entsprechenden Religionsgemeinschaften selbstbewusst entgegentreten. Das heißt keinesfalls, dass ein rechter Generalverdacht gegen Muslime gerechtfertigt ist (Rechte sind ja in der Regel ähnlich bekloppt und faseln was vom Abendland). Aber wir sollten unser Verhältnis zu Religionen neu definieren. Denn wie sollen wir Muslimen erklären, dass man zwar die Bibel, aber bittschön keinesfalls den Koran als politische Richtlinie haben darf? Letztendlich taugt nichts davon. Jeder Mensch sollte seinen eigenen Verstand einsetzen und an die Spielregeln halten. Ja, Deutschland sollte seine Religionen ein bisschen mehr in den Arsch… naja, lang lebe Charlie Hebdo.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant zum Freitag und hat seither in wechselnder Intensität für die Ressorts Politik und Kultur gearbeitet. Er studierte Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence sowie Lateinamerikastudien und Europäische Literaturen in Berlin. Seit 2022 ist er im Kultur-Ressort für alle Themen rund ums Theater verantwortlich. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Erinnerungskultur sowie Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

Leander F. Badura

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