„Wir pfeifen leise“

Interview Debatte überall. Nur von der Akademie der Künste hört man nichts. Alles gut, Frau Meerapfel?
Ausgabe 02/2018

Der Grüntee, den Jeanine Meerapfel zum Gespräch serviert, ist perfekt. Temperatur, Ziehzeit, alles ist abgestimmt – wie ein austarierter Essay. In ihrem Büro mit Blick auf den Pariser Platz in Berlin sitzt die Präsidentin der Akademie der Künste vor einem Selbstporträt Max Liebermanns. Der Maler, der als ihr Vorgänger 1933 aus der Preußischen Akademie der Künste ausgetreten war, blickt skeptisch, auch etwas melancholisch herab. Für ihre Antworten nimmt sich die Filmemacherin Zeit, nur bei der antifaschistischen Haltung muss sie nicht lange nachdenken.

der Freitag: Frau Meerapfel, die Politik mutiert weitgehend zum Spektakel. Kann die Kunst da noch mithalten?

Jeanine Meerapfel: Das sollte sie überhaupt nicht. Die Kunst soll nicht zum Spektakel werden und sie soll auch nicht mithalten mit der Politik. Die Kunst hat andere Aufgaben. Wir haben für die November-Ausgabe unseres Journals der Künste allen Mitgliedern die Frage gestellt: Was ist die Aufgabe der Kunst im 21. Jahrhundert?

Das interessiert mich auch.

Viele haben gesagt: falsch gestellte Frage. Einer hat gesagt, die Kunst hat zur Aufgabe: Kunst. Ein anderer hat gesagt: Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht. Und wieder jemand anderes hat gesagt: Aufklären. Da ist mein Herz aufgegangen. Kunst muss einen aufklärerischen Impetus haben und dazu dienen, eher Klarheit, als Dunkelheit zu bringen.

Zur Person

Jeanine Meerapfel ist seit 2015 Präsidentin der Akademie der Künste. Als Kind jüdischer Flüchtlinge kam sie 1943 in Buenos Aires zur Welt. 1964 kam sie über den DAAD an die Hochschule für Gestaltung in Ulm und arbeitet seither als Filmemacherin

Foto: Reiner Zensen/Imago

Aber Aufklärung wird ja nur dann fruchtbar, wenn sie eine kritische Masse an Leuten erreicht.

Wirklich?

Sie können mir gerne widersprechen. Die Frage ist: Inwiefern sind Formate wie Podiumsdiskussionen und Ausstellungen, die ein eher begrenztes Publikum erreichen, da geeignet?

Der Skandal, das Draufhauen, das Trommeln, das ist nicht unsere Sache. Unsere Sache ist die Diskussion, die Auseinandersetzung, die Einflussnahme über Sprache, über Bild und über Argumentation. Das wissen Sie als Zuschauer im Kino: Wenn man Ihnen mit einem Hammer auf dem Kopf eine Geschichte erzählt, bleibt von dieser Geschichte zwar das Gefühl des Hammers oder ein Gefühl des Kitzelns, weil Sie hin- und hergerissen worden sind. Aber gelernt, mitgenommen haben Sie wenig. Wenn Sie jedoch etwas sehen, was Ihnen eine Argumentationshilfe bietet, das innerhalb einer Geschichte mehrere Möglichkeiten gibt, dann werden Sie vielleicht mit einem gewissen Reichtum rausgehen und andere Formen von Entscheidungen treffen können. Wenn Sie mich fragen, „Wie kann man erfolgreich sein?“, bin ich die falsche Adresse. Keine Ahnung, und es interessiert mich auch nicht.

Mit Aktionen, wie sie zum Beispiel vom Zentrum für Politische Schönheit durchgeführt werden, können Sie also vermutlich nicht so viel anfangen.

Ich schaue es mir mit großem Interesse an und bewundere die für viele ihrer Arbeiten. Ich halte sie für das notwendige Salz in der Suppe. Sowie die Arbeiten von vielen anderen in der freien Szene.

Aber sind es nicht genau solche Aktionen, die Kunst zum Spektakel machen?

Natürlich, das benutzen die ganz bewusst. Das benutzen viele Künstler. Dass es nicht meine Haltung ist, bedeutet nicht, dass ich nicht trotzdem Achtung dafür empfinden kann. Es ist aber eigentlich ein trauriger Zustand, dass nur Aufmerksamkeit bekommt, wer furchtbar laut trommelt und derjenige, der leise pfeift, nicht gehört wird.

Der Aufstieg der AfD beschäftigt auch die Kulturszene. Was bedeutet es für die Akademie als staatliche Institution, wenn der „Feind“ plötzlich auf der anderen Seite steht, auf der Einflussebene?

Wir sind unabhängig und noch hat es nichts verändert. Aber wir haben uns sofort zu Wort gemeldet. Ich habe immer wieder gesagt: Diese Partei gehört vom Verfassungsschutz beobachtet und sonst nirgendwo hin. Und wir haben mit anderen Institutionen sofort an den Ältestenrat des Bundestags geschrieben mit der Forderung, dass die AfD auf keinen Fall den Vorsitz des Kulturausschusses besetzen darf.

Und falls es ihr doch gelingt, eines Tages maßgeblichen Einfluss auszuüben?

Dann werden wir dagegen nicht nur protestieren, sondern bis zur Auflösung kämpfen, das können Sie glauben.

Könnten Sie sich vorstellen, auf einem Podium mit jemandem von der AfD zu sitzen?

Nein, da würde ich mich weigern.

Warum?

Ich denke nicht, dass ich argumentieren kann gegen einen Menschen, der rassistisch und faschistisch ist. Ich kann nicht und ich will nicht. Das sind für mich Menschen, die sich außerhalb unserer demokratischen Gesellschaft gestellt haben. Man hat ihnen eine Existenzberechtigung als Partei gegeben, also sind sie gewählt worden, das ist eine Katastrophe. Wir sollten unsere demokratischen Institutionen stärken und zusehen, dass die keinen Zugang zu diesen haben. Das müssen wir tun.

Sie sind die Tochter von Überlebenden der Shoah. Spielt das in der Sache eine Rolle?

Kein Mensch kann sich aus seiner Identität herauskatapultieren, sodass meine Herkunft sicherlich mit einer bestimmten Haltung zu tun hat, die ich vertrete. Und ganz sicher auch mit dem, was ich erzähle und mit meiner Kunst. Ich fühle eine Verpflichtung, für die Präsenz bestimmter Themen zu sorgen und darüber zu berichten.

Dennoch entsteht der Eindruck, dass die Akademie unter ihrem Vorgänger Klaus Staeck häufiger in der Diskussion war. Als Plakatkünstler fiel ihm das „Plakative“ wohl auch leichter. Ist das eine Veränderung, die mit Ihrer Präsidentschaft einhergegangen ist?

Ich glaube nicht. Das, was Staeck repräsentierte, repräsentiere auch ich. Das ist eine kritische Haltung zu bestimmten Formen, wenn man so will, des Brutalkapitalismus und gegen alle Formen von Faschismus und Rassismus. Und die Arbeit, die wir hier machen, ist genauso politisch bewusst und prägnant wie die Arbeiten, die Klaus Staeck gemacht hat.

Inhaltlich ja. Es geht ja auch eher um den Eindruck …

… dass wir leiser sind?

Genau.

Das kann ich nicht beantworten. Zumindest ist es nicht unsere Absicht, still und leise zu sein. Vielleicht sind die Dinge, die wir tun, ein bisschen anders gelagert. Aber das glaube ich nicht einmal. Dass sie vielleicht nicht so wahrgenommen werden, kann auch mit der heutigen Tendenz zu tun haben, dass man immer Schlagworte braucht, das ist möglich. Wir bieten nicht so viele Schlagworte, glaube ich.

Keine Hashtags?

Nein, keine Hashtags. Ich weiß nicht einmal genau, was das ist.

Das heißt dann aber, dass die öffentliche Aufmerksamkeit andere einheimsen.

Nein, wir brauchen die öffentliche Aufmerksamkeit, und wir haben sie auch. Ausstellungsprojekte wie Uncertain States. Künstlerisches Handeln in Ausnahmezuständen, mit denen wir auf drängende Themen wie Flucht und Migration reagiert haben, oder unsere aktuelle Ausstellung Denken in Extremen über die Freundschaft von Walter Benjamin und Bertolt Brecht haben unglaublichen Zulauf. Und es sind sehr nachdenkliche, sehr komplexe Ausstellungen. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir damit nicht präsent sind. Die unzähligen Presseausschnitte, die mir vorgelegt werden, sind sicherlich nicht nur für mich gedruckt worden.

Benjamin ist ein gutes Stichwort. Er hat ja vor der Ästhetisierung der Politik gewarnt und ihr die Politisierung der Ästhetik entgegengestellt. Wie steht es heute um dieses Verhältnis?

Es ist ein sehr schmaler Grat. Ich glaube nicht, dass die Ästhetik politisiert werden muss, sondern dass eine Ästhetik, die profund human ist und die an Freiheit und das Recht des Anderen glaubt, immer ein politisches Statement in sich tragen wird. Andersherum aber, wenn wir sagen, wir wollen politisch etwas erreichen und deswegen benutzen wir diese Ästhetik, sind wir bei Leni Riefenstahl. In Lateinamerika zum Beispiel war in den 1960er und 70er Jahren die Kamera als Waffe ein Symbol des Widerstands gegen Diktaturen wie in Brasilien, Chile, Argentinien. Da hatten revolutionäre Filme eine spezifische Funktion: Aufruf zum Widerstand gegen Unfreiheit, Mord, Verschleppung.

Es war auch Benjamin, der dem Film attestierte, er lasse die Aura des Kunstwerks verschwinden. Sie sind ja Filmemacherin …

Das ist leider richtig, was er sagte. Diese Aura kann man ja spüren. Sein Aufsatz zur Geschichtswissenschaft ist von Paul Klees Angelus Novus inspiriert. Ich habe das Original gesehen, und zu wissen, es ist das Original, hat etwas mit mir gemacht. Das ist Aura.

Dieser Engel der Geschichte ist eine tragische Figur. Er will die Verwüstungen der Vergangenheit heilen und wird fortgerissen vom Sturm des Fortschritts. Was kann die Kunst für ihn tun?

Mit den gleichen aufgerissenen Augen in die Welt schauen und sie beschreiben, im Detail. Das ist schon viel.

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