http://liebernichts.de/wp-content/uploads/2010/12/slime.jpg
Die Neunziger waren keine gute Zeit, um Punk zu werden. Alles schien ganz ok, und alte Helden, wie die Band Vorkriegsjugend, allein wegen des Namens nicht mehr in die Zeit zu passen: Denn keiner hatte mehr Angst vor einem Krieg. Und niemand wusste mehr so richtig, wofür oder wogegen man jetzt konkret noch sein könnte. Unpolitisch sein galt auf einmal als coole Haltung – Oi!. Und dass es nun vor allem Kinder waren, die mit ihren „Punks not dead“ T-Shirt die Bahnhöfe bevölkerten, veranschaulichte nur den Ernst der Lage.
Ich hatte auch so ein T-Shirt. Als sich Slime 1994 aufgelöst haben, war ich zwölf Jahre alt. Eigentlich entstand meine ganze Welt erst durch ihre CDs. Wegen Slime schaute ich nach, was "Yankees" sind. Und vor allem wusste ich irgendwann, was mit Deutschland alles nicht stimmt. Ihre Platten waren unsere Grundausbildung. Wehe, man kannte einen Song nicht. Was ein Pseudo. Das dachten dann sogar wir, in unseren „Punks not dead“-Shirts. Schnell wurde uns damals klar, dass unsere Welt immer noch ein Alptraum ist, auch wenn das Lied dazu aus dem letzten Jahrzehnt kommt. Und wenn man nur laut genug aufdreht, dann kann man zu dem Alptraum sogar tanzen.
Meisten saßen wir aber nur. Und tranken. Wir wollten gar nicht mehr aufstehen. Haut zu Stein wurde unsere Hymne: „… du versuchst zu gehen, doch deine Haut wird Stein“ – und wir schrien in unserem Keller: „Haut wird Stein!“ Nur für Konzerte sind wir aufgestanden. Und rumgereist. Aber Slime gab es nicht mehr.
Dafür dann Rubberslime. Eine Mischung aus Slime und den Rubbermaids, die 2004 zusammen eine CD rausbrachten und auf Tour gingen. Nach ihrem Konzert war ich wahnsinnig frustriert. Zwar hat Dirk von Slime gesungen, auch alte Hits. Aber die klangen einfach nicht mehr so, wie das Original. Als ich ein paar Jahre später „The Wrestler“ im Kino sah, musste ich so immer wieder an Dirk denken: Auf ewig gefangen in der Rolle eines alternden Punkrockers.
Zum Glück hat er weitergemacht. Denn die Show zum 30. Bandjubiläum am Mittwoch im SO36 war die geilste Zeitreise meines Lebens. Und der Typ neben mir stellte bei sämtlichen Lieder ihrer letzten CD Schweineherbst immer wieder aufs Neue fest: „Alta, es ist 1994!“
Dirk gab sich trotz Nostalgiebonus sichtlich Mühe, die Stücke aus den 80ern und 90ern durch die Ansage in die Gegenwart zu übersetzen. Das gelang manchmal (die Grünen sind für ihn die neuen Linken Spießer) und war manchmal peinlich („Wir haben ein Soli gespielt fürs Castor-Schottern. Da geht es darum, die Steine unter dem Gleis rauszuziehen und so den Zug zum Stillstand zu bringen - Stillstand!“). Wahrscheinlich hätte es die Sprüche gar nicht gebraucht. Alpträume sind zeitlos.
Am besten kamen die Lieder gegen die Staatsgewalt an und wurden immer von „Ganz Berlin hasst die Polizei“-Sprechkören umrahmt. Während Brüllen, Zertrümmern und weg zogen sich zwei Fans kurz die Skimaske über den Kopf, ehe sie von der Bühne in die Menge hechteten. Nach dem Konzert machten einige daraus Ernst und randalierten in der Oranienstraße. Überhaupt kamen die meisten im schwarzen Einheitslook. Ok, es war kalt, aber auch im Saal habe ich keinen einzigen Iro gesehen.
"Punk ist eine Kopfsache" – das haben die etwas älteren Kollegen damals am Bahnhof auch immer gesagt. Nur zur Sicherheit habe ich mir am Schluss noch dieses wunderschöne T-Shirt gekauft – schwarz, mit weißem Stern und Schriftzug.
Kommentare 20
Hallihallo Herr Dörfler!
Sie sind ein wahrhaftiger Romantiker — was ich persönlich zwar durchaus süß finde, aber doch sagen muß, daß der Punk nicht irgendwann in den 1990ern, sondern irgendwann im Sommer 1978 gestorben ist, nachdem die Sex Pistols bei EMI unterschrieben hatten und die Puristen den Zeigefinger hoben, Verrat witterten und ganze Jahrgänge von Fanzines darüber vollschrieben, wie man sich der Eingemeindung in die Kulturindustrie würde entziehen können, wobei es gewiß nicht unlustig ist, einer Szene, deren Slogan No Future! hieß, dabei zuzusehen, wie sie sich Gedanken um die Zukunft machte.
Seitdem ist der Punk, wenn wir ehrlich sind, eine Mischung aus Folklore und alternativem Pfadfinderverein, der sich im besten Fall so domestiziert belanglos ausnimmt wie das Juso-Gelalle eines Campino bei Johannes B. Kerner oder »Dingsda« und im schlimmsten Fall die Sozialkundelehrer der deutschen Republik damit erfreut, mit Hilfe der Punk-Ikonen But Alive, Anti-Flag und Oi Polloi nachdenklich, differenziert und sensibel argumentieren zu können, gelegentlich das Palituch Gassi zu führen sowie zusammen mit Michael Moore bestens über die amerikanische Sozialpolitik informiert zu sein.
In einer Zeit, in der sich kein Mensch mehr wirklich über bunte Haare aufregt, sogar H Nietengürtel verkauft und Respektlosigkeit und Rotzigkeit nicht mehr Subversion bedeuten, sondern Voraussetzung dafür sind, bei VIVA als Moderator anzufangen, ist Punk nichts anderes als die alternative Bundeszentrale für politische Bildung.
Bin ich zu streng?
Huhu verehrter J. A.-P.!
sie haben wahrscheinlich, wie immer, recht. ich wollte in dem text jetzt nicht so böse sein, sondern eher über meine romantische bindung zu dieser band berichten. und ja, wahrscheinlich war das sogar die "alternative bundeszentrale für politische bildung" für mich. aber sie legen die latte natürlich schon sehr hoch, was den guten alten punk angeht – eben wie es sich für einen wahrhaften idealisten gehört ;-)
apropos sex pistols – gucken sie das hier bitte nicht:
www.youtube.com/watch?v=7mSE-Iy_tFY
beste grüße
sd
Ach Herr Dörfler,
das Kreuz dabei ist ja, daß das alles so fürchterlich ambivalent ist, daher auch meine Frage nach der Strenge, bei der ich nie weiß, ob sie tatsächlich idealistisch ist oder nur reverse-spießig.
Während die einen sich nämlich aufs Pfund Sterling stürzen und damit nur mehr Karikaturen abgeben (was nicht an der Kleidung liegt, die wäre vermutlich in all dem hippen Einerlei dieser Tage am End' gar wirklich noch subversiv), ist der berühmte Underground in den frühen Tagen des Punk lediglich die Erfindung derjenigen gewesen, für die es nicht zum großen Deal reichte und die aus der Not der kommerziellen Erfolglosigkeit die scheinbare Tugend der reinen Lehre gemacht haben, sich aber jederzeit gerne darüber ausschweigen, daß eben derselbe 'alternative' Underground noch nie etwas anderes war als die kulturindustrielle Reservearmee des Mainstreams.
Man muß nämlich schon ganz schön weit herumhören, um noch auf Bands zu treffen, die sich gerade der konstruktiven Kritik (d.h. Affirmation) verweigern. Entweder hört man die ganz alten Sachen (Crass usw.) oder man sucht und findet Formationen wie zB Amen 81 (dürfte für Sie als Exilfranke interessant sein).
Haben Sie übrigens was dagegen, wenn ich fürderhin Du zu Ihnen schreibe? Mir kommt's spanisch vor, jemandem aus demselben Baujahr immer mit dem Hofzeremoniell zu kommen. ;-)
natürlich habe ich da nichts gegen. ich weiß gar nicht, wer mit dem "sie" angefangen hat. lass uns das abschaffen. so.
mein problem ist, dass ich eigentlich das gleiche weltbild habe wie du, mir aber gleichzeitig einrede, dass es schon ein bisschen zu eindimensional ist. denn vielleicht können sogar aus dem mainstream seltsame dinge entstehen und einen riss in die verkrusteten apparate reißen. ich habe mir irgendwann mal gesagt, dass ich diesen gedanke hochhalte. manchmal geht er verloren, aber ich suche ihn immer wieder.
im übrigen glaube ich aber, dass wir da voll auf der höhe der zeit sind - siehe z.b. die debatte um das buch "der kommende aufstand": das ist ja quasi die praxis für den fall, dass es tatsächlich kein richtig mehr im falschen gibt. totale negativität quasi. (ich werde für einen entsprechenden text die besinnlichen tage nutzen – hoffentlich).
was die punkbands angeht: ja, amen 81 kenne ich. überhaupt konnte man sogar in den neunzigern noch so manches nette konzert in nürnberg mitnehmen. ich bin da ja nun etwas raus, aber ich habe den eindruck, dass da wirklich nicht mehr viel nachgekommen ist. die großen acts spielen auch heute noch rawside, rasta knast, dritte wahl etc. fand ich alle immer nur so lala. mein favorit neben slime war tatsächlich immer noch vorkriegsjugend, brachiale musik, wahnsinn. leider habe ich auch die nur einmal in erneuerter besetzung spielen gesehen. aber das ist wohl das dilemma unseres jahrgangs.
beste grüße
sd
Na das wäre in jedem Falle eine Arbeit, die dringendst geboten wäre.
Ich habe famoserweise den Text insgesamt noch gar nicht gelesen, sondern die Lektüre bisher sehr erfolgreich vor mir hergeschoben, hatte aber beim flüchtigen Querlesen allemal den Eindruck, als seien da situationistische Ansätze entborgen worden. Was ja schonmal gar nicht verkehrt wäre.
Auch deshalb, weil sie nicht ins Blaue hinein gesprochen wären, sondern in eine Zeit fielen, in der sich Mitherausgeberinnen des Freitag auf dem Schanzenhang bereit machen, mit Besinnungsaufsätzen am Fuß wieder hineinzuspringen ins falsche Gemeinschaftsganze.
Was soll man angesichts solcher Machinationen noch schreiben? Daß 150 Jahre materialistische Kritik völlig vergebens waren? Daß das Dilemma nicht nur unserer Generation der Abgrund ist, der sich auftut, wenn man zwar Auguste Blanqui liest, aber am Ende doch wieder nur bei Mahatma Gandhi landet?
Liebe Grüße nach Berlin
vom Josef
In Münster war ich mal (mit 12), als es noch eine Seltenheit für mich war, den Heimatort zu verlassen, am Bahnhof, auf dem Weg zur Oma. Meine kleine Schwester, hatte ich auch dabei. Da saßen so ein paar Typen, die fand ich ganz schön zum Fürchten und, wenn mir auch das Wort zu dem Zeitpunkt nicht in den Sinn kam, subversiv.
Heute finde ich, Punks sind noch die Nettesten am Bahnhof.
In Münster sind es aber nicht mehr so viele.
zur einstimmung auf den kommenden aufstand braucht der tote punk auch metal
Was die Einstimmung auf den "kommenden Aufstand" betrifft, schlage ich die Dead Kennedys vor.
Pol Pot hat es ja vorgemacht, was dabei herauskommt, wenn man die beknackte Maxime "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" konsequent befolgt und mit noch blöderen Maximen wie "Zurück zur Natur" verknüpft.
die Dead Kennedys sind putzig. dann doch auch noch
und zum kommenden aufstand
hihi, also cannibal corpse fand ich gaanz groß… erinnerte mich an das hier:
-;-)
... aber dran denken, ohne discipline klappt es auch mit dem aufstand nicht
... weil ich gerade ein bischen rumstöbere:
alles klar, ich werde mich gebührend auf den "kommenden aufstand" vorbereiten!
"-;-)" - ist das der metal-smiley?
... das ist ein zwinkernder punk.
normal -:-) oder =:-)
\m/(-.-)\m/ - metal
literatur:
a href="http://www.peterlang.com/index.cfm?event=cmp.ccc.seitenstruktur.detailseiten=produkt=55459=58949" target="_blank" style="text-decoration:underline; color: #0000FF">Aufstand - Revolte - Widerstand
*
)
da hätte ich eigentlich drauf kommen können… danke für musik und literatur! und den weihnachtsmann-smiley mit bommelmütze!