Der Krieg als Ende der Politik

Krieg Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist der Jahrzehnte geltende Minimalkonsens, ideologisch-politische Ziele nicht mittels eines Angriffskriegs durchzusetzen, außer Kraft gesetzt.

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An die Stelle dieses Minimalkonsenses rücken die Verunsicherung über den weiteren Lauf der Dinge, die Wut darüber, die Geschicke der Welt wieder in den Händen einer Einzelperson, die sich außerhalb der moralischen Ordnung vermutet, zu sehen, und das damit verbundene Grunddilemma des Kriegs: Wie auch immer reagiert wird – nach dem Beginn des Kriegs kann es keine genuin guten Entscheidungen mehr geben: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen".

Mit seiner Entscheidung, die Ukraine anzugreifen, hat Putin mit den Grundsätzen der politisch-moralischen Weltordnung gebrochen. An die Stelle rationaler, von der Einsicht in die Unantastbarkeit der Rechte des Individuums getragener Überlegung tritt – und das bedeutet einen Rückfall in längst vergangene Zeiten – das reine Kalkül der Stärke, das derartige Rechte und Pflichten nicht kennt. Alle Lutz Herdens, Sahra Wagenknechts oder Alexander Gaulands, die auf die politischen Interessen Russlands verweisen und diese als legitim verstehen wollen, übersehen nicht nur den ideologischen Unterbau ebendieser Interessen, sondern ignorieren auch den beschriebenen grundlegenden Bruch, der jeglichem kriegerischen Vorgehen inhärent ist. Das Militärische als legitim zu verstehen, bedeutet gerade, der rationalen Abwägung von Interessen und Positionen hinsichtlich ihrer Legitimität, ihrer Überschneidung und ihrer Unvereinbarkeit zu widersprechen, dem Diskurs ins Gesicht zu spucken. Sofern das Politische verstanden wird als Sphäre einer solchen Abwägung von Interessen und Argumenten mit einer im damit rational gestalteten Diskurs angestrebten Lösung, bedeutet der Krieg gerade das Ende des Politischen, sodass das Anführen von Interessen und Argumenten als Begründung des Krieges in einen unauflösbaren Widerspruch führt. Putins Vorgehen ist damit, so Nikolas Busses treffende Wortwahl, ein Zivilisationsbruch. Der von pro-russischer Seite häufig bemühte Verweis auf Angriffskriege westlicher Länder in der Vergangenheit verfängt dabei nicht: Dass einmal ein Verbrechen begangen wurde, rechtfertigt keine weiteren.

Für die westliche Welt bedeutet dieser Bruch das Aussetzen der beschriebenen rational wie moralisch fundierten Prinzipien. Konkret heißt das: Eine fundierte Lösung des mit dem Krieg festgeschriebenen Problems ist unmöglich, da eine solche gerade die Sphäre des Politischen voraussetzt, die mit dem Krieg aufgehoben ist. Für die Praxis bedeutet das ein Dilemma: Welche Entscheidungen auch als Reaktion auf den russischen Zivilisationsbruch getroffen werden – genuin gut können sie nicht mehr sein. Denn jede Reaktion muss sich notwendig innerhalb der durch den Angriff geschaffenen Fakten situieren. Nicht militärisch zu reagieren, bedeutet, zwar die eigenen Werte hochzuhalten, dafür jedoch den Tod und das Leiden unzähliger Menschen billigend in Kauf zu nehmen, was die Werte letzten Endes doch verrät, und im Zweifelsfalle selbst unterzugehen. Militärisch zu reagieren, bedeutet hingegen, die eigenen Werte über Bord zu werfen und Kollateralschäden in Kauf zu nehmen, um gerade das eigentlich hehre Ziel der Freiheit und der Anerkennung individueller Rechte zu verteidigen. In dieser Hinsicht unterscheidet der militärische Konflikt sich deutlich vom individuellen zwischen Privatpersonen, der – auch aufgrund der Abwesenheit notwendig betroffener Unbeteiligter oder zwangsweise Beteiligter – in der Theorie ohne das benannte Dilemma lösbar bleibt.

Für die sehr nahe wie für die etwas weiter entfernte Zukunft bedeutet das Tragisches, da die russische Tat mitsamt ihren Folgen nicht mehr rückgängig zu machen, der Konsens nicht schlicht wieder einsetzbar ist und die Sphäre des lösungsorientierten Politischen nicht ohne Weiteres wieder ausgerufen werden kann.

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