Nicht auf dem Radar

Freihandel Der US-Präsident will in Hannover für TTIP werben. In den USA ist der Protest gegen das Abkommen überschaubar
Ausgabe 16/2016
Obama fürchtet um die deutsche Unterstützung beim Handelsabkommen
Obama fürchtet um die deutsche Unterstützung beim Handelsabkommen

Bild: Timur Emek/Getty Images

Im vergangenen Oktober gingen 150.000 Menschen in Berlin gegen TTIP auf die Straße. Der Aktivist Adam Weissman verfolgte die Demo in seinem New Yorker Apartment per Twitter – mit ambivalenten Gefühlen. Einerseits war da der große Respekt vor den deutschen Demonstranten, andererseits der Frust über die mühsame Mobilisierung in seiner Heimat. „Ich würde mir wünschen, dass die Leute in den USA so gut informiert und aktiv sind wie in Deutschland. Aber die meisten hier haben TTIP nicht auf dem Radar“, sagt Weissman, der sich seit Jahren gegen das Freihandelsabkommen einsetzt.

Am kommenden Samstag findet der nächste deutsche Massenprotest gegen TTIP statt. Dieses Mal in Hannover, wo US-Präsident Barack Obama einen Tag später einfliegen wird, um für das Freihandelsabkommen zu werben. Über 130 Organisationen, darunter die Grünen, die Linke, die Piraten sowie verschiedene Vereine und Gewerkschaften, haben zu der Kundgebung aufgerufen. Es werden zehntausende TTIP-Gegner auf den Straßen erwartet – mindestens. Und wieder wird Adam Weissman die Bilder von seiner Wohnung in Queens aus verfolgen, halb frustriert, halb inspiriert.

Der Durchschnittsamerikaner ist an TTIP ungefähr genauso heiß interessiert wie an der Fußball-Champions-League. Adam Weissman, 38 Jahre alt, ist da eine Ausnahme. Er gehört zu den Organisatoren der TradeJustice New York Metro, ein Bündnis, das sich gegen „unfaire Handelsabkommen einsetzt“, wie es auf der Webseite heißt. „Wir sind sehr von den Mengen, die in Deutschland auf die Staßen gehen, beeindruckt. Und wir fragen uns, wie wir die Protest-Strategien adaptieren können“, sagt Weissman, der auch in Kontakt mit Jürgen Maier, einem der wichtigsten deutschen Aktivisten, steht.

Vorbild Europa

Schon in der kommenden Woche bietet sich dafür die nächste Gelegenheit. Theoretisch, denn dann findet die 13. TTIP-Verhandlungsrunde zwischen der EU und den USA statt – und zwar in New York. Wie viele Protestler sich dort zusammenfinden werden, weiß Weissman noch nicht. Wenn kein Mobilisierungswunder geschieht, wird ihre Zahl aber doch wieder überschaubar sein.

Ist die Zurückhaltung Ausdruck einer grundsätzlich unterschiedlichen Protestmentalität? SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte die deutschen Proteste im vergangenen Jahr als „hysterisch“ bezeichnet. „Europäer scheinen gewillter, gegen Neoliberalismus auf die Straße zu gehen, als Amerikaner“, sagt Aktivist Weissman. „2011 gab es zwar Occupy Wall Street. Aber die letzte große Massendemo fand 1999 zum WTO-Gipfel in Seattle statt. 45.000 Menschen kamen damals. Immer noch wenig, im Vergleich zu Europa.“

Schuld an dem geringen Interesse der Bevölkerung sei auch die zurückhaltende Berichterstattung, glaubt Weissmann. Kein Protest gleich keine Presse gleich kein Protest. Eine Spirale, die schwer zu durchbrechen ist. Was den USA außerdem fehlt, betonen Soziologen, sind starke Gewerkschaften. In Deutschland, dem „Land der Vereine“, sind die Organisationen besser miteinander verflochten, Informationsfluss und Mobilisierung dadurch einfacher.

In den USA dagegen waren die Proteste klein, als sich US- und EU-Vertreter genau vor einem Jahr in New York zur damals neunten Verhandlungsrunde trafen. Auch ein öffentlicher Brief von 31 TTIP-kritischen Kongressmitgliedern an Präsident Obama kurz darauf fand kaum Resonanz. Genauso wenig wie ein Artikel, den US-Ökonom Paul Krugman für die New York Times verfasste, in dem der Nobelpreisträger „vor bösem Zeug im Kleingedruckten“ warnte.

Dass sich die USA wenig für TTIP interessieren, liegt aber vor allem daran, dass ein anderes Freihandelsabkommen vor dem Abschluss steht: die transpazifische Partnerschaft (TPP). Auf diesen Deal einigten sich die USA und elf Pazifik-Anrainer – darunter Australien, Japan, Kanada, Mexiko – im Februar dieses Jahres. Es fehlt nur noch die Ratifikation. „TPP steht vor der Tür, deshalb konzentrieren sich die Proteste – wenn überhaupt – darauf“, sagt Weissman. Die Entscheidung, ob und wann TPP ratifiziert wird, habe wiederum großen Einfluss auf TTIP. „Wenn TPP scheitert, wird es auch TTIP sehr schwer haben“, sagt Weissman.

Interessen des einen Prozents

In Europa warnen die TTIP-Kritiker vor allem vor einem Sinken ökologischer und sozialer Standards, verdichtet in der Formel: Chlorhühnchen sollen in Amerika bleiben. Doch was fürchten TTIP-Gegner in den USA? „Ausländische Investoren sollten nicht mehr Rechte als US-Firmen bekommen“, heißt es in dem Brief der Kongressmitglieder. Die American Cancer Society etwa sorgt die Vorstellung, die strengen Marketing-Auflagen für Tabakkonzerne könnten aufgeweicht werden. Und Aktivist Weissman? „Wenn die Standards angepasst werden, sollte das auf höchstem Level geschehen. Höchste Lebensmittelsicherheit. Höchster Verbraucherschutz. Höchster Arbeitnehmerschutz. Höchster Umweltschutz.“ Doch Freihandelsabkommen dienten am Ende nur den Interessen des oberen einen Prozents, sagt er. „Sie höhlen die Demokratie aus.“ Deshalb wird er weiter auf die Straße gehen. Und auf die Kraft der europäischen Opposition hoffen.

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