Brot und Zahlenspiele

Finanzsummen Wie wäre es, die kaum vorstellbaren Milliarden- und Billionen-Geld-Summen mal mittels einer leichter vorstellbaren Einheit darzustellen - etwa eines Stücks Brot?

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… „Dreihundertundundzwei Milliarden Euro.“ … „Siebenhundert Milliarden Euro.“ … „Über Zwei Billionen Euro.“ ... „Zweitausendsechshundertundfünfundvierzig Milliarden Euro.“ ... „Circa zehn Billionen Euro.“ ... „Über Achtkommasieben Billionen Euro.“ ... „Über sechzehn Billionen Dollar.“ ... „Über Achtzehn Billionen US-Dollar.“ … „Einundsiebzig Billionen Dollar.“ ... „Um die Siebenhundert Billionen Dollar.“ … „Eine Billiarde US-Dollar.“ ...

Mit diesen und ähnlichen Zahlenungeheuern werden wir fast jeden Tag durch „Finanz- und Wirtschaftsnachrichten“ im Radio, TV und Internet konfrontiert. Auch "informiert"? Das Wort „informiert“ aus meiner Sicht mit Vorsicht zu genießen ist. Wir werden mit Zahlenkolonnen überschüttet, gewürgt, zugekleistert. Vielleicht daher etwas einfacher, bildlicher:

302000000000 EUR

700000000000 EUR

2041982000000 EUR

2645000000000 EUR

8700000000000 EUR

10000000000000 EUR

16777320000000 USD

18217000000000 USD

71277370000000 USD

700000000000000 USD

1000000000000000 USD

Ach so, die Auflösung? Die wüßten Sie auch gerne? Wirklich? Oder lieber doch nicht?... Wollen die Nachrichtenkanäle uns wirklich immer klar und deutlich, ohne Verwirrung und Informationsüberfluss, bewußt machen, was welche Zahlen, die gerade von einer Kanzlerin, einem Minister oder vom „Börsenticker“ schnell heruntergerattert oder verschämt herausgenuschelt werden – bedeuten?

Der Auflösung zweiter Teil, auch noch mit „Zwischenpunkten“:

302.000.000.000 EUR: Bundeshaushalt Deutschland 2013

700.000.000.000 EUR: ESM-Stammkapital

2.041.982.000.000 EUR: Staatsverschuldung Deutschlands 2012

2.645.000.000.000 EUR: BIP Deutschland 2012

8.700.000.000.000 EUR: Staatsverschuldung aller 17 EURO-Länder

10.000.000.000.000 EUR: Vermögen der Deutschen

16.777.320.000.000 USD: Staatsverschuldung USA 2012

18.217.000.000.000 USD: Handelsumsatz Welt 2011

71.277.370.000.000 USD: BIP Welt 2012

700.000.000.000.000 USD: Jahresumsatz des Derivate-Handels 2011

1.000.000.000.000.000 USD: Jahresumsatz des Devisenhandels 2011

Was sagt es einem Menschen, der Müde um 20:00 Uhr es als höchst intellektuelle Eigenleistung ansieht, gerade noch die 10 Minuten (600 Sekunden!) „Tagesschau“ per Fernbedienung zu aktivieren („Sport“ und „Wetter“ zähle ich nicht zu „Nachrichten“, auch wenn ersteres mehr mit Leistung und Zahlen, und zweites mehr mir Wissenschaft und Voraussage gemein haben als die „Finanznachrichten“).

Können wir mit solchen Zahlen umgehen, diese irgendwie einordnen, merken wir überhaupt wenn sich in einem Jahr (oder Quartal) diese geändert haben?... Oder geben wir nach den ersten Wortmilliarden bereits auf, mit dem Säufzer „Ist doch alles so kompliziert, so unvorstellbar, diese ganzen Zahlen...“

Dabei bestimmen diese Zahlen – leider – über uns (und wir über sie – leider viel weniger...), diese Zahlen sind ein Teil von uns, unserem Leben, Land, der Welt.

Jedoch, um die Verwirrung und die Unerreichbarkeit des Verständnissen noch zu verstärken, werden uns medial nicht selten hanebüchene „Hilfsbeispiele“ geliefert, in denen „bildlich“ erklärt wird, welche Summe (in welchen Scheinen) welches Stadion füllen könnte oder aufgestapelt bis zu welchem Himmelskörper reichen würde. Vielen Dank, so kann ich mir den Umsatz des Deritate-Handels klar vorstellen, ebenso wie die deutsche Staatsverschuldung!

Wenn wir schon den Medienkonsumenten (oder gar Bürger) als einen von Zahlentürmen und Nullerschlangen sich ängstigenden Halbidioten betrachten, warum dann nicht ein paar lebensnahe Beispiele? Warum nicht alles in Brot, Bier oder Milch umrechnen? Oder eine Durchschnittsmiete oder ein Nettomonatseinkommen? Brot wäre doch ideal: Jeder braucht es, jeder konsumiert es, fast jeder kauft es (wobei: wieviel der o.g. Politiker und Finanzexperten wüssten spontan den Brotpreis bei Aldi oder in der Bäckerei um die Ecke? Oder würden Sie uns eher zu einem Stück Kuchen raten?...)

Man könnte doch – zumindest EU-weit – den Brotpreis (750 g) auf plusminus 1 Euro schätzen. Und dann bei jeder Nachricht hinzufügen: „... das wären umgerechnet 700 Milliarden Brote (ESM-Kapital), also fast neun Tausend Brote pro einen Deutschen – also bei guter Lebenserwartung über 100 Stück pro Jahr – mehr als genug, oder? Oder aber den Menschen deutlich machen, dass der jährliche Umsatz des Derivatehandels der Welt – selbst bei EU-Brotpreisen – 700 Billionen Brote bedeutet. Wie viele Menschen sind wir nochmal? Sieben Milliarden. Macht Hunderttausend (100.000!) Brotlaibe pro Mensch pro Jahr auf der ganzen Erdkugel. Vielleicht würden sich die Menschen dann zwei Fragen stellen: Wozu brauchen wir so viel Brot? Und dann: Moment mal, wozu brauchen wir nochmal diese Derivate?... Und vielleicht die klare Vorstellung davon bekommen, wie absurd viele "Geschäftspraktiken" sind und wie leichtfertig "Milliarden" und "Billionen" die Nachrichtenkanäle herunterfließen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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