Gott ohne Gerechtigkeit

Gerechtigkeit Die Idee der "Gerechtigkeit" ist eine abstrakte, menschliche Erfindung. Warum dann diese von Gott zu erwarten?

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In zwei früheren Texten zum Thema „Gott“ habe ich folgende Thesen aufgestellt und erörtert:

  1. Dem Menschen ist es unmöglich, Gott vollständig zu erkennen und somit zu definieren. (https://www.freitag.de/autoren/lukasz-szopa/die-freiheit-der-unmoeglichen-gottesdefinition).

  2. Die Existenz Gottes und des Jenseits müssen sich nicht gegenseitig bedingen. (https://www.freitag.de/autoren/lukasz-szopa/gott-ohne-jenseits).

Im zweiten Text, ging es auch darum, daß für viele Menschen und Glaubensrichtungen die Idee des Jenseits mit der Idee der Gerechtigkeit verknüpft ist – was ich (die Verknüpfung, nicht die Gerechtigkeit an sich) ebenso wie die Gott-Jenseits-Verknüpfung kritisch betrachtete.

Beim Verfassen des zweiten Textes bin ich teilweise entgegen der Aussage des ersten vorgegangen: Ich habe zum Teil Gott oder Gottes eine Eigenschaft definiert – indem ich angenommen hatte, Gott müsse nicht durch Jenseits bedingt sein.

Dieser Tradition des Selbst-Widersprechens werde ich auch in diesem Text folgen, indem ich weiter meine Vorstellung von Gottes Eigenschaften darlegen werde – diesmal bezogen auf die Idee der Gerechtigkeit.

Erstens, und vor allem: der Begriff „Gerechtigkeit“ ist eine Idee des Menschen, nicht Gottes. Beziehungsweise – siehe Pkt. 1 – wir können nicht wissen, ob und welches Konzept der Gerechtigkeit Gott haben könnte.

Daß sich der Mensch die „Gerechtigkeit“ als abstrakte Idee ausgedacht hat – ebenso wie „Freiheit“, „Zeit“ oder „Liebe“ - ist verständlich. Weniger verständlich und akzeptabel ist die Tatsache, daß der Mensch meist aber vom Gott erwartet, daß es eine Gerechtigkeit geben sollte, bzw. daß die Welt „gerechter“ werden sollte (als sie ist). Man fordert daher Gott auf, etwas zu tun, was man sich selbst erdacht hat. Und ist dann noch öfter enttäuscht, wenn dieser Gott unseren Wünschen und Vorstellungen offensichtlich nicht folgt. Wenn ich mir „300 Tage schönes Wetter im Jahr“ als Konzept vorstelle und wünsche, darf ich auch nicht von Gott (oder irgendjemanden!) erwarten, daß dies auch Realität werden soll.

Ich denke, wir sollten Gott aus unserer Vorstellung und aus unserem Wunsch nach Gerechtigkeit heraushalten. Mag sein, daß Gott eine eigene Vorstellung und sogar die Existenz einer Gerechtigkeit erdacht und realisiert hatte. Aber wir, als Menschen, mit unserem schwachen und immer subjektiven Möglichkeiten der Erkenntnis, werden nie imstande sein, diese Gerechtigkeit Gottes vollkommen zu begreifen, oder gar deren Existenz zu merken. Der Mensch ist nicht imstande objektiv festzustellen, ob das Universum „gerecht“ oder „ungerecht“ gestaltet und „regiert“ wird.

Eine göttliche Gerechtigkeit wäre auch qualitativ etwas völlig anderes als die Gerechtigkeit nach unseren Vorstellungen, wäre damit nicht vergleichbar: genauso wie wenig unser Erkenntnis, Wissen, Macht mit denen des Gottes vergleichbar sind. Diese qualitative Distanz der Vorstellungen und der Erkenntnis können wir genauso wenig überbrücken, wie eine Biene die Gesetzmäßigkeiten des Sonnensystems verstehen kann.

Es mag provokativ für die Menschen klingen, aber sofern es eine göttliche Gerechtigkeit gibt, wäre nicht auszuschließen, daß in diesem Konzept alle möglichen Naturkatastrophen gar keine „Ungerechtigkeit“ beinhalten. Für einen Menschen, der an die Allmacht Gottes glaubt, scheinen die Folgen eines Erdbebens für „unschuldige“ und „gute“ Menschen als ungerecht. Aber – kann ein Insekt die Gründe und somit die „Gerechtigkeit“ des Rasenmähens verstehen?

Ebenso denkbar wäre es, daß eine Gerechtigkeit Gottes existiert, in der sämtliche Despoten und Mörder, von Dschingis-Khan bis Pol-Pot, in keinster Weise bestraft wären. Also es ein von mir aus „paradiesisches“ Jenseits, aber kein „Gericht“ gibt, keine „Strafe“ und keinen „Lohn“.

Dies soll natürlich die Menschen nicht davon abhalten, sofern sie dies für sinnvoll erachten, der eigenen Vorstellungen der „Gerechtigkeit“ nachzugehen – hier auf Erden. Nur dann müssen sie es erstens selber tun, und zweitens nur sich dafür verantwortlich machen.

Denn die Anzeichen einer „Ungerechtigkeit“ oder gar des „Unglücks“, die der Mensch sieht, sind bloß Ereignisse aus seiner beschränkten Perspektive, die er bewertet. Bei einer vollen, göttlichen Perspektive würden dieselben Ereignisse und Taten sehr wahrscheinlich anders aussehen. Nicht unbedingt ganz verkehrt; es ist ja auch möglich, daß für uns scheinbar "gerechtigkeitsneutrale" Taten oder Geschehnisse aus Gottes Perspektive gerecht/ungerecht sind, oder daß die göttliche Gewichtung der Gerechtigkeiten ganz anders aussieht. Daraus folgt auch, wie schon erwähnt, daß unsere Ideen über die „Göttlichen Gebote“ oder Gottes „Strafen“ oder „Belohnungen“ für unsere Taten - jeglicher Grundlage entbehren.

Erst recht ist es falsch, zu denken und zu erwarten, daß Gott „Opfer“ von uns erwartet, oder gar durch diese „seine Meinung“ ändern und Gott etwas „für uns tun würde“. Was wäre das für eine schrecklich lächerliche Vorstellung Gottes, wenn man diesen durch kleine, irdische Opfer (Geld, Büßen, Tieropfer, etc.) beeinflussen könnte!...

Außerdem könnte es sein, daß für Gott die Gerechtigkeit gar nicht so wichtig ist, wie etwa das Gute, die Barmherzigkeit, die Liebe. Ist auch nur eine persönliche Hypothese, doch auch in etlichen Religionen und Philosophien wird es kritisch gesehen, "Gerechtigkeit" als höchstes Ziel oder Prinzip anzusehen.

Natürlich ist es gut, Gutes zu tun - doch damit tun wir nicht (in erster Linie) dem Gott oder dem Universum was gut, sondern uns selbst. Denn gute Taten sind Taten im Einklang mit dem Universum, und je mehr „Einklang wir aus uns heraus erzeugen“, desto mehr nähern wir uns selbst der Harmonie mit dem Universum - also dem Glück und der Erfüllung.


Zum Abschluß noch ein Gedicht, aus dem Jahre 1992:

AUF DER PRESSEKONFERENZ

Bei einer Pressekonferenz

Fragten die Menschen

Gott

Wie sie an ihn

glauben können

Nach Auschwitz

nach Hiroshima

nach Kambodscha

nach Äthiopien.

Da sagte Gott

Wie soll ich denn

an euch glauben

nach Auschwitz

nach Hiroshima

nach Kambodscha

nach Äthiopien?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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