Philosophischer Kaufrausch

Mea Culpa Oft habe ich in Blogs über den irren Konsumwahn, geistlosen Materialismus, und absurden Kaufrausch gelästert. Und nun das. Es mir vor wenigen Tagen selbst passiert.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

In weniger als einer Stunde(!!) über 200 EUR ausgegeben! Für ca. 25 Produkte! Die ich eigentlich gar nicht brauche!... Mehr noch: Die Konsumrausch-Tat ereignete sich im Internet – und nicht, wie ich oft theoretisch in Blogs voridealisiere „in dem kleinen Kiez-Laden um die Ecke“. Dafür spürte ich kurz danach, oder auch bei jedem abgeschlossenen Kauf, eine innere Erfüllung, ja einen geilen Rausch beinahe!

Man könnte zu sich sagen: Tja, auch ich bin nicht perfekt!...

Was bei mir aber passiert, ist ein Streitgespräch – zwischen dem beschwichtigendem Ich („b. Ich“) und dem kritisierendem Ich („k. Ich“):

BICH: Es sind doch alles philosophische Werke, ja fast alles Klassiker anerkannter Philosophen, Mystiker und Kirchenväter! Meister Eckhart, Roger Bacon, Spinoza, Swedenborg...

KICH: Ja ja, sind ja nur große Namen, die du eh nicht ganz verstehen wirst, so oberflächlich du manchmal liest... Außerdem: Musstest du gleich so viel bestellen? Das wirst du doch in einem halben Jahr nicht schaffen!

BICH: Aber wenn es doch teilweise antiquarische Schnäppchen waren, einige aus den 30ern, wer weiß ob es in einem halben Jahr nicht weg wäre...

KICH: Und da muss man „zuschlagen“ oder was? Hätte dein Eckhart auch so gehandelt? Übrigens – schau dir doch dein Bücherregal an! Da sind doch mindestens fünfzig Bücher, die du noch nicht gelesen hast, oder?...

BICH: Ja... Alles Popliteratur und so, Geschenke hat...

KICH: Hannah Arendt???...

BICH: OK, OK, sagen wir mal so, ich hatte Lust!... Und früher oder später hätte ich mir die alle ohnehin gekauft – ich tue die auch lesen, oder?

KICH: Nun gut, stimmt auch. Ob und wie du es verstehst, steht auf einem anderen Blatt. Übrigens, zurück zum Bücherregal: Wo sollen die neuen Dinge Platz finden? Könntest du stattdessen nicht einige der hunderte wenn nicht tausende Bücher verschenken oder verkaufen?

BICH: Meinen Dostojewski??? Meinen Hardcover-Beckett??? Mühsam zusammengesuchte alle Werke Henry Millers??? Eine der wenigen vorhandenen Plotin-Gesamtausgaben aus Marburg??? Niemals!

KICH: Und warum dann ausgerechnet im Internet?... Weil es so schnell geht? Und was soll dazu das Antiquariat in der Nähe sagen?

BICH: War zumindest nicht Amazon sondern ZVAB. Die sind doch sowas wie ein Antiquartiat-Portal, oder? Und außerdem habe ich im letzten Sommer fast alle „Echt-“Antiquariate in der Umgebung mal erkundet, und kaum was gutes oder unbekanntes gefunden...

KICH: Zum Glück. Musst du das Geld so rausschleudern, du könntest auch in die Staatsbibliothen gehen – die haben ja mehr als dein ZVAB, die haben alles!

BICH: Das meiste kann ich aber nicht mit nach hause nehmen. Und erst recht nicht markieren oder kommentieren. Und kopieren mag ich nicht. Ist ja teurer als Bücher kaufen! Und vor allem kann ich mich kaum auf Spinoza konzentrieren, wenn um mich herum hunderte emsige Studenten auf Notebooks tippen...

KICH: Du meinst wohl Studentinnen.

BICH: Ja! Und?? Selbst die haben heutzutage Notebooks, und noch diese Dinge da zum wegwischen. Außerdem – ich habe ja das Geld! Ist ja nicht geklaut, oder geliehen, sondern ehrlich verdient!

KICH: Ja ja, kaum kommt etwas mehr aufs Konto, musst du es verblasen. So wie damals, im Herbst.

BICH: Moment mal, das war was anderes! Erstens war es eine „echte“ Buchhandlung – und wirklich „aus dem Kiez“...

KICH: Und du hast gleich fünf Hardcover-Neuausgaben mitgenommen! Wieder so ein konsumfetischistischer Kauf-Amok, nur weil du „ein paar Euro“ in der Tasche hattest – die du dir vorher aus der Wand gezogen hast! Was hast du damals noch gekauft?

BICH: Joseph Vogl: „Das Gespenst des Kapitals“. Sahra Wagenknecht: „Freiheit statt Kapitalismus“ (2. Auflage). David Graeber: „Debt“ (englische Ausgabe). Und noch „Olchi“-Bücher für Kinder. Sahra und Olchis habe ich schon durch!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden